APA/BARBARA GINDL
Dimensionen
Mehr als Waldesrauschen
"Dimensionen" zur Frage, wie Bäume miteinander kommunizieren.
30. Oktober 2020, 02:00
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Dimensionen | 29 09 2020
"Das geheime Leben der Bäume" ist der Titel eines Bestsellers den der deutsche Förster Peter Wohlleben vor fünf Jahren erstmals veröffentlichte und der vor Kurzem auch als Kinoadaption zu sehen war. Es geht darin um die Tatsache, dass Bäume kommunizieren, auf Gefahren reagieren und sich an ihre Umwelt anpassen beziehungsweise aus Erfahrung lernen. Dass sie also weitaus mehr tun, als wir im Allgemeinen an ihnen wahrnehmen: geduldig und stumm in der Gegend herumstehen, wachsen bis zum Umfallen, Sauerstoff produzieren, an heißen Sommertagen wohltuende Kühle spenden und hin und wieder angenehm mit den Blättern rauschen.
Bäume sind keine Einzelgänger, das weiß man seit den 1970er Jahren.
Damals fanden Wissenschaftler/innen heraus, dass sie sogar über weite Distanzen miteinander kommunizieren. In der afrikanischen Steppe beispielsweise machen sich hungrige Giraffen gern über die Blätter der Akazienbäume her. Innerhalb kürzester Zeit reagieren die Bäume mit Widerstand: Sie strömen den bitter schmeckenden Stoff Tannin aus, den die Giraffen nicht mögen. Gleichzeitig setzen sie den Botenstoff Äthylen ab, der mit dem Wind erstaunlich weite Wege bis zu anderen Akazien getragen wird und dort - als Vorsichtsmaßnahme - ebenfalls zum Ausstoß der Bitterstoffe führt.
"Bäume sind jeweils eigene Charaktere"
Auch im dichten europäischen Wald passiert mehr, als die menschlichen Sinne erfassen. Zum Beispiel unter der Erde: Da gibt es ein unterirdisches Kommunikationssystem aus Wurzeln, mit denen Bäume Nähr- und Botenstoffe austauschen. In der Wissenschaft spricht man von einem Wood Wide Web, zusammengehalten von einem riesigen unterirdischen Pilzgeflecht. Bäume und andere Pflanzen sind so in ständigem Austausch miteinander.
Auch eine Art Gedächtnis scheinen Bäume zu haben - die Erfahrung von Dürresommern lässt sie mehr Wasser speichern, als sie es ohne diese Erfahrung tun würden, hat man herausgefunden. Laut Peter Wohlleben sind Bäume sogar altruistische Wesen: Da machen alte Bäume im Wald Platz für jüngere Bäume, da versorgen Mutterbäume ihren Nachwuchs mit Nährstoffen. Bäume, so ist Wohlleben überzeugt, sind jeweils eigene Charaktere, ausgestattet mit einem ausgeprägten Gefühlsleben. Ist der Wald eine bessere Gesellschaft?
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Romantisch verklärt?
Wohlleben wird von anderen Förster/innen und Wissenschaftler/innen für seine "Vermenschlichung" der Bäume vielfach kritisiert. Seine idealistisch-romantische Verklärung der Natur verstelle die Sicht auf die Tatsachen und gebe ein falsches Bild wieder, so die Kritik. Bäume hätten weder ein Bewusstsein noch ein mit Menschen vergleichbares Schmerz- oder Liebesempfinden.
Was ist nun also wissenschaftlicher Fakt, was romantische Interpretation? Bäume sind jedenfalls Lebewesen, die auf äußere Einflüsse reagieren, so der Schweizer Biologe Roman Zweifel. Er stattet Bäume mit Messgeräten aus und hört sie mit Mikrofonen ab, um sie - im wahrsten Sinne - besser zu verstehen. Feine Wassersäulen durchziehen den Baum, ähnlich den menschlichen Adern, erklärt er. "Wird es zu trocken, reißen diese Säulen mit einem Popcorngeräusch. Bäume produzieren Stresshormone und können all das wahrnehmen, was wir schmecken, fühlen, hören, sehen oder riechen nennen." Millionen von chemischen Verbindungen bilden die Zeichen einer pflanzlichen Sprache, die der Mensch bislang nicht vollständig entziffert hat. Ein radiofoner Streifzug auf den Spuren möglicher Baumgeheimnisse.