Zwei Männer auf einer Treppe

ORF/RAINER ELSTNER

Zeit-Ton

Musikalische Revolution am Schnittpunkt der Kulturen

Wohin blickt dieses Land zwischen Ukraine und Rumänien musikalisch? Welche Traditionen sind noch wirksam, und wohin entwickelt sich die neueste Musik? Die Probleme des Brain drain, die Tatsache, dass viele der besten Kräfte das Land verlassen, bereitet der avancierten, abenteuerlustigen Musikszene Probleme.

Doch es gibt auch junge Menschen, die wieder ins Land zurückkehren, zumindest für kurze Zeit, um ihr Wissen weiterzugeben. Wie Pavel Efremov, Akkordeonist, Jahrgang 1994. Derzeit lebt und studiert er in Detmold. Er gibt eine Masterclass für Komponistinnen und Komponisten in Chisinau, seiner Geburtsstadt: "Obwohl wir im Ausland leben, wollen wir unsere Erfahrungen an unser Publikum hier in Moldawien bringen." Für sein Instrument gibt es noch kein Stück aus Moldau, zudem müsse man das Publikum im Land langsam an die zeitgenössische Musik heranführen.

Für einen qualifizierten Überblick der experimentellen Musik Moldaus treffen wir Doru Mihail. Er hat als DJ gearbeitet, und er hat jahrelang einen international erfolgreichen Musik-Blog geschrieben. Er hat einen guten Überblick über das, was in der Republik Moldau musikalisch passiert.

Musik von den Rändern

Wohin orientieren sich die Künstlerinnen und Künstler der Republik Moldau, oder, wie in deutschsprachigen Ländern geläufig genannt, die russischstämmige Bezeichnung Moldawien?

"Kulturell war Moldau immer an den Rändern der UdSSR und Rumänien", so Mihail. "Wir sind ein landwirtschaftlich geprägtes Gebiet. Noch heute kann man sehen, wie die Russen die Stadt geplant haben - sowohl was die Architektur, als auch die Institutionen betrifft. Ein Beispiel: Der wunderschöne Orgel-Saal im Stadtzentrum wurde auf Anweisung eines unserer Präsidenten gebaut. Weil damals seine Tochter das Konservatorium abgeschlossen hatte und sie keinen Ort zum Üben gefunden hat. Deswegen wurde der Saal gebaut. Um Kulturelle Dinge weiterzuentwickeln, sind die Menschen hier sehr abhängig von Politikern und Menschen mit viel Geld - seien das jetzt Leute aus dem eigenen Land oder internationale Organisationen."

Ohne ausländische Finanzierung geht nichts

Viele wichtige Initiativen sind abhängig von finanzieller Unterstützung aus dem Ausland. Ohne ihre Hilfe wären auch offiziell von der Republik Moldau geförderte Projekte nicht finanzierbar. Unterstützung für kleinere, unabhängige Einzelprojekte gäbe es praktisch nicht.

Die Kulturszene bleibt dabei auf Chisinau konzentriert: "Es gibt keine Nummer zwei hinter Chisinau in unserem Land, wo man Dinge entwickeln könnte, damit es einen Wettbewerb zwischen Städten gäben könnte, das schafft nämlich normalerweise Anreize. Es gibt hier Grüppchen von Leuten, die Dinge auf die Beine stellen, aber sie stehen in keinem Konkurrenzverhältnis zueinander."

Rumänisch-moldauische Kooperation

Mihail betreibt auch ein Projekt mit einem Elektronikmusiker aus Rumänien: Gili Mocanu produziert die Tracks, Mihail kuratiert sie. Somnoraose Pasarele heißt diese rumänisch-moldauische Kooperation, übersetzt "Schlummermatte Vögelchen" - benannt nach einem berühmten Gedicht eines rumänischen Nationaldichters des 19. Jahrhunderts, Mihai Eminescu.

Die meisten jungen Menschen würden danach trachten, möglichst schnell die rumänische Staatsbürgerschaft zu bekommen und das Land so bald als möglich zu verlassen. Wenn sie nicht irgendetwas hier halte, sagt Doru Mihail. Und das kulturelle Angebot sei nicht dazu angetan, sie zu halten.

Idealisten revolutionieren Kultur des Landes

Trotz aller Probleme gibt es auch weiterhin Idealisten, die nicht zusehen wollen, wie ihr Land den künstlerischen Anschluss verliert. Wir haben einige von ihnen in Chisinau getroffen.

Akademie für Musik, Theater und Bildende Kunst. Die Akademie ist ein Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, malerisch gelegen in der Nähe des innerstädtischen Sees Valea Morilor. Im Gebäude der Musik-Fakultät haben wir einen Termin mit Ghenadie Ciobanu. Er ist wohl der einflussreichste lebende Komponist der Republik Moldau. Das gilt für seine Werke, das gilt für seine Arbeit als Professor an der Musikakademie, das gilt für sein Wirken als Präsident des Komponistenverbandes - und für seine politische Arbeit. Ghenadie Ciobanu war 1997 bis 2001 parteiunabhängiger Kulturminister in der Regierung der Post-Kommunisten und später vier Jahre lang im Parlament für die Liberaldemokratische Partei Moldaus.

Das einzige Festival für Neue Musik

1991 hat er die bis heute einzige Plattform für zeitgenössische Musik gegründet, die "New Music Days", die Tage neuer Musik. Welche Möglichkeiten gibt es, zeitgenössische Musik in Moldau zu erleben? "Es tut mir leid, aber nicht viele Möglichkeiten. Wir haben eine Situation mit vielen Schwierigkeiten. Aber wir haben seit 1991 ein Festival für zeitgenössische Musik, die Days of New Music. Wir organisieren jedes Jahr diese Festspiele. Gewöhnlich haben wir 14 Konzerte. Davon zwei bis vier mit symphonischen Konzerten. Schade ist nur, dass es die einzige Plattform dieses Typs ist.

Die New Music Days zu gründen, sei eine Notwendigkeit gewesen. Denn die Republik Moldau hatte auf Grund ihrer Geschichte viel aufzuholen: "Bis 1990, als wir Teil der Sowjetunion waren, war die Situation hier sehr peripher. In den Baltischen Republiken war die Situation damals viel besser. Hier war nämlich nur die offizielle sowjetische Tradition entwickelt - mit Sozialistischem Realismus, verbunden mit einer sehr starken Ideologie."

Zerstörerische Sowjet-Doktrin

Eine Monokultur, ein im Grunde zerstörerisches Phänomen: Es gab Zensur und künstlerische Vorgaben der Partei. Wie die moldawische Musik klingen sollte, war vorgegeben. Bestimmte Kompositionen waren verboten. Es war verboten, bestimmte Musik zu hören, sogar Kompositionen aus Rumänien waren davon betroffen. Viele Partituren wurden ins Land geschmuggelt, Komponisten haben bei sich zu Hause Aufnahmen zeitgenössischer Musik versteckt und heimlich gehört.

Die New Music Days waren daher nicht nur für das Publikum wichtig, sondern auch für die Musikerinnen und Musiker des Landes, um neue Spieltechniken kennen zu lernen.

International vernetzte Multimedia-Künstlerin

Eine Künstlerin, die vor Tatendrang nur so sprüht, ist Valeria Barbas. Ich treffe die Schülerin von Ghenadie Ciobanu im Stadtzentrum. Valeria Barbas ist eine der wenigen Multimedia-Künstlerinnen des Landes. Sie versteht sich als "artist" im englischen, umfangreichen Sinne. Sie hat abgeschlossene Ausbildungen in klassischem Gesang, Komposition und Malerei und arbeitet auch als Fernsehjournalistin. Valeria Barbas hat unterschiedlichsten Medien gearbeitet. Vom Orchester bis hin zu einem Auto-Orchester

Barbas hat sich auch künstlerisch mit den Klängen der Stadt auseinandergesetzt: "Ich habe eine Performance mit dem Titel 'Clax-Simphony' gemacht. Ich habe dafür eine Partitur für fünf Autos geschrieben. Es war eine interessante Erfahrung. Weil die Interpreten keine Musiker waren, sondern Autofahrer. Es war eine Herausforderung, ihnen näher zu bringen, wie sie spielen sollten. Ich habe nicht mit vorgegebenen Tonhöhen gearbeitet, sondern mit rhythmischen Mustern."

Klingende Ölfelder

Ein weiteres Projekt mit Klängen hat Valeria Barbas nach Aserbaidschan geführt: Sie durfte dort auf den Ölfeldern Field Recordings machen. "Daraus habe ich eine Installation entwickelt. Es war Teil eines großen Ausstellungs-Projekts, es ging da thematisch auch um Recycling. Ich habe Öl auf Glas appliziert und von innen beleuchtet. Und die Besucher konnten dazu über Kopfhörer die Klänge der Ölfelder hören."

Barbas hat seit 2009 auch die Klänge großer Menschenansammlungen festgehalten: "Ich nehme seit einigen Jahren hier in Cisinau die Klänge bei Demonstrationen auf. Ich möchte auf Basis dieses Materials eine interaktive Landkarte zusammenstellen. Mit Protestklängen aus verschiedenen Jahren. Wir hatten viele solcher Protestbewegungen in den vergangenen Jahren - wegen den schnellen Wechseln zwischen einerseits westlichen und andererseits östlichen politischen Einflüssen und Mächten. Die Menschen sind auf die Straße gegangen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Es ist interessant, wie die Klänge von Menschenmassen zu einer Stimme verschmelzen können und wie unterschiedlich die verschiedenen Demos klingen."

Gestaltung

  • Rainer Elstner