Szenenfoto, Menschen mit Masken auf einem Sofa

ALEXANDER GOTTER

Theater

"Baal" von Brecht im Werk X

Den levantinischen Fruchtbarkeitsgott Baal hat Bertolt Brecht zum Namensgeber für sein erstes abendfüllendes Drama "Baal" gewählt, in dem er von einem jungen, "asozialen" Künstler erzählt, der die Gesellschaft verschreckt. In den letzten Jahren haben sich Regisseure wie Frank Castorf oder Ersan Mondtag des Stoffes angenommen, jetzt zeigt das Werk X in Meidling, das Stück als Demontage - in einer Inszenierung von Ali Abdullah, einem der Leiter des Hauses.

Baal ist ein Dichter, den die Massen verehren, die Mäzene fördern und die Frauen lieben. Aber Baal ist auch ein Monster - egoistisch, gierig und geil, rücksichtslos und selbstsüchtig. Ein Säufer, der die Frauen in den Tod treibt, ein Mörder, der den Freund ersticht, ein Tier, das einsam im Wald verendet.

Schlüsselbild zur Aufführung, Menschen mit Masken und Perücken

ALEXANDER GOTTER

Wen schreckt der Bürgerschreck heute noch?

Der junge Brecht hat den Baal als Gegenentwurf zum expressionistischen Drama "Der Einsame" von Hanns Johst geschrieben. Johst, später strammer Nationalsozialist, zeichnet darin das Bild des Künstlers als "Übermenschen", ein Genie, das der Gesellschaft geistig weit voraus und deshalb einsam ist. Bei Brecht wird der Dichter zum vitalen Bürgerschreck; aber wen schreckt der heute noch?

"Mich ganz persönlich verschreckt, wie diese männliche Figur von Brecht damals gezeichnet wurde", sagt der Regisseur Ali Abdullah, "und wenn ich das heute lese, kann ich mir das gar nicht mehr vorstellen. Deshalb haben wir ein paar Eingriffe, Adaptierungen in der Besetzung gemacht, um das zu dekonstruieren und darzustellen, wie das heute noch denkbar und machbar ist, aber die Monstrosität der Figur bleibt."

Verfremdung total

Fünf überzeichnete Figuren mit Boris-Johnson-Strubbelfrisuren, Anzügen, Fatsuits und weißen Masken, aus denen rot aufgerissene Mäuler leuchten, schlüpfen in die über 25 Charaktere des Stückes. Orts- und Personenbezeichnungen werden eingeblendet, damit man weiß, mit wem man es gerade zu tun hat. Männer spielen Frauen und umgekehrt, Andreas Dauböck entwirft einen Verfremdungssoundtrack zwischen Leonard Cohen, Nick Cave und Brechtlied.

Szenenbild, Menschen mit Masken

ALEXANDER GOTTER

Das System Baal

Der Baal interessiert Ali Abdullah nicht mehr als Protagonist, sondern nur mehr als System, in dem gefragt wird, wie sich der Künstler zu seiner Umwelt verhält und umgekehrt. Die Frage, ob nicht das Monster nur ein logisches Produkt jener Gesellschaft ist, die es hervorgebracht hat, ist schon bei Brecht angelegt und lässt sich weiterdenken.

"Ich finde ich spannend, dass wir in einer Zeit leben, wo der Künstler immer weniger gefragt wird, in den gesellschaftlichen Diskurs zu gehen und Stellung zu beziehen, und immer mehr erwartet wird, dass er ‚streamlined‘ und konform ist und dass er seine Unterhaltungsaufgabe erfüllt," so Abdullah.

Antiheld, der Fassbinder und Bowie fasznierte

Dass der Antiheld Baal über die Jahrzehnte hinweg Künstler inspirierte - von Rainer Werner Fassbinder über David Bowie bis hin zu Frank Castorf -, mag verwundern angesichts der Tatsache, dass es das viermal überarbeitete wütende Erstlingswerk eines frühreifen Zwanzigjährigen war, der mit einer eindeutigen Geste, der bürgerlichen Gesellschaft die Moral austreiben wollte. 100 Jahre später funktioniert Baal wohl in erster Linie als Dekonstruktion und an dieser arbeitet man sich ab heute Abend im Werk X in Meidling ab.