Retten Streamingprojekte die Musikbranche?

16. Mai 2020, 02:00

Musikern und Musikerinnen bleibt derzeit nur das eigene Wohnzimmer als Aufführungsstätte. Man stellt sich auf die neue Situation ein. Die dabei entstehenden Live-Streams werden professioneller und klingen auch immer besser.

Quarantäne-Sessions von The Base

Die Grazer Band The Base rund um Sänger Norbert Wally hat mehrere "Quarantäne Sessions" veröffentlicht. Aufgenommen räumlich voneinander getrennt, auch eine düstere Version von Britney Spears Welthit "Toxic" aus dem Jahr 2004. Facebook

Wie soll es mit der Musikwirtschaft weitergehen? Es scheinen sich langsam Strukturen zu bilden, die über das Streamen von unscharfen Handy-Videos hinausgeht. Für die Club-Szene gibt es die Plattform United We Stream, initiiert von der Vienna Club Commission und dem Österreichischen Musikinformationszentrum (mica). ZDF und arte sind als Streaming-Partner mit im Boot. United We Stream hofft auf Spenden der User und Userinnen.

Einnahmen durch Spenden

Die meisten Heimkonzerte werden dieser Tage gratis angeboten - etwa die Homestage-Festivals mit Künstlerinnen wie Yasmo und Mira Lu Kovacs. Wie das Ö1 Morgenjournal berichtet hat, hat dieses österreichische Online-Festival über Spenden so viel eingenommen, dass die Beteiligten - für Technik, Organisation und Musik - je 600 Euro verdient haben. Das nächste Homestage Festival wird vom 24. bis 26. April 2020 stattfinden.

Als Zugabe nach dem letzten Homestage-Festival hat Anna Kohlweis alias Squalloscope einen bisher unveröffentlichten Song eingespielt.

Streamingprojekt mit Lady Gaga und Elton John

Auch international sind große Streamingprojekte geplant. In der Nacht von Samstag, 18. April auf Sonntag, 19. April 2020 gibt es das bisher größte Online-Konzertvorhaben: "One World: Together at home", unter anderem mit Lady Gaga, Elton John, Billie Eilish und Paul McCartney. Gestreamt wird Sonntag ab zwei Uhr früh mitteleuropäischer Zeit, die Einnahmen gehen an die WHO. Die Aufnahmen werden auch später im Netz verfügbar sein.

Eine neue Musikplattform kreieren auch Emap.FM und Otto Lechner. Auf Quarantella sind Werke von Musikern und Künstlern zu können, die derzeit nicht live auftreten: "Mit Hilfe von Computer und dem Internet einerseits und dem Coronavirus andererseits entsteht neue Hausmusik, die Sie nicht verpassen sollten. Jede Musik hat einen Grund und der Käfigvogel singt auch", heißt es in einer Aussendung.

Die zusammengehörigen Labels Seayou Records und Problembär Records haben bereits viele Konzerte auf ihrem YouTube-Kanal gestreamt und damit gute Erfahrungen gemacht. Am Mittwoch, 15. April 2020 sind ab 20:00 Uhr I-Wolf und die österreichische Musikerin und Produzentin Little Element zu sehen, am Freitag, 17. April 2020 folgt die Band Nelio (Beginn: 21:00 Uhr).

Darf man Musik verschenken?

Mittlerweile wird auch eine interessante Diskussion über den Wert solcher Online-Konzerte geführt. Die einen vermissen die Aura des Live-Erlebnisses, andere rufen die Kollegenschaft dazu auf, nicht für Almosen zu spielen. Dramaturg und Journalist Uwe Mattheis fordert in einem vielgeteilten Artikel: "Hört auf zu streamen!", Medientheoretiker Peter Weibel sieht hingegen die alten Versprechen der Telegesellschaft eingelöst und sagt, das Zeitalter der Nähe sei am Ende. Weibel glaubt an eine Zäsur mit Chancen, nämlich durch das "Ende der Massenmobilität" und ihrer umweltschädlichen Nebenerscheinungen.

Dass sich unsere Reisegewohnheiten wohl stark verändern werden, darauf spielt das Trio Lepschi (Stefan Slupetzky, Martin Zrost und Michael Kunz) in seinem Lied mit dem Titel "Schpoan" an.

Zum Trost ein Wiegenlied

Judith Filimónova, vielbeschäftigte Bassistin aus Wien, hat nach "One Day at a Time" bereits einen zweiten Song über die psychologisch schwierige Lage der sozialen Isolation geschrieben. Als Trost hat Sie sich und uns mit "I Don't Know How To Unclench My Jaw" ein Wiegenlied geschrieben. Soundcloud

Das Ö1 Kulturforum

Eine Plattform für das Kunstschaffen in Zeiten der Heimarbeit bietet auch Ö1 mit seinem Kulturforum - dort können Sie ihre aktuellen Texte, Kompositionen und Gedanken mit der Ö1 Community teilen. Auch diese Online-Plattform wird regelrecht gestürmt, bereits über 500 Beiträge sind hochgeladen worden. Auch von Alfred Koch -– nicht identisch mit unserem Ö1 Kollegen gleichen Namens. Koch ist Lehrer, Gitarrist, Autor, bildender Künstler und hat unter anderem das Stück "Nachtzug" auf unserem Ö1 Kulturforum hochgeladen. Er schreibt als Erklärung dazu: "Wenn du mit deinem Leben im Nachtzug sitzt, vertrau auf den Fahrplan. Bei der Ankunft wird es morgen sein."

Wenn wir all die erfreulichen Initiativen nutzen, sollten wir weiterhin an die Kunstschaffenden denken. In Zeiten, in denen Amazon den Vertrieb von CDs und Vinyl zu Gunsten anderer Güter einschränkt, kann man nur empfehlen: Zahlen Sie für ihre Downloads! Und kaufen Sie beim Plattenladen ihres Vertrauens heimische Musik. Damit kann man die heimische Musikszene im Moment am besten unterstützen.

Service

Squalloscope
Julia Noa Fischer
Session Work Records

Artikel zum Thema Musik-Streaming

oe1.ORF.at - Kultur online: Pay as you wish
mica - Coronakrise und die Musikwirtschaft
mica - Statements zur Corona-Krise
TAZ Uwe Mattheis: Hört auf zu streamen!
Der Standard - Peter Weibel: Der Globalisierung geht die Luft aus
Variety - Amazon Stops Accepting Vinyl and CD Shipments

Streaming-Tipps

United We Stream, mit Asfast, Koenig, Electro Guzzi u.a., Mittwoch, 15. April 2020, 15:00-19:00 Uhr

SoloTogether: Clemens Wenger & Mira Lu Kovacs, Mittwoch, 15. April 2020, 20:00 Uhr, radiokulturhaus.ORF.at

Echoräume, DerBlödeDritteMittwoch mit Coco Bechamel, Mittwoch, 15. April 2020, 20:00 Uhr

Christian Bakanic Accordion & Marie Spaemann, Donnerstag, 16. April 2020, 19:00 Uhr, Konzerthaus - Moments Musicaux

Max Nagl Trio, Donnerstag, 16. April 2020, 20:30 Uhr, Porgy & Bess

One World: Together at home, mit Lady Gaga, Elton John, Paul McCartney, Stevie Wonder, Billie Eilish, Lizzo u.a., Sonntag, 19. April, 2:00 Uhr

Homestage Festivals, Samstag, 24. bis Sonntag, 26. April 2020

Emap.FM - Quarantella

Ö1 Kulturforum

Gestaltung

• Rainer Elstner