Marin Alsop

APA/ADRIANE WHITE

RSO Wien im "Ö1 Konzert"

Mahler übermalt Schumann

Marin Alsop beginnt ihr Schumann-Projekt mit dem RSO Wien

Als Robert Schumann den Weg zur Symphonie einschlug, galt er als Klavier- und Liedkomponist, will heißen: als Komponist für den bürgerlichen Salon. Noch im Jahr 1840 hatte er fast ausschließlich Liederzyklen geschrieben, die ihn bis heute neben Franz Schubert als bedeutendsten Lyriker der Romantik ausweisen: die "Dichterliebe" (Heinricht Heine), den "Liederkreis" (Joseph von Eichendorff) sowie "Frauenliebe und -leben" (Chamisso). Nur wenige Monate darauf folgte der Durchbruch zur sinfonischen Form.

Vier Symphonien live und auf CD

Clara frohlockte im "Ehetagebuch", Schumann habe sich nun "auf das Feld begeben, wo er mit seiner großen Fantasie hingehört; er wird sich auch hineinarbeiten, denke ich, dass er nichts Anderes mehr componiren wird." Vier Symphonien für den großen Konzertsaal waren die Folge.

Chefdirigentin Marin Alsop interpretiert mit dem RSO Wien alle vier Symphonien Schumanns - sowohl live im Musikverein (zu hören im Konzertsaal sowie in Ö1) als auch für eine CD-Edition bei Naxos. Auf den Notenpulten liegen dabei jene Versionen, die Gustav Mahler erstellte, als er Schumanns Symphonien auf die Programme der Philharmonischen Konzerte in Wien und in den USA setzte. Mahler liebte Schumann, spielte ihn immer wieder in Konzerten und fühlte sich dessen literarischer Tradition (Jean Paul, E. T. A. Hoffmann) verbunden.

Retuschen & Änderungen - trotzt Liebe

Zwar teilte er das abwertende Urteil seiner Zeitgenossen über Schumanns Instrumentationskunst. Anders als die Wagnerianer, die Schumann für obsolet erklärten, hielt er aber an ihm fest. Er wollte ihn lediglich, nun ja, verbessern. Dass ein Dirigent in einer Partitur Einzeichnungen vornimmt und etwa die Balance der Instrumente reguliert, ist nicht ungewöhnlich. Doch Mahler ging bei dem, was die Musikgeschichte später "Retuschen" nannte, weiter: Mehr als 2.000 Anmerkungen finden sich in seinen vier Schumann-Partituren.

Verdopplungen wurden reduziert, an anderen Stellen Melodien verstärkt, die Instrumentation verfeinert, die Dynamik verändert, manch Instrumentaleffekt (gestopfte Hörner) hinzugefügt, ja, Mahler griff sogar in die harmonische Architektur ein, als er etwa den Anfang der "Frühlingssymphonie" eine Terz tiefer setzte. Die Idee dahinter war: Verdeutlichung. Melodische Linien treten stärker in den Vordergrund, musikalische Abschnitte setzen sich deutlicher voneinander ab. Wo Schumann manches im Nebel ließ, schaffte Mahler Klarheit.

Eine Ohrfeige, die verbindet

Man streitet bis heute, ob Mahler dem romantischen Vorfahren damit einen Dienst erwiesen hat. Spätestens seit Originalklang und Urfassung in der Musikwelt hoch im Kurs stehen, sind Mahlers Retuschen in der Gunst gesunken. Dennoch stellen seine Schumann-Versionen eine faszinierende und lebensfähige Schöpfung dar. So blickte man am Vorabend der Moderne auf die Romantik. Nennen wir es "Übermalung".

Schumann zur Seite tritt in den RSO-Konzerten von Marin Alsop der Komponist Hans Werner Henze - ein Altmeister der Neuen Musik, verstorben 2012 (mit der Sopranistin Juliane Banse als Solistin). Seine "Nachtstücke und Arien", entstanden 1957 nach Texten von Ingeborg Bachmann, zeigten plakativ, dass sein Hang zum Lyrismus im damaligen Mainstream der Avantgarde nicht wohlgelitten war: Bei der Uraufführung in Donaueschingen verließen Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono demonstrativ den Saal. Eine Ohrfeige, die Henze über die Jahrhunderte hinweg sowohl mit Mahler als auch mit Schumann verbindet.

Text: Christoph Becher, Intendant des RSO Wien

Service

RSO Wien