
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
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Die Krise der Buchbranche
Der Online-Buchverkauf erlebt derzeit zwar einen enormen Anstieg, nur täuschen die Zahlen, denn insgesamt schlittert die Branche derzeit in eine Krise, deren Ende und auch Folgen noch gar nicht abzuschätzen sind. Buchhandel und Verlage bündeln aber alle Kräfte, um der schwierigen Situation entgegenzuwirken.
4. Mai 2020, 02:00
Die Buchhandlung Seeseiten in der Seestadt Aspern, direkt an der Wasserfront gelegen, hat derzeit zwar geschlossen, ruhig geht es dort aber ganz und gar nicht zu. "Wir haben mehr Arbeit als im ärgsten Weihnachtsgeschäft ", sagt Seeseiten-Chefin Bettina Wagner, "deshalb kann ich auch keine Mitarbeiter/innen in Kurzarbeit schicken. Die Krux ist aber, dass der Umsatz dennoch weit geringer sei als in regulären Verkaufszeiten."

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Sisyphusarbeit Versand
Hundert Bestellungen müssen täglich bearbeitet werden, der Mehraufwand gegenüber dem regulären Ladenverkauf ist aber enorm. "Alleine das Verpacken kostet schon ungeheuer viel Zeit ", so Bettina Wagner. "Dazu kommt aber, dass durch das Fehlen des unmittelbaren Kontakts mit den Kunden und die Kommunikation per E-Mail, wo etwa Fragen zur Art des Versands geklärt werden müssen, es oft zwei bis drei Werktage dauert, bis es zum Geschäftsabschluss kommt."
Dostojewski auf Papier
Anders als erwartet, hat die Krise nicht zu einem Zuwachs im E-Book-Sektor geführt, der Leser verlangt eindeutig nach dem physischen Buch. Und da gibt’s gerade einen Boom bei den Klassikern zu verzeichnen. Sie habe derzeit eine hohe Nachfrage nach Dostojewski, sagt Bettina Wagner. "Ansonsten gehen Kinderbücher gerade sehr gut und Sachbücher, die zum Do-It-Yourself in den eigenen vier Wänden einladen: Kochbücher natürlich, Anleitungen zum Nähen oder Bastelbücher."
Lesungen der Buchhandlung Seeseiten auf Facebook
Um nicht nur die Bastel-, sondern auch die Leselust der Kundschaft aufrecht zu erhalten, sind die Seeseiten-Macher auch in den sozialen Medien aktiv, bieten tägliche Buchbesprechungen für Erwachsene und Vorlesen für die Kinder an.
Geschlossene Bibliotheken
Lesungen im Netz sollen nicht zuletzt darüber hinweghelfen, dass derzeit nicht nur Buchhandlungen, sondern auch Bibliotheken geschlossen bleiben müssen. Das spürt auch der oberösterreichische Ennsthaler-Verlag, der am Hauptplatz von Steyr eine eigene Buchhandlung unterhält. "Viele unserer sehr wichtigen Rechnungskunden haben den Betrieb eingestellt", sagt Verlagsleiter Christoph Ennsthaler. "Dazu gehören Bildungsinstitutionen, Schulen und auch die Bibliotheken."
Das deutsche PEN-Zentrum hat bereits die sofortige Wiederöffnung von Bibliotheken und Buchhandlungen unter Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen gefordert, weil durch die Schließung nicht nur der Buchhandel, sondern auch Verlage und Autoren in ihrer Existenz bedroht seien.
Rasche Hilfe
Wie sieht es in Deutschland mit der Unterstützung von Seiten der Politik aus? Erstaunlich reibungslos, so Matthes & Seitz-Verleger Andreas Rötzer. "Die Stellen sind unglaublich gut organisiert, denn wir haben schon zwei, drei Tage nach der Antragsstellung das Geld bekommen."
Bei Umsatzeinbußen von einem Drittel gegenüber dem Vorjahr helfen diese Zahlungen aber nur sehr kurzfristig über die Runden. Eigeninitiative ist da gefragt, etwa ein noch engeres und solidarisches Zusammenrücken der Branche. "Wir unterstützen wie andere Verlage auch die Buchhandlungen mit längeren Zahlungszielen", so Andreas Rötzer, "um Remittenden zu vermeiden und die Liquidität der Buchhandlungen zu stärken. Dazu kommen gemeinsame Social-Media-Aktionen und -Lesungen und bereiten eine digitale Konferenz vor."
Bakterien als Verkaufsschlager
Mit der Naturkunden-Reihe zu verschiedenen Tierarten und Landschaften trifft Matthes & Seitz gerade auch den Geschmack vieler Menschen, die zumindest lesend ins Freie drängen möchten. "Der Spitzentitel der Reihe, der derzeitige Renner", so Andreas Rötzer, "ist das Bakterienbuch von Ludger Weß, in dem auch von Viren die Rede ist, und das wir gerade noch vor der Krise ausliefern konnten."
Titeljonglieren
Die kleinen Lichtblicke sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Krise das gesamte Verlagsprogramm über den Haufen geworfen hat. "Wir werden das geplante Herbstprogramm sehr stark reduzieren", so Andreas Rötzer. "Viele Titel aus dem Frühjahrsprogramm haben wir außerdem noch nicht ausgeliefert, die kommen dann als Novitäten im Spätsommer und Herbst."
Von Hundert auf Null
Der Grazer Droschl-Verlag hat sein gesamtes Frühjahrsprogramm bereits im Februar veröffentlicht und freute sich gerade über einen überaus erfolgreichen Jahresbeginn, so Droschl-Leiterin Annette Knoch, als plötzlich alles anders wurde. "Bei uns war das wirklich von Hochgeschwindigkeit auf fast Stillstand. Wir haben Anfang März zwei sehr starke Wochen gehabt, bis zur abgesagten Leipziger Buchmesse, danach ist es aber gegen Null gegangen, teilweise sogar ins Minus, weil viele Veranstalter, die bereits Bücher für die Büchertische bestellt hatten, diese wieder zurückgeschickt haben und deshalb war die zweite Märzhälfte eine Katastrophe."
Die Hilfe von außen?
Wie funktionierte da die Katastrophenhilfe durch Land und Bund? "Das Land Steiermark hat eine zweiprozentige Anhebung der Unterstützungszahlung angekündigt", so Annette Knoch, "in unserem Fall sind das aber gerade 600 Euro. Die Auszahlung wird auch nicht in drei Tranchen, sondern auf einmal stattfinden, das Geld wurde allerdings bisher noch nicht überwiesen. Was den Härtefond betrifft, haben wir noch nicht eingereicht, weil wir durch die starken ersten Märzwochen gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr kein Minus von 50 Prozent verzeichnet haben."
Küchenprodukte statt Büchern
Solidarität ist gefordert, die gerade ein Großer vermissen lässt, denn Amazon kauft derzeit bei den Verlagen keine Bücher ein, weil er sich auf Waren des täglichen Bedarfs spezialisiert, vorerst bis 5. April. "Das Hauptproblem, das derzeit alle Verlage im deutschsprachigen Raum haben", so Annette Knoch, "ist, dass der größte Online-Händler derzeit nur Sanitätsprodukte und Haushaltswaren ausliefert und keine Bücher, und das spüren alle Verlage und darauf kann die Politik auch nicht wirklich einwirken."
Lesen! Weiterlesen! Mehr lesen!
Dafür machen die kleinen Buchhändler derzeit unbezahlte Überstunden, um unsere Nahversorgung mit geistiger Nahrung sicherzustellen. Gefordert ist jetzt der Einzelne, die große Devise: Lesen, lesen, lesen. "Die Branche nicht im Stich zu lassen", so Andreas Rötzer, "heißt einfach, den Buchkonsum nicht einzustellen. Denn die Krise ist irgendwann zu Ende, wenn es dann aber weniger Buchhandlungen gäbe, wäre das für die Kultur und für die Gesellschaft fatal."
Gestaltung
- Wolfgang Popp