Ursina Lardi

Ursina Lardi in "Everywoman" - APA/BARBARA GINDL

City Science Talk

Der Kompass zum Ich

„Wir können heute über den Ozean fliegen, hören und sehen. Aber der Weg zu uns selbst und zu unseren Nächsten ist sternenweit". Max Reinhardt, einer der Gründerväter der Salzburger Festspiele, sprach in seiner berühmten "Rede über den Schauspieler" 1928 aber auch davon, dass in jedem Menschen die Sehnsucht nach Verwandlung lebt.

Schauspielern und Schauspielerinnen gelingt dies am ehesten dann, wenn sie durch die gespielten Figuren Schnittstellen zu sich selbst finden.

Aber: Jeder Mensch hat viele Seiten. Niemand ist nur gut oder böse. Und: wir verändern uns lebenslang.

Asmik Grigorian (Chrysothemis) mit einer Spiegelung von Dirigent Franz Welser-Möst

Elektra: Asmik Grigorian (Chrysothemis) mit einer Spiegelung von Dirigent Franz Welser-Möst.

APA/BARBARA GINDL

"Die moderne Psychologie sagt, dass es eigentlich diesen wahre Kern, den wir irgendwie ausgraben müssten und nachdem wir dann leben, gar nicht gibt. Stattdessen haben wir alle jeden Tag so viele Chancen neue Erfahrungen, Begegnungen zu machen, die uns ständig verändern. Wir sind also in einer ständigen Resonanz mit dem Leben."

Franz Welser-Möst

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Franz Welser-Möst

Die Biochemikerin, Autorin und Wissenschaftsredakteurin, Christina Berndt, die Chefin der Salzburger Festspiele Bettina Hering, der Theatermacher Milo Rau und der Dirigent Franz Welser-Möst reflektieren über den „Kompass zum Ich“ auf der Basis wissenschaftlicher Ergebnisse und aus ihrer Erfahrung mit dem Leben.

Franz Welser-Möst

Es war der 19. November 1978, der 150. Todestag von Franz Schubert. Der Dirigent Franz Welser-Möst hatte gemeinsam mit Freunden die G-Dur-Messe beim Festgottesdienst im oberösterreichischen Großramming aufgeführt, sich beim Kirchenwirt gestärkt, um dann nach Steyr zu fahren und das Forellenquintett zu spielen.

Er war am besten Weg, seinen Traum zu verwirklichen. Franz Welser-Möst wollte professioneller Geiger werden. Am liebsten im besten Orchester, den Wiener Philharmonikern. Doch es kam anders. Am Rücksitz des Autos einer befreundeten Familie sitzend, ereilte den damals 18jährigen ein schwerer Verkehrsunfall. Er wusste nicht, ob er weiterleben oder sterben würde. Es war 15 Uhr, die Todesstunde von Franz Schubert. Seither begleitet Franz Welser-Möst eine Stille, die nichts Negatives hat oder mit Ruhe zu vergleichen ist. Es ist eine Stille, die ihn erfüllt. Eine Stille, die er auch in der Musik sucht.

"Ich finde, zu den spannendsten Dinge im Leben zählt, wenn man zu einem Suchenden wird. Für mich ist der Vorgang des interpretierens nicht mit einer Premier abgeschlossen. Man kann glücklich sein, in dem Wissen das es Perfektion nicht gibt."

Franz Welser-Möst hat zu seinem 60. Geburtstag ein autobiografisches Buch über Die Stille vorgelegt. Darin beschreibt er seinen Weg zu einem erfüllten Ich, einen Weg, der von einigen Rückschlägen geprägt wurde. Etwa, als er als 30jähriger - höchst erfreut und ohne viel nachzudenken - ja zur Leitung des London Philharmonic Orchesters sagte und deswegen einige Jahre später in Zürich als „Looser von London“ bezeichnet wurde.

Auch die Kritiker in Cleveland sind anfangs nicht immer freundlich mit ihm umgegangen, als er vor 18 Jahren die Leitung des renommierten Cleveland-Orchesters übernommen hatte. Und der Abgang von der Wiener Staatsoper als Generalmusikdirektor, war ebenfalls von Nebengeräuschen begleitet. Die Kraft weiter zu machen holte sich Franz Welser-Möst nach der Schmach in London, bei einem einsamen Spaziergang an einem Strand im Südwesten von England.

Heute sucht er Ruhe beim Bergsteigen und in der Stille. Er weiß, dass Träume und Visionen nur umgesetzt werden können, wenn die Strukturen passen, das Umfeld das richtige ist. Er weiß aber auch, dass Verzicht mitunter die einzige Möglichkeit sein kann, wieder zu sich selbst zu finden. In seinem Buch „Die Stille, die ich fand“ schreibt Franz Welser-Möst teilweise humorvoll, aber auch zutiefst ernst was er gelernt und hinterfragt hat und dass er während seines Lebens alles, aber auch wirklich alles zu schätzen gelernt habe, was ihm widerfährt.

Christina Berndt

Den Kompass zum Ich trägt jeder Mensch in sich. In Christina Berndt´s Buch “Individuation. Wie wir werden, wer wir sein wollen. Der Weg zu einem erfüllten Ich“, finden sich auch zahlreiche Anleitungen, die Seele zu vermessen und seinen Weg zu finden.

"Man entwickelt sich indem was man tut. Das Sein verändert das Bewusstsein. Ich kann mich ändern durch Verhalten, ansonsten wäre das alles sinnlos."

Milo Rau

Milo Rau, der Regisseur, Theaterautor, Essayist und Soziologe entwickelt sich durch seine Arbeit, seine Theaterstücke weiter und fragt bei den Salzburger Festspielen gemeinsam mit der Schauspielerin Ursina Lardi, ob es ein richtiges Leben im falschen gibt.

"Der Punkt ist, dass man immer weiß, das die Arbeit die man macht, ein Erfahrungsprozess für sich selbst ist. Die Arbeit ist das Vehikel oder das Resultat."

Ursina Lardi während der Fotoprobe zum Stück "Everywoman" von Milo Rau.

Ursina Lardi während der Fotoprobe zum Stück "Everywoman" von Milo Rau.

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"Everywoman" heißt das gesellschaftskritische Stück, welches das Resultat der Sommerarbeit ist. Es ist eine weibliche Perspektive auf den spätmittelalterlichen Stoff des "Everyman", auf den sich auch Hugo von Hofmannsthal in seinem "Jedermann" bezog. So schließt sich der Kreis der 100-jährigen Festspielgeschichte. Dafür gibt die Leiterin des Schauspiels der Salzburger Festspiele Bettina Hering eine Bühne.

Service

Franz Welser-Möst, "Die Stille, die ich fand. Ein Plädoyer gegen den Lärm der Welt", Brandstätter

Christina Berndt, "Individuation. Wie wir werden, wer wir sein wollen. Der Weg zu einem erfüllten Ich.", Dtv premium

Salzburger Festspiele:
Premiere „Everywomen“ von Milo Rau und Ursina Lardi, 19. August 2020 Szene
Elektra: Dirigent Franz Welser-Möst noch am 21., 24. August.