4. UN-Weltfrauenkonferenz in Beijing

AP/GREG BAKER

Radiokolleg

25 Jahre Weltfrauenkonferenz in Peking

Das Abschlussdokument der vierten – und bisher letzten – Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen gilt bis heute als Meilenstein in Sachen Frauenrechte. Doch was hat sich in diesem Vierteljahrhundert tatsächlich für Frauen verändert?

Am 7. August 1995 fährt am Hauptbahnhof der finnischen Hauptstadt Helsinki ein Sonderzug los. An Bord: 230 Frauen und zehn Männer - aus insgesamt 42 Ländern. Destination: Peking, China. Organisiert wurde der NGO-Sonderzug von einer feministischen Friedensorganisation. Die drei-wöchige Reise sollte NGO-Frauen aus verschiedenen Ländern als Vorbereitung für die Weltfrauenkonferenz dienen.

Zug mit UN-Delegierten

AP/GREG BAKER

"Zwei der 15 Waggons waren für Workshops reserviert", erinnert sich die österreichische Frauenaktivistin Gundi Dick, eine von drei Österreichinnen im Zug: "Das begann in der Früh mit Aerobics und Gymnastik und ging weiter mit inhaltlichen Workshops." Die Frauen aus der Zivilgesellschaft diskutierten eifrig, wie sie es anstellen konnten, bei den Teilnehmerinnen der offiziellen Regierungsdelegationen für ihre feministischen Inhalte zu lobbyieren. Bei mehreren Zwischenstopps trafen sie unterwegs mit lokalen Frauenorganisationen zusammen.

"Gewalt gegen Frauen war für sie etwas Bourgeoises."

Gundi Dick über die überraschend schwierigen Gespräche mit russischen Frauen.

Die Regierungsdelegation für die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking (1995). In der Mitte die damalige Frauenministerin Helga Konrad.

Die Regierungsdelegation für die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking (1995). In der Mitte die damalige Frauenministerin Helga Konrad.

APA/KELLY SCHOEBITZ

Dohnal muss zuhause bleiben

An die 30.000 NGO-Aktivistinnen aus aller Welt waren nach Peking gereist, 6.000 Regierungsdelegierte sowie mehr als 3.000 Journalisten und Journalistinnen. Es war zu diesem Zeitpunkt die größte UN-Konferenz, die je stattgefunden hatte. Österreich war mit einer 40-köpfigen Delegation vertreten. Dem Ganzen war ein zweijähriger inhaltlicher Vorbereitungsprozess vorausgegangen. Doch kurz vor der Konferenz kam es zum Eklat: Österreichs Frauenministerin Johanna Dohnal, die die Vorbereitungen geleitet hatte, wurde abberufen. Nachfolgerin wurde ihre langjährige Stellvertreterin Helga Konrad. "Damals hatte ich noch Flugangst und hätte viel dafür gegeben, wenn die Johanna geflogen wäre", erinnert sie sich heute.

Ein besonderes Anliegen Österreichs sei damals der Kampf gegen Gewalt an Frauen gewesen, so Konrad. Und da habe es heftige Auseinandersetzungen mit Vertretern konservativer Staaten gegeben. "Aber dann ist es doch so gekommen, wie wir das wollten", erzählt Helga Konrad.

Helga Konrad in Peking.

PRIVAT

"Das Wort Gleichstellung sollte nicht vorkommen."

Helga Konrad über die konfliktiven Verhandlungen in Peking.

Das Abschlussdokument, die sogenannte "Aktionsplattform von Peking" gilt bis heute als Meilenstein. Es wurden 12 Bereiche definiert, in denen sich die einzelnen Regierungen verpflichteten, die Situation von Frauen durch nationale Gesetze zu verbessern. Zum Beispiel Armutsbekämpfung, Verbesserung der Gesundheitsversorgung für Frauen, bessere Bildung, mehr Mitsprache von Frauen in Politik und Wirtschaft. Beschlossen wurde auch das "Gender Mainstreaming", das heißt: Genderaspekte sollten ein Querschnittsthema in allen Politikbereichen werden. Im "Gender Budgeting" wiederum sollte sichergestellt werden, dass Männer und Frauen gleichermaßen von öffentlichen Investitionen und Ausgaben profitieren.

Damals dachte ich: so und jetzt geht's. Aber wir wurden bald eines Besseren belehrt.

Weltfrauenkonferenz, 1995

AP/ANAT GIVON

Das Private ist politisch

Weiters verpflichteten sich die Staaten der Welt dazu, Daten zur unbezahlten Arbeit von Frauen zu erheben. Denn nur, wenn man den Status Quo gut kennt, kann man auch politische Maßnahmen zu seiner Verbesserung setzen. Die Verteilungsfrage der unbezahlten Arbeit gilt vielen Expertinnen als die Wurzel der Geschlechterungerechtigkeit: sie hindere Frauen an der Erwerbstätigkeit, sei mitschuld am Gender Pay Gap, der ungleichen Bezahlung sowie an der Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt.

Beflügelt von den Diskussionen in Peking fuhr Helga Konrad zurück nach Wien und startete ihre berühmte Kampagne "Ganze Männer machen Halbe-Halbe".

"Ich bin dadurch erst zum ganzen Mann geworden"

Konrad wollte Männer gesetzlich dazu verpflichten, die Hälfte der Hausarbeit und der Kinderbetreuung zu übernehmen: "Die Konferenz hat uns Frauen einen Energieschub gegeben. Damals dachte ich: so und jetzt geht's. Aber wir wurden bald eines Besseren belehrt."

Was seither geschah

Wie schaut es heute, 25 Jahre später, in Österreich mit "Halbe-Halbe" aus? Die Zahlen seien einigermaßen ernüchternd, erklärt die Ökonomin Katharina Mader von der Wirtschaftsuniversität Wien. Die gute Nachricht: heute gibt es in Österreich mehr Männer die – zumindest gelegentlich – den Geschirrspüler ausräumen oder mit den Kindern Hausaufgaben machen. Im Jahr 1981 gaben noch rund 60 Prozent der Männer an, zuhause keinen Finger zu rühren, 2008 waren das nur noch 25 Prozent. Allerdings: die Zeit, die Männer für diese Tätigkeiten aufwenden ist nach wie vor deutlich geringer als jene der Frauen. Zwei Drittel der unbezahlten Tätigkeiten machen immer noch Frauen.

"Wenn es politisch nicht ins Konzept gepasst hat, wurde nicht erhoben."

Katharina Mader über die schwierige Datenlage zu unbezahlter Arbeit und die Zahnlosigkeit von Österreichs Gender Budgeting.

Mann arbeitet, Baby auf dem Arm

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Noch drastischer ist das Ungleichgewicht bei der Kinderbetreuung: In Österreich gehen nur etwa 20 Prozent der Väter in Karenz und wenn, dann eher kurz. Nur 4,5 Prozent aller bezahlten Karenztage wurden im Jahr 2018 – laut Rechnungshofbericht - von Männern in Anspruch genommen.

Ein Schritt vor und zwei zurück?

Die Coronakrise hat diese Situation noch verschärft. Überhaupt befürchten viele Expertinnen einen nachhaltigen Rückschlag für Frauen durch die damit verbundene Wirtschaftskrise. Auch Klimawandel und Digitalisierung stellen Herausforderungen für die Frauengleichstellung dar. Wäre es nicht langsam Zeit für eine fünfte Weltfrauenkonferenz? "Bloß nicht!", sagen Frauenrechtsaktivistinnen. Denn sie befürchten Rückschritte, insbesondere bei den sogenannten sexuellen und reproduktiven Rechten von Frauen. Sprich: bei Themen wie Sexualaufklärung, Abtreibung, das Recht seinen Ehepartner selbst zu wählen, die Frage, was eigentlich unter einer "Familie" zu verstehen ist. In vielen Teilen der Welt hat eine konservative Wende stattgefunden: Rechtspopulisten, Islamisten und evangelikale Pfingstkirchen haben an politischem Einfluss gewonnen.

Frau hält offizielles Poster der Konferenz hoch

AP/MIKE FIALA

Die Konferenz von Peking 1995 habe in einem historischen einzigartigen Zeitfenster stattgefunden, sagt etwa die brasilianische Frauenaktivistin Sonia Correa. In der Welt von heute wäre ein so fortschrittliches Dokument gar nicht mehr möglich.

Service

Pekinger Erklärung und Aktionsplattform
UN Women
DAWN – Development Alternatives with Women for a New Era
WIDE – Entwicklungspolitisches Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven
Women and Gender Constituency
Gender cc

Care Österreich – Studie: "Wo sind die Frauen? Die Abwesenheit von Frauen in der Bekämpfung von COVID-19"

Care Österreich – Bericht: "Geschlechtsspezifische Gewalt und COVID-19"

Care Österreich – Bericht: "Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Einkommenssituation von Frauen"

Wirtschaftsuniversität Wien – Genderspezifische Effekte von Covid-19

Robin Lloyd, Doku "Peace train to Beijing – 1995"

Das Material der Kampagne "Ganze Männer machen Halbe Halbe" wurde mit freundlicher Genehmigung der Agentur Demner, Merlicek & Bergmann verwendet.

Gestaltung