Wurzel-Jesse-Monstranz

DOMMUSEUM WIEN

Das Objekt der Begierde

Dommuseum Wien

1933 wurde das heutige Dommuseum Wien als „Erzbischöfliches Dom- und Diözesanmuseum“ gegründet, 2012-2017 ließ man die Ausstellungsräume im Zwettlerhof gleich neben dem Stephansdom von Architekt Boris Podrecca umbauen und die Sammlung neu ausrichten.

Das „Objekt der Begierde“ steht sinnbildlich für diesen neuen Weg und befindet sich in einer Vitrine: „Im Zentrum ist eine wunderbare Barockmonstranz, eine `Wurzel-Jesse-Monstranz`, die wir für die Wiedereröffnung restaurieren haben lassen. Und im Hintergrund sieht man feine Zeichnungen, auch einen Sockel aus Holz, der bezeichnet ist. Das ist eine Arbeit der Gegenwartskünstlerin Iris Andraschek, die sich mit diesem Objekt, mit seiner Geschichte, mit dem Restaurier-Bericht befasst hat, es im zerlegten Zustand gezeichnet hat und Fragen aus der Gegenwart auf dieses barocke Sakralobjekt richtet“, erklärt Direktorin Johanna Schwanberg.

Wurzel-Jesse-Monstranz

DOMMUSEUM WIEN

Das kostbare Behältnis zur Verehrung der Hostie (Jakob Schlager, 1630) zeigt einen liegenden Mann, aus dessen Brust ein Baum wächst - Jesse, den biblischen Stammvater, der buchstäblich die „Wurzel“ der Monstranz darstellt. Auf den äußeren Ästen finden sich in runden Medaillons Porträts der Vorfahren Christi. Genauer: zwölf jüdische Könige, die wie Früchte auf dem Baum wachsen. Eine Darstellung der Dreifaltigkeit betont die Mittelachse, obenauf ist ein mit Schmucksteinen veredeltes Kreuz.

„Wir haben hier eine Art Lebensbaum; das ist natürlich ganz wichtig im christlichen Kontext, und das Spannende ist, dass diese ganz transparente Zeichnung im Hintergrund nicht geschlossen ist, sondern eher so wie eine Explosion alle Elemente der Monstranz in Einzelteile zerlegt“, beschreibt die Kunsthistorikerin die Arbeit von Iris Andraschek mit dem Titel „Et erit via residuo populo meo qui relinquetur ab Assyriis sicut fuit Israhel in die qua ascendit de terra Aegypti“ (2017).

Wurzel-Jesse-Monstranz

DOMMUSEUM WIEN

Schrauben und Ornamente der ausgestellten Monstranz fliegen auf der großformatigen Zeichnung wie nach einem Urknall durch die Luft. Die Künstlerin bezieht sich dabei auf die alttestamentarische Bibelstelle, in der die Wurzel Jesse erwähnt wird und die auf den zukünftigen Messias verweist. Der soll Gottes Gericht, aber auch eine endzeitliche Wende zu universalem Frieden, Gerechtigkeit und Heil bringen.

Eine Zeitwende also, die der heutigen nicht unähnlich ist, denn auch unsere Welt ist zersplittert und nicht mehr zu fassen, meint Johanna Schwanberg, „und die Geschlossenheit dieser baumartigen Monstranz im Kontrast zu diesen kleinteiligen Gegenwartszeichnungen ist da natürlich unglaublich spannungsvoll und intensiv. Das fordert die Besucher zu ganz vielen Fragen auf.“

Zwischen sakral und profan

Überhaupt versteht sich das Dommuseum Wien nicht als reiner Wissensvermittler. Schon die Lage deutet einen „Brückenbau“ an, betont die Kunsthistorikerin: „Weil es sich auch räumlich zwischen dem Dom und zwischen einer Geschäftsstraße, der Wollzeile befindet. Also auch hier wird der Bogen gespannt zwischen sakral und profan, und in der Mitte sind wir als Dommuseum Wien, das diesen Bogen herstellt.“

Das war aber nicht immer so: Zu seiner Eröffnung 1933 - damals in den Prunkräumen des Erzbischöflichen Palais in der Rotenturmstraße - wollte man vor allem Anschauungsmaterial für den kirchenkunstgeschichtlichen Unterricht bereitstellen; die Schausammlung war in Epochen gegliedert.

Die große Sammlung Msgr. Otto Mauers

1973 zog das Museum in den Zwettlerhof um, wo es sich heute noch befindet. Neben Kunst und Kirche kam das Thema Gesellschaft als zentrale Säule der Sammlung hinzu. Nach dem Umbau und der Wiedereröffnung 2017 wurden die Räume nicht mehr nach Epochen, sondern nach Leitmotiven gegliedert.

Und: Zu den sakralen Gegenständen des Domschatzes oder dem ersten Dreiviertelporträt des Abendlandes gesellte sich noch ein weiterer Schatz: „Die große Sammlung Msgr. Otto Mauers, mit 3000 Werken österreichischer Nachkriegsavantgarde, darunter große Namen wie Maria Lassnig, Arnulf Rainer, Joseph Beuys. Dass es diese beiden Pole hier gibt und das Museum sowohl gegenwärtige Blicke spiegelt als auch eine Rückbindung in die Geschichte hat, das ist ja gerade das Spannende an unserem Haus.“

In der Tradition von Monsignore Otto Mauer - der als Domprediger, Seelsorger, Priester, Galerist und Kunstkritiker die Gegenpole Kirche und Gegenwartskunst zu verbinden suchte - steht das Dommuseum auch heute. Der alljährlich an junge in Österreich lebende Künstlerinnen und Künstler verliehene Otto-Mauer-Preis bedingt den Ankauf zeitgenössischer Arbeiten und garantiert die ständige Erweiterung der Sammlung des Museums, so Johanna Schwanberg, „und das finde ich so wichtig für ein Museum aber auch für andere Orte in der Gesellschaft, dass sie eben diese Trennungen überbrücken. Zwischen Religionen, zwischen Gesellschaftsschichten, aber auch zwischen Interessen in Bezug auf Kunst.“

Gestaltung: Andreas Maurer

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