Mario Vargas Llosa

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Politthriller

"Harte Jahre" von Mario Vargas Llosa

Maria Vargas Llosa hat mit seinen Büchern das Bild Lateinamerikas geprägt, und die Entwicklungen des Kontinents offensiv und wortgewaltig begleitet. Für sein umfangreiches Werk erhielt er 2010 den Nobelpreis für Literatur. Nicht zuletzt war der gebürtige Peruaner, der heute in Madrid lebt, auch als Politiker aktiv. In seinem neuen Roman "Harte Jahre" nimmt er semidokumentarisch Bezug auf eine schier unglaubliche, aber wahre Politintrige der CIA in Guatemala der 1950er Jahre.

Lateinamerikanische Autoren haben ihn immer wieder ins Zentrum ihrer Romane gerückt: den skrupellosen Diktator. Auch das Werk des peruanischen Nobelpreisträgers Mario Vargas Llosas ist geprägt von der Auseinandersetzung mit dem wiederkehrenden Grundübel vieler Länder Lateinamerikas. In seinem neuen Roman führt Vargas Llosa nach Guatemala und erzählt eng an der historischen Wirklichkeit entlang von einem durch die USA unterstützten Staatsstreich und dem rücksichtslosen Kampf um die Macht.

Eine Verschwörung war das alles nicht …

Dabei schien Guatemala Mitte des 20. Jahrhunderts auf einem verheißungsvollen Weg zu sein. Die neue Regierung trieb ein Programm voran, durch das feudale Strukturen auf dem Land aufgebrochen wurden. Den einfachen Menschen im Land eröffnete sich so erstmals eine Perspektive, Armut und Rechtlosigkeit zu entkommen. Die Macht ausländischer Konzerne wurde beschnitten. Vorbild des gewählten Präsidenten Jacobo Árbenz war die USA. Doch eben dort wurden die guatemaltekischen Bestrebungen argwöhnisch verfolgt. Denn die Reformen bedrohten die Monopolstellung des US-amerikanischen Bananenkonzerns United Fruit. Dessen mächtige Führung initiierte eine Fake-News-Kampagne, die vorgab Guatemala befinde sich auf den Weg in den Kommunismus.

Eine Verschwörung war das alles nicht, denn die Propaganda hatte eine aparte Fiktion über die Wirklichkeit gebreitet, und über die schrieben die unvorbereiteten nordamerikanischen Journalisten nun ihre Artikel, die meisten von ihnen merkten nicht einmal, dass sie Marionetten eines genialen Puppenspielers waren.

Oberst Armas war die fleischgewordene Verneinung der militärischen Haltung

Mario Vargas Llosas zeigt in seiner brillanten Eröffnung, wie eine perfekte Propagandamaschine in Gang gesetzt wird, um die privilegierten Bedingungen für United Fruit unter allen Umständen zu erhalten und mithin Veränderungen in Guatemala zu blockieren beziehungsweise rückgängig zu machen. Denn Fortschritte für das Land wären gleichbedeutend mit Rückschritten für den Bananenkonzern. Dieser düstere Roman ist bevölkert von zynischen Politikern und Militärs. Die Abscheu des Autors vor einer besonderen Menschenspezies wird dabei bis in die Kennzeichnung von Körpermerkmalen hinein deutlich. Den Mann, der sich mit Hilfe der CIA an die Macht putscht, beschreibt er so:

Oberst Castillo Armas hatte ein dünnes, holpriges Stimmchen; er war hager, schwächlich, groß und etwas bucklig, die fleischgewordene Verneinung der militärischen Haltung.

Geflecht wechselnder Loyalitäten

Immer wieder zoomt Vargas Llosa nah heran an einzelne, stets abstoßende Figuren, die gekennzeichnet sind durch knotige Finger und Doppelkinn, ein Riesenmaul oder auch den Gang eines Kamels. Die schiere Zahl der Akteure ist nicht leicht zu überblicken, darunter sind Mitarbeiter und Zuträger der CIA, der dominikanische Diktator Trujillo, den Vargas Lllosa bereits in "Das Fest des Ziegenbocks" porträtiert hat, der zynische US-amerikanische Botschafter Peurifoy sowie guatemaltekische Offiziere und Geheimdienstler. Die Nahsicht wechselt mit halbdokumentarischen Passagen, die einen historischer Abriss der Entwicklung geben.

Vargas Llosa zeigt ein komplexes Geflecht der Macht und wechselnder Loyalitäten, Allianzen werden geschmiedet und wieder aufgekündigt, aus einstigen Bündnispartnern können rasch Gegner werden. Die verwirrende Lage spiegelt sich in der Form des Romans, zu dessen Mitteln der Desorientierung gehören Zeitsprünge und abrupte Perspektivwechsel. Zu stabilen politischen Verhältnissen findet das Land nach der Flucht des Präsidenten Jacobo Árbenz nicht. Der neue Machthaber Castillo Armas sieht sich bald selbst bedrängt.

Unter der Dusche und beim Rasieren fragte er sich ein weiteres Mal, wann es damit begonnen hatte, dass alles um ihn herum zusammenbrach.

Am Anfang, vor drei Jahren, war das nicht so gewesen. Natürlich nicht. Er erinnerte sich an seine Ankunft in Guatemala, als er, nach erfolgreich abgeschlossenen Friedensverhandlungen mit den Streitkräften, aus El Salvador kam, Arm in Arm mit Botschafter John Emil Peurifoy, diesem bulligen Gringo, dem er zunächst so misstraut hatte und der sich am Ende ihm gegenüber so tadellos verhielt. ... Drei Jahre später konspirierte Gott und die Welt hinter seinem Rücken gegen die Regierung. Das wusste er sehr gut. Man wollte ihn sogar eliminieren. Natürlich. Selbst sein oberster Mann für die Sicherheit, der Grobklotz, dem er alle polizeilichen und militärischen Spezialkräfte des Landes anvertraut hatte, weil er davon überzeugt war, er würde ihn besser schützen als irgendwer sonst.

Buchumschlag

SUHRKAMP VERLAG

Spannende Erzählung im Politthriller

Die am wenigstens durchschaubare und vielschichtigste Figur in dieser Welt machtbesessener Männer ist eine Frau. Martita Borrero, für die es gleichsam ein historisches Vorbild, jedoch anderen Namens, gibt, ist - anders als die anderen Hauptfiguren im Roman - nicht nur äußerlich keineswegs abstoßend. Früh auf sich allein gestellt wird sie zur Geliebten von Castillo Armas und zugleich zur Zuträgerin für die CIA. Wie sich die wegen ihrer Schönheit Miss Guatemala genannte Frau allen politischen Wechselfällen zum Trotz behaupten kann, gerät zu einer eigenen spannenden und überraschenden Erzählung in diesem Politthriller. Nachdem sie aus Guatemala fliehen muss, weil sie als Verdächtige im Komplott gegen Castillo Armas gilt, macht sie in der von Trujillo regierten Dominikanischen Republik als Radiojournalistin Karriere.

Am Anfang waren es lediglich kurze Kommentare gewesen, die sie immer wieder umformulierte, ehe sie sie vor dem Mikrofon ablas. Doch bald machte sie sich nur noch Notizen und improvisierte. Sie gewann eine große Leichtigkeit, und nicht selten erhitzte sich ihr Gemüt, sie wurde laut, brach gar in Schluchzen aus. Sie kommentierte das aktuelle politische Geschehen in Mittelamerika und der Karibik, es waren erbitterte Attacken gegen wirkliche oder vermeintliche Kommunisten. Dabei waren Kommunismus und Kommunisten für sie Wörter, die ein breites Spektrum an Menschen verschiedenster Ideologien und Schattierungen umfassten und auf all jene passten, die noch lebende oder verstorbene Diktatoren ... angriffen oder kritisierten, all die gegenwärtigen und vergangenen südamerikanischen Diktaturen, deren glühendste Verteidigerin und Propagandistin sie war.

Wie ein Land ins Chaos gestürzt wurde

Der Roman endet mit dem Besuch des Erzählers, den man an dieser Stelle mit dem Autor Mario Vargas Llosa durchaus gleichsetzen darf, bei der Frau, nach deren Vorbild Martita Borrero gezeichnet ist. Sie lebt an der US-amerikanischen Ostküste in einem Haus voller Pflanzen und Vögel. Vargas Llosa hofft, von ihr exklusive Auskünfte zu bekommen, um so die verbliebenen Lücken in seinem penibel recherchierten historischen Material schließen zu können. Doch er erfährt nicht mehr als das, was er ohnehin weiß, anderes bleibt zweifelhaft:

Manchmal habe ich den Eindruck, dass in ihrem Kopf die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen, ohne dass sie es selber merkt, und andere Male, dass sie diese Wirrnis äußerst klug bewirtschaftet. Auch weiß sie bestimmt sehr viel mehr, als sie mir erzählt, und fantasiert auch schon mal, wenn ihr danach ist.

Auch der Schriftsteller Mario Vargas Llosa fantasiert in seinem Roman, aber es ist ein Erfinden, dem es nicht darum geht, die Wahrheit zu verbergen, sondern im Gegenteil darum, sie zu enthüllen und im Erzählen kenntlich zu machen. So ist ein Roman entstanden, der zeigt, wie ein Land ins Chaos gestürzt wurde, damit es weiterhin eine Bananenrepublik blieb.

Text: Holger Heimann

Service

Mario Vargas Llosa, "Harte Jahre", aus dem Spanischen von Thomas Brovot, Suhrkamp. Originaltitel: "Tiempos recios"

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