Tresore

SCHELL COLLECTION

Das Objekt der Begierde

Schell Collection

Ein ganzes Museum nur für Schlüssel und Eisen? Was zunächst wenig aufregend anmuten mag, offenbart faszinierende Einblicke in die Kulturgeschichte.

Die Schell Collection ist ein reines Privatmuseum, erklärt Martina Pall, die wissenschaftliche Leiterin des Museums. Ein Hobby von Hanns Schell, Eisenwarenhändler, Extrembergsteiger und: Schlüsselsammler.

Das Museum liegt etwas außerhalb von der Grazer Innenstadt im Lendviertel. Vor kurzem befand sich auf dem Parkplatzgelände noch ein Supermarkt. Aktuell wird umgebaut, und in Kürze soll das Gebäude neben anderen Wohnhäuser inmitten einer Grünanlage stehen.

Colleoni Schlüssel

SCHELL COLLECTION

Die Schell Collection besteht aus drei Stockwerken mit 2.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Jedes der Stockwerke ist einem anderen Schwerpunkt gewidmet. Aber immer unter der Prämisse Eisen oder versperrbar.

Angefangen hat alles mit dem Stein vor der Höhle, mit dem sich der Mensch vor wilden Tieren zu schützen versuchte. Die Technik hat sich seither freilich weiterentwickelt, doch das Grundprinzip von Schlössern – Heben und Schieben – bleibt immer das Gleiche, erklärt Martina Pall. Egal ob ein modernes Stahlzylinderschloss, Sperrvorrichtungen bei den Römern oder ein altes Schloss von einem Bauernhaus aus Holz geschnitzt.

Im Hauptbereich der Sammlung im ersten Stock des Museumsgebäudes sind Ständer aufgebaut, auf denen unterschiedliche Schlösser angebracht sind. Die Besucher dürfen hier selbst Hand anlegen und die Technik des Hebens und Schiebens erforschen. Ein unbeweglicher Riegel wird durch Fallen fixiert. Erst mit Hilfe eines Schlüssels werden die Fallen hochgehoben und der Schieberiegel somit freigängig. Das Schloss kann auf- und zugsperrt werden.

Der Schlüsselsammler Hanns Schell war früher Geschäftsführer der Firma Odörfer, einer großen Grazer Eisenwarenhandlung. Ein Schaufensterdekorateur schlug vor, alte Schlösser als Dekoration neben den industriell gefertigten Schlössern in der Auslage zu verwenden. Das war der Anfang der weltweit größten Sammlung auf dem Gebiet des versperrbaren Eisens – vor mittlerweile über 50 Jahren. Die Schell Collection publiziert Kataloge und ist wichtige Anlaufstelle für internationale Händler und Liebhaber.

Martina Pall führt vorbei an unzähligen Schlössern, in Vitrinen ausgestellt. An Kassetten und Kästchen, an Kabinetten mit klitzekleinen Geheimfächern, an versperrbaren Kisten, Truhen und Tresoren, an Vorhangschlössern, feuervergoldeten Kammerherrenschlüsseln, an Kammbartschlüsseln aus dem 16. und 17. Jahrhundert in Frankreich und schließlich hinein in einen separaten schwarzen Raum.

Außenansicht des Museums

SCHELL COLLECTION

Die Schatzkammer des Hauses, erklärt Martina Pall. Sie öffnet eine Vitrine und nimmt einen kleinen, ja eigentlich unscheinbaren Schlüssel in die Hand. Auf einem im Eisenschnitt gefertigten Miniaturpferd mit Mähne und Schweif sitzt ein Mann – eine exakte Abbildung des Reiterstandbilds des Feldherrn Bartolomeo Colleoni Colleoni in Venedig.

Mit dem gleichen bösen Gesichtsausdruck, bemerkt Martina Pall verzückt. Der Schlüssel ist stark benutzt, das zeigen die Abriebspuren auf der auf der Rippe des Bartes. Das Objekt war lange im Besitz eines bedeutenden Händlers in Deutschland, bis es eines Tages an die Schell Collection verkauft wurde. Und zu Martina Palls persönlichem Lieblingsstück der Sammlung wurde.

Der Stahlschnittschlüssel wird wohl eine barocke Truhe mit einem eisernen Riegelwerk versperrt haben, vermutet die Sachverständige für Schlösser und Schlüssel. Martina Pall veranschaulicht den Schließmechanismus. Doch zunächst einmal gilt es, das eigentliche Schloss zu finden, das im Deckel verborgen ist – das raubte den Dieben auf Beutezug wertvolle Zeit.

Im 2. Stock des Gebäudes befinden sich die Abteilung Eisen, Kunstgenuss und Schmiedeeisen und die Abteilung Zunftzeichen. Außerdem ein Themenzimmer, um zu veranschaulichen, welchen Platz Gegenstände aus Eisen früher im Alltag der Menschen eingenommen haben: ein gusseisernes Bett, ein gusseiserner Herd der Firma Odöfer, gusseiserne Kaffeemaschine, Bügeleisen, Lampenschirm und Standuhren. Außerdem Kreuze und diverser Wandschmuck aus Eisen. Auch die Schreibtischutensilien vom Tintenfass bis zum Kerzenständer sind aus Gusseisen.

Ausstellungsansicht

3. Stock

SCHELL COLLECTION

Im 3. Stock des Gebäudes sind Stücke aus Afrika und Asien ausgestellt; u.a. riesige Holztüren mit kunstvollen Schnitzereien, Schlösser von den Touareg aus Afrika, aus Nepal und China. Hanns Schell entwickelte seine Sammlerleidenschaft auf abenteuerlichen Expeditionen in ferne Länder . Insgesamt vier Achttausender hat der Schlüsselsammler – Jahrgang 1938 – bestiegen, und einige Siebentausender.

Darunter einige Erstbegehungen. Im Stiegenhaus hängen einige Bilder seiner Expeditionen, und selbstverständlich darf auch das erste Objekt der Schell Collection nicht fehlen, dass er in den 1960er Jahren auf den Bazaren von Isfahan in Pakistan erwarb: ein kleines Vorhangschloss in Form einer Wiege in einer Vitrine im 3. Stock.

Der Beginn einer Sammlerleidenschaft, die über die Jahre weiterwuchs. Ein nepalesisches Vorhangschloss erwarb Hanns Schell mittels eines Tauschgeschäfts mit Heinrich Harrer. Der bekam dafür einen Werkzeugkasten von der Firma Odörfer. Und auch heute noch erweitert Hanns Schell seine Sammlung laufend.

Jedes Ausstellungsstück erzählt eine eigene, spannende Geschichte. Daher lohnt es sich, für einen Besuch in der Schell Collection vorab eine Führung zu buchen und in die faszinierende Welt der Schlüssel und des versperrbaren Eisens einzutauchen.

Gestaltung: Margit Atzler

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