
ORF/JOSEPH SCHIMMER
Büchereien Wien
Was wird in der Krise gelesen?
Vor einigen Wochen haben die Büchereien der Stadt Wien bekanntgegeben, dass sie während der Corona-Schließungen ihr gesamtes Onlineangebot aus E-Books, Hörbüchern und Zeitungen für alle Interessierten gratis zur Verfügung stellen, eine einfache Anmeldung per E-Mail genügt. Wie wird das Angebot angenommen und was wird derzeit gerne gelesen?
2. Juni 2020, 02:00
Zu Sendung
Morgenjournal | 02 05 2020
Über 70.000 Titel, so viel Auswahl hat man derzeit im Online-Katalog der Büchereien der Stadt Wien und es werden wöchentlich mehr. Aufgrund der Coronavirus-Krise wurde dieses Angebot kurzerhand für alle zugänglich gemacht. Die Nachfrage überraschte das Team, so Patrik Volf, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit. Sie hätten mit einigen hundert Anmeldungen gerechnet, nach aktuellem Stand sind es mittlerweile aber schon über 16.000, Tendenz weiter steigend.

Ex libris-Rezensionen nachören
Wirklich verändert hat sich das durchschnittliche Nutzungsverhalten der Leserinnen und Leser in Zeiten der Krise aber nicht. Patrik Volf beobachtet, dass weiterhin vor allem Krimis und Belletristik nachgefragt werden, Lyrik kaum und die Reiseführer erleben, verständlicherweise, gerade einen Rückgang.
Krimis und die Spanische Grippe
Das spiegelt sich auch in den Charts der ausgeliehenen Bücher wider. Angeführt werden sie von dem humoristischen Krimi "Die Kopftuchmafia" von Thomas Stipsits. Der teils autobiografische Familienroman "Die Bagage" der Vorarlberger Autorin Monika Helfer belegt Platz zwei, gefolgt von dem Wissenschaftskrimi "Helix" aus dem Jahr 2016, der wohl aufgrund seiner Handlung rund um ein genverändertes Virus auf neuerliches Interesse stößt.
Und auch ein anderes, bereits 2017 erschienenes Buch ist aktuell wieder sehr gefragt. Das Buch "1918 - Die Welt im Fieber" der britischen Autorin und Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney. Sie beschreibt darin die Umstände und Geschehnisse rund um die Spanische Grippe, die 1918 ihren Anfang nahm. Das Buch ist, so Patrik Volf, auf lange Zeit ausgeliehen.

Kontext-Rezensionen nachhören
Corona-Lesungen auf YouTube
Aber nicht nur die Option Bücher auszuborgen wird gerne genutzt. Über den Online-Katalog hat man auch Zugang zu zahlreichen Zeitungen und Magazinen. Ein Angebot, dass in Zeiten der Corona-Krise großen Anklang findet. Das stärkere Bedürfnis nach Information und die Möglichkeit aus verschiedenen Zeitungen wählen zu können, seien dabei wichtige Faktoren so Volf.
Zusätzlich zum Online-Katalog haben die Büchereien ein weiteres ihrer Angebote ins Internet verlegt: Lesungen. Aufgrund der Beschränkungen rund um Veranstaltungen und die Schließungen der Standorte konnten plötzlich, wie sonst üblich, keine Lesungen und Diskussionen mehr stattfinden. Die Büchereien wollten den Menschen aber nach wie vor die Möglichkeit bieten, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. In den sogenannten Corona-Lesungen auf YouTube stellen seitdem Autorinnen und Autoren, wie beispielsweise Gertraud Klemm oder Michael Stavaric ihre Bücher vor und lesen Auszüge daraus. Auch spezielle Lesungen für die Jüngsten aus verschiedenen Kinderbüchern stehen auf dem Programm.
Plattform für Autorinnen und Autoren
Die Lesungen dienen dabei aber nicht nur der Unterhaltung des Publikums, wie Patrik Volf erklärt. Die Büchereien hätten gegenüber den Autorinnen und Autoren, die bereits für Lesungen eingeplant oder gebucht waren, eine Verpflichtung. Unter normalen Umständen könnten sie jetzt einfach ihre Lesung abhalten und ihr Buch vorstellen. Die Onlinevariante sei eine Möglichkeit "ihnen trotzdem ein Publikum und ein Honorar zu bieten", so Volf weiter.
Das Angebot wird gut angenommen, insgesamt wurden die Lesungen bisher rund 10.000-mal aufgerufen und die Büchereien planen, sie auch für den gesamten Zeitraum der Schließung aufrecht zu halten.
Text: Julia Sahlender
Service
Büchereien Wien
Büchereien Wien auf YouTube