APA/DPA/FEDERICO GAMBARINI
Barfuß statt Spitze
Martin Schläpfer wird Chef des Staatsballetts
Unter dem neuen Staatsoperndirektor Bogdan Roscic bekommt auch das Wiener Staatsballett an der Staatsoper und Volksoper einen neuen Direktor und Chefchoreografen. Der Schweizer Martin Schläpfer wechselt von Düsseldorf nach Wien und will dort mehr Zeitgenössisches etablieren.
21. Dezember 2020, 12:36
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Mittagsjournal | 20 05 2020
Ungetrübte Vorfreude klingt eindeutig anders als das, was Martin Schläpfer derzeit durch den Kopf geht: "Werden wir spielen können? Werden die Tänzer einreisen können, zum Beispiel die neu engagierten aus den USA?" - Solche Fragen gehen ihm durch den Kopf, während er seinen Umzug von Düsseldorf nach Wien vorbereitet.
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Neben der Corona-Krise erschwert noch ein weiterer Umstand den Neubeginn: Das Staatsballett sorgte zuletzt vor allem wegen skandalöser Missstände in der angeschlossenen Ballettakademie für Negativschlagzeilen. Nun liegt es an Schläpfer, den Skandal aufzuklären und eine neue Richtung in Sachen Tanzausbildung einzuschlagen.
Weg vom Drill, hin zur Begeisterung
Die ersten Weichenstellungen hat er schon getätigt: Eine internationale Expertenkommission, bestehend aus Führungskräften renommierter Ballettschulen in Europa und Nordamerika, analysiert und evaluiert nicht nur die Lehrmethoden und das Ambiente. Auch bauliche Maßnahmen, eine etwaige Aufstockung bei Gouvernanten, im Gesundheitsbereich und anderen Bereichen sind zu prüfen.
Und schließlich gehe es um den grundlegenden Zugang. Und der lautet für Schläpfer: "Ohne Drill und Disziplinierung, sondern mit Passion und Begeisterung. Man kann von mir aus auch das Wort Disziplin weglassen, man muss es einfach von innen her wollen und dabeibleiben."
Brahmsrequiem barfuß statt "Schwanensee" auf Spitze
Der 60-jährige Schweizer hat sich als charismatischer Solotänzer, Ballettchef und Schöpfer von mehr als 70 Choreografien international einen Namen gemacht hat und unterrichtet seit 30 Jahren im Profibereich. Er selbst habe in den 70er Jahren ausschließlich positive, begeisternde Lehrende erlebt. Und diese Erfahrung will er weitergeben - auch an die über 100-köpfige Compagnie des Staatsballetts.
Der Spielplan zeugt von einer deutlichen Hinwendung zur Gegenwart: Kein neu einstudiertes Handlungsballett, dafür Werke prominenter Zeitgenossen aus den USA und Holland. Schläpfer lässt das Ensemble in seinem Erfolgsstück "Ein deutsches Requiem" aus dem Jahr 2011 barfuß zu Brahms über die Bühne der Volksoper tanzen und zeigt außerdem zwei eigene Uraufführungen, zunächst im November das Ballett "4" zu Gustav Mahlers vierter Symphonie, bei dem er die gesamte Truppe auf die Bühne holt.
Alle gleichwertig gemeinsam
Diese Zusammenführung hat Symbolcharakter, will Schläpfer doch - mehr als bisher - die Tänzerinnen und Tänzer beider Häuser gleichwertig in seine Arbeit einbinden, auch wenn es dafür einigermaßen große organisatorische Hürden zu bewältigen gab, sind doch die Tänzerinnen und Tänzer an der Volksoper häufig in Musicals oder Operetten eingebunden.
Doch der abrupte Umsturz ist Schläpfers Sache ohnehin nicht. "Nach und nach sanft erneuern" lautet seine Devise, mit Verbindungen innerhalb der Häuser, aber auch mit Kooperationen nach außen, etwa zum Impulstanzfestival und anderen Institutionen. Alles mit dem Ziel: "Das Haus zu einem kreativen Ort des Tanzes zu machen, nicht nur für die Elite, sondern für alle Tanzbegeisterte."
Internationaler denken
In Sachen Begeisterung und Auslastung hat ihm der scheidende Ballettdirektor Manuel Legris einiges vorgelegt. Etwa 98 Prozent Auslastung hatten die Ballettaufführungen, von den "Tanzperspektiven" über mehrteilige Abende bis zu abendfüllenden Handlungsballetten, und vor allem die beliebte jährliche Nurejew-Gala.
Sie wird es künftig nur alle zwei Jahre geben, und auch das Handlungsballett wird seinen Platz im Spielplan bekommen, verspricht Martin Schläpfer, der als Chef des preisgekrönten "Ballett am Rhein" in Düsseldorf für große internationale Anerkennung des Ensembles sorgte. Für Wien plant er eine durchlässige Verknüpfung zwischen Tradition und Gegenwart, und vor allem mehr Uraufführungen, um ebenfalls mehr internationale Aufmerksamkeit zu erlangen. Ob das dem heimischen Stammpublikum behagt, wird sich weisen. Ein spannendes Programm verspricht er allemal.