Tanja Elisa Glinsner

Tanja Elisa Glinsner - THERESA PAWEL

Ö1 Talentebörse

Tanja Elisa Glinsner, Komposition - Gewinnerin des Ö1 Talentebörse-Kompositionspreises 2020

Die Oberösterreicherin Tanja Elisa Glinsner, geboren 1995 in Linz, studiert derzeit gleich mehrere Fächer: Dirigieren, Gesang und Komposition.

Was ist Kunst?

Ich denke, die Frage danach, was Kunst sei, begleitet einen ein Leben lang und die Antwort darauf ändert sich auch gemäß der menschlichen, charakterlichen und musikalischen Reife. Daher ist die Definition von Kunst, für mich eine sehr subjektive, persönliche Angelegenheit. Für mich ist Kunst – kitschig gesagt - ein Spiegel der Seele, ein Ausdruck, einer Auseinandersetzung mit tiefen Emotionen oder gesellschaftlich oder persönlich bedeutsamen Thematiken und Problematiken. Zudem
ist sie eine Sprache der Ästhetik. Was ist sie nicht?

Kunst unter keinen Umständen ein Mittel, weder zu jeglicher Art der Selbstdarstellung, noch der Selbstaufwertung – sie ist frei von jeglichem Stolz und ist in einer idealen Welt, weder eine soziale noch eine kommerzielle Währung. Die für mich alles entscheidende Komponente der Kunst – so vielschichtig sie auch sein mag – ist die Authentizität der Umsetzung, die Ehrlichkeit, die in jedem Ausdruck liegt.

Wie sind Sie zur Kunst gekommen?

Die Frage „Wie sind Sie zu Kunst gekommen“ impliziert, bereits „angekommen“ zu sein – ich sehe Kunst aber als einen ständigen Prozess, als eine lebenslange Suche, ich strebe nach Kunst in allem, was ich tue in der Hoffnung, eines Tages eine Künstlerin zu sein oder zurückblicken zu können, und sagen zu können, ich bin meinen ganz persönlichen Weg gegangen und er war tatsächlich der einer Künstlerin. Jetzt zu behaupten, ich sei eine Künstlerin – ließe darauf schließen, dass ich ein statisches Selbstbild verträte und würde wiederum verursachen, dass ich nicht mehr nach Kunst strebe, und mich daher auch nicht mehr weiterentwickeln könnte.

Eindeutiger wäre die Frage, „Wie bin ich zum Musizieren gekommen?“ zu beantworten: Im Alter von 5 habe ich den Unterricht für musikalische Früherziehung an der LMS Pregarten besucht, und habe infolgedessen so meine 1. Geigenlehrerin kennengelernt. Kurz daraufhin folgten Unterricht in Violine, Akkordeon, Klavier und Saxofon. Meine Eltern sind keine Musiker, aber es wurde zu Hause immer fleißig musiziert. Ich besuchte den Musikzweig des Akademischen Gymnasiums Linz, wie auch die Akademie der Begabtenförderung an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz und nahm dort Unterricht in Violine und Komposition. So führte eins zum anderen.

Kommt Kunst von können, müssen oder wollen?

Alle drei Aspekte sind mitinbegriffen. Das „Können“ kann auf zweierlei Art und Weise verstanden werden: 1. Insofern bestimmte Vorbedingungen gegeben sind – z.B: das Aufwachsen in einem bestimmten, sozialen, kulturinteressierten Umfeld, eine günstige finanzielle Situation, Zugang zu Unterrichtsmöglichkeiten etc. 2. Auf das fachliche, handwerkliche Können zuzüglich des umstrittenen Aspektes des Talents, welcher – meiner Meinung nach – wiederum in einem engen Wechselspiel mit dem Aspekt des „Wollens“ steht. Denn zu einem großen Teil ist Kunst immer auch ein „Wollen“ – dieses resultiert zudem in einer Bereitschaft, seine Zeit und Energie darin zu investieren, da bereits eine gewisse Wertschätzung gegenüber der Kunst besteht. Aus diesem Grund ist man auch bereit, einen tiefen emotionalen Bezug zu ihr aufbauen bzw. zu empfinden und infolgedessen beginnt man, sich künstlerisch auszudrücken.

Nur „Wollen“ ist allerdings auch nicht genug, da die Gefahr besteht, dass dieses Wollen eher auf die eigene Selbstdarstellung gerichtet ist und nicht wirklich dem eigentlichen Interesse, dem Streben nach dem Kern eines Kunstwerks gilt. Ist dieses allerdings nicht gegeben, kann der Umgang, den man mit der Kunst pflegt, keinesfalls ein respektvoller sein. Kunst, wie ich sie verstehe ist vor allem eins, nämlich ein ehrlicher Ausdruck und diesem gebührt Respekt. An der Grenze zwischen wollen und müssen würde ich den Künstler als solchen definieren. Natürlich im Sinne eines Zwangs, der nicht von außen kommt, sondern von innen. Er wird bestimmt durch einen unerschütterlichen Willen - einem unbändigen Willen zum Ausdruck. Als Künstlerin besteht für mich der Reiz darin, dass sich in diesem Willen, in diesem eigentlichen Müssen die Möglichkeit findet, wiederum sich selbst bzw. zu sich selbst zu finden.

Wo würden Sie am liebsten auftreten?

Als Komponistin ist mir das „Wo“ nicht so wichtig, eher das „was“, „wie“ und „mit wem“, wie auch die Antwort auf die Frage, wie sehr das Projekt bzw. der jeweilige Auftrag meine persönliche Entwicklung fördern würde. Allerdings muss ich schon zugeben, dass große Konzert- und Opernhäuser mit wunderbarer Akustik, wie der des Concertgebouw, des Wiener Musikvereins oder der Elbphilharmonie eine besondere Anziehung auf mich ausüben. Dies besonders, wenn ich auch meine Tätigkeit als Sängerin und Dirigentin bedenke.

Mit wem würden Sie gerne zusammenarbeiten?

Für meine Zukunft als Komponistin würde ich mir sehr wünschen, öfter die glückliche Gelegenheit zu erhalten, mit großen und bedeutenden orchestralen Klangkörpern arbeiten und somit weiter meine orchestrale Klangsprache verfeinern zu dürfen. Eine andere große Herausforderung wäre eine Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Spitzenensembles wie dem Klangforum Wien oder Ensemble intercontemporain. Besonders in Hinblick auf meine sängerische und dirigentische Tätigkeit, wäre es für mich das Größte, – in welcher Form auch immer – die Gelegenheit zu erhalten, von den beiden großartigen Sängerinnen und Dirigentinnen in Doppelfunktion, Nathalie Stutzmann und Barbara Hannigan, lernen zu dürfen. Da mir meine Stimme den Weg über die Barockoper hin zum dramatischen Weg geradezu vorgibt, wäre es ein anderer Traum von mir, mit Dirigenten wie René Jacobs und William Christie arbeiten zu dürfen.

Wieviel Markt verträgt die Kunst? Und wieviel Kunst verträgt der Markt?

Würden wir in einer idealen Welt leben, wäre Musik in all ihren Formen für alle Menschen leicht zugänglich. Mir ist bewusst, dass klassische Musik leider noch immer eine relativ elitäre Angelegenheit ist.

Wofür würden Sie Ihr letztes Geld ausgeben?

Als Kind war der einzige Gegenstand von für mich materiellem Wert, den ich mir selbst im Alter von 8 erspart hatte, ein eigenes Pianino gewesen. Meine Eltern hätten es auch aus Freundschaft als Geschenk erhalten – sie meinten allerdings, dass es meiner Charakterbildung dienlich sein könnte, wenn ich die 700,- mir selbst erspare. Es hatte 2,5 Jahre gedauert. Längerfristig gesehen - für einen kleinen Ort der Ruhe, an dem ich die Verbindung von Musik und Natur wirklich spüren kann. Im Lärm der Stadt und des Alltags fällt es mir oftmals schwer, die eigenen musikalischen Gedanken zu empfinden, zu hören und zu verfolgen. Kurzfristig gesehen, würde ich mein letztes Geld wahrscheinlich für Klavier- bzw. Korrepetitions- und Gesangsstunden ausgeben, und zwar bei einigen wenigen Menschen, die mir persönlich sehr ans Herz gewachsen sind und meine musikalische wie menschliche Entwicklung über Jahre hinweg begleitet, gefördert und gefordert haben und in deren Urteil ich absolutes Vertrauen habe.

Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?

Vielleicht gerade an meinem Lebensmittelpunkt in Wien oder auf dem Weg zum nächsten Engagement irgendwo in der Welt, im Gepäck meine Abschlüsse, erfüllende Erfahrungen, Motivation, sowie hoffentlich die menschliche Stärke und Reife, die diese Art des Lebens erfordert.

Haben Sie einen Plan B?

Nein. Aber ich glaube, dass ich durch meine derzeitig noch 4 Studien, von welchen ich Komposition und Gesangspädagogik in nächster Zeit abschließen werde, relativ breitgefächert aufgestellt bin.

Wann und wo sind Sie das letzte Mal unangenehm aufgefallen?

Das Wann und Wo lässt sich nicht genau sagen. Ich habe oftmals das Gefühl, dass ich alleinig durch meine Meinung, dass sich meine künstlerischen Tätigkeiten – der Gesang, das Dirigieren und die Komposition – gegenseitig ergänzen und bereichern, durch meine tiefe Überzeugung, dass mein eigener Weg darin besteht, diese als Ganzes zu betrachten, zu verfolgen und weiterzuentwickeln und nicht darin, mich eines oder zweier meiner Persönlichkeitsteile zu entledigen, negativ auffalle. Ich habe mehrmals versucht, mich entweder für den Gesang ODER das Dirigieren zu entscheiden. Das resultierte aber jedes Mal in einem Gefühl von Unvollständigkeit und Unzufriedenheit. Daher entspricht die Entscheidung, zumindest anzustreben, beides zum Beruf zu machen, einer absoluten inneren Notwendigkeit.

Wollen Sie die Welt verändern?

Ich bin davon überzeugt, dass Kunst das Potenzial hat, die Welt zu verändern. Lernt man feinsten Nuancen zuzuhören und sie in gewisser Hinsicht zu verstehen – wobei schon allein das Bemühen um Verständnis entscheidend ist – so bin ich sicher, dass dadurch auch die Fähigkeit des einander Zuhörens, wie auch die Bereitschaft zu Empathie und Geduld im zwischenmenschlichen Bereich gefördert werden kann. Ich bin davon überzeugt, dass Musik die Fähigkeit hat, im Unterbewusstsein, bildlich gesprochen, Knoten zu lösen, wodurch ermöglicht wird, sich in meditative, fast tranceartige Zustände zu begeben, in welchen man sich selbst näherkommt. Auf „die Welt“ nehme ich also nur indirekt Einfluss, aber auf die Seelen der Menschen – so zumindest meine Idealvorstellung – ganz direkt. Auch wenn die Möglichkeiten, diese
Einflussnahme zu kontrollieren oder nachzuweisen natürlich sehr bescheidene sind.

Aber auch auf anderen Ebenen kann man als Künstler etwas verändern. Etwa durch die kritische Stellungnahme zu Themen unserer Gesellschaft, aber auch durch die Weitergabe musikalischer Kenntnisse. So ist es immer ein wunderbarer Moment, wenn ich merke, dass meine Klavierschülerin dadurch, dass sie einen bestimmten Aspekt der Musik näher verstanden hat, wieder auch einen kleinen Teil ihrer selbst besser kennen und verstehen gelernt hat.