Landkarte aus der Zeit der Habsburger Monarchie

ALEXANDRA RIEDER

Das Objekt der Begierde

Michelstettner Schule

Auf dem Schulberg in Michelstetten im Weinviertel, gleich gegenüber der Kirche, steht eine Schule, in die jede und jeder gerne geht: Die Michelstettner Schule.

Bis 1972 war das eine Volksschule, in der die Kinder des Dorfes dicht an dicht auf alten Holzbänken saßen. Als sie wie viele kleine Landschulen geschlossen wurde, war der Lehrer und spätere Schuldirektor Rudolf Lukschanderl so klug, die alte Einrichtung und all die Unterrichtsgegenstände zu retten und das "Niederösterreichische Schulmuseum" einzurichten.

Mittlerweile besitzt der Verein, der das Schulmuseum betreut, 55.000 originale Schulobjekte. Darunter befinden sich sechs komplette Klassenensembles aus alten Zeiten, eine Vielzahl an Landkarten und Büchern, Schultafeln, Schautafeln, diverse Lehrbehelfe und Dokumente aus vergangenen Schultagen.

Zwischen 2005 und 2007 wurde das Schulmuseum umgebaut; heute ist es eine liebevoll und mit vielen Details eingerichtete Schule mit erlebbaren Klassenräumen, erzählt Alexandra Rieder, die Obfrau des Vereins Niederösterreichisches Schulmuseum: „Wir sind kein typisches Museum, denn in einem Museum heißt es ‚Finger weg, nichts berühren!‘ Das ist bei uns anders. Bei uns darf man sich in die Bänke reinsetzen, wir gehen durch fünf gelebte Schulklassen, und man kann natürlich auch noch etwas lernen.“

Ein historisches Klassenzimmer

ALEXANDRA RIEDER

In den Klassenräumen kann man sich zum Beispiel in den Schulalltag um 1920 hineinversetzen. Wer heute über zu hohe Schülerzahlen klagt, möge sich vorstellen, wie es damals zugegangen ist. Museumsleiterin Maria Kranzl zeigt auf die ca. zwei Meter langen, unbequem aussehenden Bank- und Tischreihen und erklärt: „In diesen Bänken sind 60 Kinder gesessen. Das heißt, in jeder Bankreihe sechs Kinder. Das waren aber noch wenig, weil vor 150 Jahren beschlossen wurde, die Klassenschülerhöchstzahl auf 80 zu senken.“

Frontalunterricht war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein üblich – von Ergonomie keine Spur. Hier haben die Kinder von November bis März an fünf Tagen der Woche den ganzen Tag gelernt. Den Rest des Jahres mussten sie daheim am Bauernhof arbeiten.

In den fünf verschieden eingerichteten Klassenzimmern findet man auf Regalen und in Glasschränken Modelle von Pilzen, Knochen von Tieren, einen Globus, Schrifttafeln, einen Holzzirkel, ein Mikroskop und vieles mehr.

An den Wänden aller Klassen hängen Schautafeln mit gezeichneten und gemalten Tieren, Pflanzen, Landschaften, Gebäuden und Szenerien. Maria Kranzl: “Das war ein ganz wichtiges Unterrichtsmittel für den Lehrer, um den Kindern Dinge zu zeigen, die außerhalb ihrer Lebensumwelt waren, weil es ja keine Filme gab. Es gab auch kaum Bücher mit Bildern, und hinfahren haben sie auch nicht können. Und so hat der Lehrer da etwas zeigen können.“

Die Michelstettner Schule beherbergt rund 15.000 solcher Schautafeln, die nicht nur schön anzusehen sind, sondern auch viel über die Ereignisse, Errungenschaften und den Bildungskanon ihrer jeweiligen Zeit aussagen.

Landkarte aus der Zeit der Habsburger Monarchie

ALEXANDRA RIEDER

Für die Museumsleiterin Maria Kranzl ist das spannendste Objekt der Michelstettner Schule eine große Landkarte aus der Zeit der Habsburger Monarchie: „1919, nach dem Ersten Weltkrieg und den Beschlüssen von St. Germain, ist ja die Monarchie zerfallen, und die Grenzen wurden geändert. Ein Lehrer hat dann zum Pinsel gegriffen und mit der Hand die neuen Grenzen eingezeichnet. Das sagt uns, dass so schnell keine neuen Lehrmittel zur Verfügung standen. Jeder Lehrer musste irgendwie schauen, wie er zurechtkommt.“

Für Alexandra Rieder, die Obfrau des Museumsvereins, ist der allergrößte Schatz des Museums ein immaterieller: „Für mich ist das Spannendste die Reaktion der Besucher, die hierherkommen. Da kommen zum einen die Senioren, die sich in die Klassen setzen und sagen, ja, so hat es ausgeschaut. Und zum anderen die Kinder, die sagen, so ist unterrichtet worden?! Und selbst die, die Schule nicht mochten, finden in unserem Schulmuseum etwas, wo sie sich doch gerne an die Schulzeit erinnern.“

Zwischen den historischen Klassenzimmern, sozusagen im Pausenbereich, kann man auch Maria Theresia treffen, schwerelos sein, rechnen und schreiben wie früher, elektrische Flöhe zum Springen bringen oder den Schulgarten bewundern.

Gestaltung

  • Sonja Bettel

Übersicht