Mann auf einer Bühne

ORF/RAINER ELSTNER

Zeit-Ton

Moldauische Musik im Aufbruch

Gibt es so etwas wie moldauische Musik? Ein Element, das immer wieder genannt wird, wenn man im Land danach fragt, ist die Heterophonie. Das ist eine besondere Form der Mehrstimmigkeit - gespielt oder gesungen wird eine Melodie, aber mit kleinen Abweichungen. Das heißt aus diesen kleinen Abweichungen vom Hauptthema ergibt sich eine fortlaufende Nuancierung des Materials.

Zu hören etwa in Ghenadie Ciobanus Werk "Deux Chansons". "Dieses Werk habe ich im Jahr 2018 geschrieben. Es basiert auf zwei Gedichten in Französischer Sprache. Ich habe hier viel in Modal-Technik und isorhythmischen Modellen im Sinne von Messiaen gearbeitet und mit Heterophonie- sowie Spektral-Techniken."

Oftmalige Regimewechsel

Ciobanu ist eine prägende Persönlichkeit im Musikleben der Republik Moldau. 1991 hat er die New Music Days gegründet - bis heute das einzige Neue-Musik-Festival des Landes. Er war Ende der 1990er Jahre parteiunabhängiger Kulturminister und er ist Ehrenpräsident des Komponistenverbandes. Die Einflüsse auf die Kultur der Republik Moldau sind vielfältig - das ergibt sich aus der Geschichte: "In den letzten 100 Jahren änderte sich sechs Mal die Herrschaft in diesem Land", so Ciobanu. "In der Zeit der Sowjetunion war die moldawisch-rumänische Tradition wichtig für uns. Aber erst seit 1990 ist es möglich geworden, frei von Vorgaben zu schreiben und verschiedene Techniken kennen zu lernen."

Wir fragen auch die junge Komponistin, Künstlerin und Musikwissenschaftlerin Valeria Barbas. Was ist moldauische Kultur oder moldauische Musik? "Das ist eine schwierige Frage. Wir können nicht über eine pure moldawische Musik sprechen, genauso wenig wie wir über eine pure deutsche Musik oder eine pure italienische Musik sprechen können. Musik ist eine universelle Sprache. Moldawien liegt am Schnittpunkt zwischen Ost und West. Und die Einflüsse kommen von beiden Seiten." Es hänge vom einzelnen Komponierenden ab, welchen Stil sie oder er annimmt bzw. weiterentwickelt - oder eben nicht. "Wir können in Moldawien nicht von einer moldawischen Schule der Musik sprechen. Wir können über unterschiedliche Persönlichkeiten sprechen, die ihren eigenen Stil entwickeln. Aber natürlich gibt es noch immer Komponisten, die die Verbindung zur Volksmusik suchen, modale Muster benutzen, etwa Ghenadie Ciobanu. Er verwendet in seinem Werk rhythmische und akkordische Patterns. In hochkomplexen Partituren, mit sehr ausgetüftelter Kompositions-Technik."

Kein Miteinander der Sprachen

Sprachlich gibt es in der Republik Moldau ein Nebeneinander von Rumänisch und Russisch als Verkehrssprachen. Spiegelt sich das auch in der Musik wider? "Das ist eine schwierige Frage", meint Ghenadie Ciobanu. "Alle Moldauer sprechen russisch. Russische Leute sprechen aber oft nur russisch. Das nenne ich nicht Integration. Auch in der Musik sind wir sehr oft mit dieser Situation konfrontiert. Es gibt zum Beispiel Komponisten, die sich nur über die ehemals sowjetische Kultur definieren. Das ist sehr schlecht." Russischsprachige Komponisten würden auch keine moldawisch-rumänischen Texte oder Themen wählen.

Dem kann Musikpublizist Doru Mihail nur zustimmen: "Diese zwei Gesellschaftsgruppen kommunizieren nicht wirklich. Sie grenzen sich lieber voneinander ab. Das ist einer der Gründe, weshalb sich hier kaum etwas weiterentwickelt. Selbst wenn man eine Veranstaltung in Russisch, Rumänisch und Englisch ankündigt, wird immer nur eine der zwei Gruppen die Mehrheit bilden. Es kommt sehr selten vor, dass sie sich wirklich mischen."

Wissenstransfer aus dem EU-Ausland

Eine der jungen Komponistinnen und Musikerinnen, die international ausgebildet sind, aber im Land selbst etwas bewegen wollen, ist Lidia Ciubuc. "Ich war 14, als ich mit dem Kompositionsstudium angefangen habe", berichtet sie. "Ich habe zunächst bei der Komponistin Zlata Tkach studiert und dann bei Ghenadie Ciobanu. Das war für mich eine große Chance, beim besten zeitgenössischen Komponisten des Landes zu studieren. Anschließend war ich in Bukarest inskribiert. Parallel dazu habe ich Klavier studiert."

Derzeit studiert Lidia Ciubuc in Italien. "Das wollte ich unbedingt machen und dafür habe ich auch extra Italienisch gelernt. Ich kann dort bei großen Komponisten unserer Zeit studieren, etwa bei Michael Jarrell, Toshio Hosokawa und José Manuel López López. Und ab Oktober werde ich bei Beat Furrer studieren."

Kein Geld, aber frei

Wie sieht Komponist Ghenadie Ciobanu als ehemaliger Kulturminister die aktuelle Entwicklung im Bereich der Kulturpolitik? "Es tut mir leid, aber Kulturpolitik ist in einer Abhängigkeit von allen anderen Bereichen. Die Situation ist nicht so gut. Aber es freut mich, dass es jetzt frei ist. Wir verspüren keinen Druck wie früher. Das ist sehr gut. Aber wir haben große materielle Probleme. Zum Glück ist es möglich, mit fremden Instituten zu arbeiten."

"Mit jedem Jahr wird es immer schwieriger, finanzielle Unterstützung zu bekommen" seufzt Paul Gamurari, Präsident des Komponistenverbandes. "Ok, wir bekommen wenig, ganz wenig Unterstützung vom Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft. Ein Beispiel: Unser Festival New Music Days hat heuer sieben Konzerte umfasst. Früher waren das bis zu fünfzig in einer Ausgabe. Früher gab es einfach mehr Geld für dieses Festival. Für die heurige Ausgabe haben wir vom Kulturministerium 15.000 Leu bekommen. Das sind umgerechnet 2.500 Euro. Für sieben Konzerte! Das ist natürlich nicht das, was wir brauchen würden." Man kommt daher nur mit Finanzierungshilfe des rumänischen Kulturinstituts über die Runden.

Kunstschaffende mit mehreren Jobs

So wie alle anderen auch, hat Paul Gamurari mehrere Jobs - er ist Präsident des Komponistenverbandes, er unterrichtet an der Musikakademie und er stellt kommerzielle Arrangements für Orchester und für Popmusik her.

Für den laufenden Betrieb des Gebäudes mit seinem Konzertsaal bekommt der Komponistenverband keine finanzielle Unterstützung. Jeden Monat muss aufs Neue das Geld für die Sekretärin, das Reinigungspersonal zusammengekratzt werden.

Keine verlässliche Rechteverwertung

Um die Rechteverwertung der Komponierenden steht es nicht besser, erklärt Gamurari: "Wir haben drei, vier Agenturen, die die Rechte der Komponierenden vertreten sollten. Aber es funktioniert nur in der Theorie. Komponistinnen und Komponisten erhalten kein Geld. Nichts. Das System der Rechteverwertung funktioniert in unserem Land leider überhaupt nicht." Auch für Radio-Übertragungen erhalten die Komponierenden kein Geld.

Als Musikwissenschaftlerin sieht Valeria Barbas die Situation nicht im luftleeren Raum: "Musik und Kultur waren nie getrennt von Ideologie. Also ist es auch merkwürdig, die Lage wie im luftleeren Raum zu analysieren. Natürlich ist alles verbunden mit politischen Fragen - in welcher Weise, ist schwer zu sagen. Aber warum ist es so, wie es ist? Ich denke, weil es nicht zu den Prioritäten gehört. Ich rede nicht von links oder rechts. Da gibt es keinen Unterschied. Musik, zeitgenössische Kunst, alles, was nicht nach Mainstream aussieht, hat hier keine Priorität. Wir hoffen, dass sich das einmal ändern wird."

Junge suchen Chancen auf Selbstverwirklichung

Viele junge Leute würden sich ein Land aussuchen, wo nicht nur Geld, sondern auch Chancen zur Selbstverwirklichung gegeben sind, sagt Pavel Efremov, der in Deutschland Akkordeon studiert. "Generell gibt es in Moldau ein großes Potenzial in allen Bereichen aber leider werden wir sehr schlecht unterstützt. Deswegen suchen alle eine Verbesserung im Ausland. Wir verlieren daher viele professionelle Künstler."

Wie sieht der junge Musiker die allgemeine Gefühlslage seiner Generation? "Sehr pessimistisch. Für wen ist es schön, wenn die Familie über fünf verschiedene Länder verstreut lebt?"

Optimistischer Ausblick

Die Pianistin Lidia Ciubuc lebt zum Teil in der Republik Moldau und zum Teil in Italien. Sie sieht die Lage in besserem Licht: "Wir haben Möglichkeiten, ich bin optimistisch. Es ist nicht nur die Gesellschaft, die das bestimmt. Es hängt von jeder einzelnen Person ab. Wenn man es wirklich will, ist viel möglich. Ich sage immer: Kommt hierher nach Moldau, wir haben so gute Musikerinnen und Musiker, auch im Bereich der Folklore, Sie müssen das einfach selbst erleben."

Gestaltung

  • Rainer Elstner