Tsuruoka Hachimangu, ein symbolischer Schrein in Kamakura

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Japan. 1945 bis heute

Acht Millionen Götter und ein Tenno - Japans Religionen

In Japan ist der Shinto, also übersetzt der Weg der Götter, immer noch eine Volksreligion. Auch dem Buddhismus fühlen sich viele Japanerinnen und Japaner nahe. Seit jeher mischen sich auf den Inseln verschiedene Einflüsse, so beispielsweise auch Taoismus und Konfuzianismus. Und all diese Lehren spielen immer noch eine Rolle. Obwohl sich viele Japanerinnen und Japaner gar nicht als religiös bezeichnen würden.

Die oberste Göttin des Shinto ist die Sonnengöttin Amaterasu, die als Begründerin des japanischen Kaiserhauses gilt. In der Nähe von Kyoto, in Ise, ist ihr ein zentrales Heiligtum aus Holzschreinen gewidmet. Typisch für die Shinto-Tradition: Den Anhängerinnen und Anhängern ist es verboten, ins Innere vorzudringen, nur Shintopriester und der Tenno haben Zugang.

Der Religionswissenschaftler und Japan-Experte Franz Winter erklärt, dass die Sonnengöttin eine der wichtigsten sogenannten Kami ist, die im Shinto verehrt werden. „Kami bedeutet Gott bzw. Götter und davon gibt’s in der japanischen Tradition sehr viele. Einerseits solche, die in den mythologischen Texten vorkommen, andererseits auch historische Persönlichkeiten und sehr viele lokale Gottheiten – das können zum Beispiel Quellen sein oder Bäume, die verehrt werden.“

Priester des Yasukuni-Schreins bereiten ein Shinto-Ritual vor

Priester des Yasukuni-Schreins bereiten ein Shinto-Ritual vor.

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Der Begriff Kami hängt mit der Idee zusammen, dass es sich um etwas handelt, das Ehrfurcht hervorruft. Dem Shinto zugrunde liegen die zwei ältesten mythologischen Texte Japans. Dort ist von sehr vielen Kami die Rede, von acht Millionen Göttinnen und Göttern gar. Franz Winter: „Ob es jetzt acht Millionen sind oder nicht – ich glaube, es hat noch niemand durchgezählt. Vermittelt werden soll damit einfach, dass es unüberblickbar viele gibt und dass die mythologische Tradition undurchdringbar ist.“

Erste Zeugnisse des Shinto gibt es in Japan erst mit Aufkommen der Schrift, in der Region also vergleichsweise spät, sprich ab 700 bzw. 800 der Zeitrechnung. Und man könne den Shinto auch nie losgelöst vom Buddhismus betrachten, sagt der Religionswissenschaftler von der Universität Graz. „Diese beiden Religionen haben eine symbiotische Beziehung entwickelt. Viele Dinge, die eigentlich typisch buddhistisch waren, sind in den Shinto übergegangen, und umgekehrt hat auch der Buddhismus h viele Figuren aus der lokalen Shinto-Tradition übernommen. Man kann oft nicht mehr auseinanderdröseln, was ist Shinto und was ist Buddhismus.“

Die große Buddahstatue des Todaiji Tempels

Die große Buddahstatue im Todaiji Tempels in Nara.

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Ab Mitte, Ende des ersten Jahrtausends haben sich verschiedene Schulen des Buddhismus auf den Inseln ausgebreitet. Besonders populär wurde der sogenannte Reine-Land-Buddhismus: „Das ist der Buddhismus, dem die meisten Japaner anhängen. Also wenn sich jemand als Buddhist deklariert, ist er wahrscheinlich ein sogenannter Reine-Land-Buddhist.“ Bei dieser Form des Buddhismus steht die Verehrung eines transzendenten Buddha, der in einem Paradies lebt, im Mittelpunkt. Ihn, den Amida-Buddha, ruft man als Retter und Erlöser an.

„Diese Spielart hat sich in China entwickelt und wurde in Japan auf der volksreligiösen Ebene stark rezipiert“, sagt Franz Winter. Zur gleichen Zeit, im 12., 13. Jahrhundert, entwickelt sich in Japan der im Westen eher bekannte Zen-Buddhismus: „Der war aber eher ein Elitenphänomen und nicht der Buddhismus Japans. Ursprünglich war er vor allem mit den Samurai (Kriegerstand) und der Aristokratie generell verbunden.“

Nur in der westlichen Wahrnehmung sei der Zen-Buddhismus in den 1960er Jahren zu dem Buddhismus Japans geworden, weil er sich gut an andere Kontexte anpassen ließ, so der Religionswissenschaftler. In Japan selbst entsteht im 13. Jahrhundert der sogenannte Nichiren-Buddhismus, die insgesamt zweit wichtigste buddhistische Strömung.

Für Japaner bedeutet Religion nichts Inhaltliches

Japanerinnen und Japaner würden sich heute aber wohl mehrheitlich als nicht-religiös bezeichnen, schildert Japan-Experte Franz Winter. „Der japanischer Begriff für Religion ist in erster Linie mit institutionalisierter Religion verknüpft, also im Sinne von Mitglied sein in einer religiösen Institution, einer Gemeinschaft, einem Orden, einem Kloster, einer neureligiösen Bewegung etc.“ Das seien wenige, was aber nicht bedeute, dass Japanerinnen und Japaner beispielsweise keine Shinto-Rituale in den Schreinen ausführen, so Winter.

Der Philosoph und Sprachenlehrer Akio Yokoyama, der seit mehr als 20 Jahren in Österreich lebt, versucht das unterschiedliche Verständnis des Begriffes "Religion" zu erklären: „Für Japaner bedeutet Religion nichts Inhaltliches wie bei den Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum, Islam. Es geht eher darum, wie man das Alltagsleben führen soll, also um die Form des Lebens, den Lebensstil.“ Auch er unterstreicht, dass die Bindung an eine religiöse Institution in Japan oft nicht wichtig sei: „Um sich selbst als religiös zu verstehen, braucht man nicht zum Beispiel in eine Kirche gehen, sondern sollte das Alltagsleben entsprechend führen. In diesem Sinn sind die Japaner religiös genug“, lacht Akio Yokoyama. Das Positive an diesem Religionsverständnis sei: „Alles kann zusammen vorhanden sein, alles darf da sein. Man muss nichts ausschließen.“

Der japanische Kaiser auf dem Weg zu einem rituellen Treffen mit der Sonnengöttin Amaterasu

Der japanische Kaiser auf dem Weg zu einem rituellen Treffen mit Sonnengöttin Amaterasu

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Als der Tenno zugeben musste, dass er ein Mensch ist, hat das zu einem kompletten Umdenken in der japanischen Gesellschaft geführt.

Vor 75 Jahren ist der Zweite Weltkrieg auch im Pazifik zu Ende gegangen. Nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki hat der Tenno, Japans Kaiser, die Kapitulation bekannt gegeben. Und darüber hinaus hat sich auch seine religiöse Rolle - als Nachfolger der Sonnengöttin Amaterasu - seit damals radikal geändert. Die Gesellschaft wurde durch das unvorstellbare Leid nach dem Abwurf der beiden Atombomben am 6. und am 9. August 1945 massiv traumatisiert, sagt Kazuko Kurosaki. „Aber noch mehr durch die Niederlage im Krieg – und dadurch, dass der Tenno zugeben musste, dass er ein Mensch ist und nicht göttlicher Abstammung. Das hat zu einem kompletten Umdenken in der japanischen Gesellschaft geführt.“

Was war passiert? Der japanische Kaiser, der Tenno (übersetzt „Himmlischer Herrscher“), war bis dahin ein Symbol der nationalistischen Staatsideologie Japans. An seinem göttlichen Ursprung durfte bis zur Niederlage niemand zweifeln, Kriegsverbrechen wurden in seinem Namen verübt. Nach dem Zweiten Weltkrieg unter US-amerikanischer Besatzung musste der Tenno aber alle politischen Funktionen abgeben. Die Trennung von Religion und Staat wurde in der Verfassung verankert.

Franz Winter erklärt dazu: „Vor allem in den 1920er und 1930er Jahren hat man die Bevölkerung massiv auf den Tenno eingeschworen, er war der Gott, den man verehrt hat und dem man zu folgen hat. Das muss also schon ein sehr eigentümlicher Akt gewesen sein, als der Tenno den Leuten über eine profane Radio-Ansprache erklärt hat, dass er eigentlich kein Gott ist.“ Das habe aber erstaunlich gut funktioniert. Die Japanerinnen und Japaner haben es insofern akzeptiert, als die Institution des Tenno beibehalten wurde und sich aber Hirohito selbst und seine Nachfolger in diese Entwicklung gefügt haben, sagt Franz Winter.

Friedensarbeit ist auch eine lebenslange Arbeit an sich selbst.

Eine weitere nachhaltige Auswirkung des Endes des zweiten Weltkrieges und der Atombombenabwürfe war ein breite - auch religiös inspirierte - Friedensbewegung. Der buddhistische Mönch Gyosei Masunaga hat die Friedenspagode am Wiener Handelskai mit aufgebaut. Der 75-jährige Japaner widmet sich dort seit 38 Jahren dem Tempeldienst, der Pflege der Pagode und der gesamten Anlage.

Die Friedenspagode ist Anfang der 1980er Jahre im Gedenken der Opfer der Atombomben errichtet worden, sie ist eine von 80 Friedenspagoden weltweit. "Der Grund, diese Pagode zu bauen, war weltweite Friedensarbeit. Und das bedeutet natürlich, gegen Atomwaffen zu sein und der Opfer der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki zu gedenken. Deshalb veranstalte ich hier jedes Jahr eine Friedens- und Gedenkzeremonie Anfang August“, sagt Mönch Masunaga.

Er ist im Jahr der Atombombenabwürfe 1945 geboren und fühlt sich deshalb besonders verpflichtet, sich für den Frieden und gegen Atomwaffen einzusetzen. "Meine Gemeinde setzt sich aus Menschen zusammen, die am Buddhismus interessiert sind und lernen möchten, und aus Aktivisten, die hier Frieden spüren und am Frieden weiterarbeiten möchten“, erzählt er. Menschen wie Aiko Kazuko Kurosaki. Sie sagt, Friedensarbeit hat viele Facetten und beginnt bei ihr selbst: „Der Mensch hat seine Emotionen und seine Aggressionen, jeder Mensch und ich auch. Friedensarbeit ist auch eine lebenslange Arbeit an sich selbst. Es bedeutet, nicht nur an anderen etwas verbessern zu wollen, sondern auch an sich selbst.“

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