Birgit Minichmayr

THOMAS DASHUBER

"Ohne Kunst verkommt man!"

Birgit Minichmayr liest Maria Lassnig

Sie war die Grande Dame der österreichischen Malerei, er wird in Kunstrankings regelmäßig zur einflussreichsten Person im zeitgenössischen Kunstbetrieb gekürt. Seit den frühen 1990er Jahren unterhielten die Kärntner Malerin Maria Lassnig und der Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist einen regen Briefwechsel. Die Maria Lassnig Stiftung hat die Briefe Maria Lassnigs an Hans Ulrich Obrist nun in einem aufwändigen Bildband veröffentlicht, in dem handschriftliche Briefe und Postkarten der großen Malerin als Faksimiles abgedruckt sind. Christine Scheucher hat mit Peter Pakesch, dem Leiter der Maria Lassnig Stiftung und Hans Ulrich Obrist gesprochen und ein Hörstück gestaltet. Maria Lassnigs Briefe liest Burgschauspielerin Birgit Minichmayr.

"Lieber, sehr lieber Herr Obrist,
Ich habe eigentlich keinen triftigen Grund Ihnen zu schreiben, außer dass die Sympathie Ihnen gegenüber und die so große Liebenswürdigkeit, mit der Sie mir und meinem Werk entgegenkamen mich dazu treibt rück- und vorzuschauen."

Verhaltene erste Zeilen, die die 74-jährige Maria Lassnig an den aufstrebenden jungen Kurator Hans Ulrich Obrist richtet. Im Rahmen der Festwochen-Ausstellung "Der zerbrochene Spiegel" hatte Obrist dem malerischen Oeuvre der Kärntnerin eine große Bühne geboten. Es ist Obrist erste große Ausstellung, die der damals 25-Jährige gemeinsam mit Kasper König kuratiert. Die Schau markiert den Beginn einer künstlerischen Zusammenarbeit, in deren Verlauf Obrists wie Lassnigs Stern am internationalen Kunstparkett stetig steigen wird.

Mit 24 Jahren hatte der Schweizer Hans Ulrich Obrist eine Ausstellung in seiner Küche in St. Gallen kuratiert. 30 Besucherinnen sollen die Ausstellung gesehen haben, die Resonanz in der Kunstszene ist dennoch enorm. Kasper König, Direktor der renommierten Städelschule, wird auf Obrist aufmerksam und lädt ihn ein, die große Festwochen-Ausstellung, in den 90er Jahre eine Wiener Institution, gemeinsam mit ihm zu kuratieren.

Ausschnitt Buchumschlag

VERLAG WALTHER KÖNIG

"Ich habe in meinen jungen Jahren im naiven Glauben gearbeitet, dass sich was Gutes selbst durchsetzt." Maria Lassnig

"Sie werden sich fragen, warum ich so begierig bin, dass diese für mich so wichtige Ausstellung möglichst viel Anklang findet: Ich habe in meinen jungen Jahren im naiven Glauben gearbeitet und nur gearbeitet, denkend, dass sich was Gutes selbst durchsetzt, nun, das hat es nicht, ich habe weder Nachkommen noch Verwandtschaft, die sich meiner Bilder annehmen könnten, so muss ich versuchen selbst noch zu retten, denn meine Bilder sind kaum noch in Museen zu sehn und wenn ich mich verflüchtige werden es diese auch. Vielleicht könnten Sie etwas helfen?"

Das schreibt Maria Lassnig im September 1993, nachdem sie für die Festwochen-Ausstellung "Der zerbrochene Spiegel" zum ersten Mal mit Hans Ulrich Obrist zusammengearbeitet hat. Hofft die betagte Malerin in dem engagierten Mittzwanziger jenen Kurator gefunden zu haben, der ihr dabei helfen kann, internationalen Ruhm zu erlangen? In einem von Männern dominierten Kunstbetrieb musste die Pionierin weiblicher Selbstbestimmung lange auf die ganz große Anerkennung warten. Zeit ihres Lebens hatte sie das Gefühl, übersehen zu werden.

Mit dem Nachtzug von Zürich nach Wien

Kennengelernt haben sich Hans Ulrich Obrist und Maria Lassnig bereits 1985. Als Teenager verbringt Obrist seine Freizeit lieber im Museum als mit Freunden auf dem Sportplatz und besucht namhafte Künstler und Künstlerinnen in ihren Ateliers. In den 1980er Jahren wird er auf die Installations-Pionierin Louise Bourgeois aufmerksam, deren Werk spät, die Künstlerin ist bereits über 70 alt, entdeckt und gefeiert wird. Obrist macht es sich zur Aufgabe, feministische Pionierinnen aufzusuchen, die es nicht in den Kanon geschafft haben und stößt auf die eigenwillige Malerei Maria Lassnig, die zu diesem Zeitpunkt in Wien eine Berühmtheit ist, international aber kaum wahrgenommen wird. 1985, mit 17 Jahren, nimmt Hans Ulrich Obrist den Nachtzug von Zürich nach Wien und besucht Maria Lassnig in ihrem Atelier.

Mehr als 20 Jahre schreibt Maria Lassnig dem heute weltberühmten Kurator Hans Ulrich Obrist, teilt mit ihm ihre Gedanken über die Malerei, verliert sich in Betrachtungen über das alltägliche Leben, das sich zwischen ihrem Wiener Atelier und dem Landsitz im Kärntner Metnitztal abspielt und polemisiert immer wieder gegen das vermeintlich zeitgeistige Medium Fotografie, dem sie gründlich misstraut. Lassnig wehrt sich gegen die Marginalisierung der Malerei im Ausstellungsbetrieb der 1990er Jahre. Den fast 50 Jahre jüngeren Kurator Hans Ulrich Obrist will sie davon überzeugen, dass die im 20. Jahrhundert immer wieder tot gesagte Malerei bis in die Gegenwart eine vitale und zeitgenössische Ausdrucksform geblieben ist. Mit unerschütterlicher Beharrlichkeit arbeitet sie sich an diesem, ihrem Herzensanliegen, ab und läuft bei Obrist offene Türen ein.

"Sie sehen schon an meiner Handschrift, dass ich eine Ruine bin."

Buchumschlag "Maria Lassnig - Briefe an Hans Ulrich Obrist"

Mit den Jahren nehmen Maria Lassnigs Briefe an Hans Ulrich Obrist zunehmend eine melancholische Klangfarbe an. Lassnig beklagt die Mühen des Alters, schreibt vom Abschiednehmen und von der Sorge um ihr künstlerisches Vermächtnis.

"Lieber Hans Ulrich, Sie sehn schon an der Handschrift, dass ich eine Ruine bin, von der niemand weiß, was aus ihr noch werden kann.
Wegen der Malerei, besser mein ganzes Lebenswerk, dass ohne Unterstützung von Nachkommen einsam daliegen wird, hoffe ich sehr sehr, dass Sie geliebter Freund sich seiner erbarmen werden und ich hoffe auch, dass Iwan Wirth und Ursula sich beteiligen werden, vielleicht auch Peter Pakesch."

2013, kurz vor ihrem Tod, wird Maria Lassnig bei der Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Die damals 93-Jährige ist bereits zu geschwächt, um den Preis persönlich entgegenzunehmen. Bis zuletzt widmet sie sich ihrer künstlerischen Arbeit. Sie ist zu gebrechlich, um zu malen. Doch zahlreiche Zeichnungen, die in den letzten Jahren entstehen, zeugen davon, dass sie bis zum letzten Atemzug an ihrer Kunst festhält. Im Jänner 2011 schreibt Lassnig einen letzten Brief an Hans Ulrich Obrist. Sie wird ihn nie abschicken.

"Lieber Hans Ulrich Obrist,
Mit der Kunst zusammen: da verkommt man nicht! Ohne Kunst verkommt man u. ich besonders."

Service

"Maria Lassnig - Briefe an Hans Ulrich Obrist", Hrsg. von Hans Ulrich Obrist, Peter Pakesch & Hans Werner Poschauko für die Maria Lassnig Foundation, Köln 2020
Maria Lassnig Stiftung

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