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Die WHO im Spannungsfeld der Großmächte
Warnt die Weltgesundheitsorganisation früh, und eine Pandemie bleibt dann doch aus, beschwert man sich über blinden Alarm. Warnt sie zu spät, klagt man sie an. Und warnt sie gerade rechtzeitig, und alles wird weniger schlimm als befürchtet, heißt es, die WHO habe übertrieben.
1. November 2020, 02:00
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Hörbilder | 03 10 2020 | 09:05 Uhr
Auch in Coronazeiten geht Florian Krammer joggen. Natürlich im Central Park. Und natürlich mit Atemschutzmaske. Dass die New Yorker gelernt haben, mit dem Virus zu leben, verdanken sie auch Florian Krammer. Der gebürtige Österreicher ist einer der führenden Virologen in den USA und wird von US-Medien wie den New York Times immer dann um Rat gefragt, wenn es darum geht, Covid-19 besser zu verstehen.
Gäbe es keine Pandemie, hätten wir Professor Krammer nicht online, sondern persönlich in New York oder in Österreich interviewt. Andererseits: Gäbe es keine Pandemie, hätten wir wohl auch kein Feature über die Weltgesundheitsorganisation gemacht! Denn uns als Autoren ging es ja so wie den meisten anderen Menschen: Wir wussten natürlich alle, dass es die Weltgesundheitsorganisation gibt und dass ihre Arbeit wichtig ist, doch wie wichtig sie tatsächlich ist, haben auch wir erst während der ersten Monate der Covid-19-Pandemie wirklich begriffen.

Donald Trump
AP/ALEX BRANDON
Kritik an der WHO ist nicht neu
Donald Trumps Angriffe auf die angeblich chinahörige WHO sind so faktenvergessen wie berechnend. Allerdings ist Kritik an der WHO nicht neu: Warnt die WHO früh, und eine Pandemie bleibt dann doch aus, beschwert man sich über blinden Alarm. Warnt sie zu spät, klagt man sie an. Und warnt sie gerade rechtzeitig, und alles wird weniger schlimm als befürchtet, heißt es, die WHO habe übertrieben.
Und auch jetzt wird immer wieder die Frage diskutiert, ob nicht schon zu Beginn der Krise einige Dinge gründlich falsch gelaufen sind. Diese Frage ist auch deswegen so entscheidend, weil am Anfang eines Virenausbruchs das Zeitfenster nur sehr kurz geöffnet ist, um geeignete Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche zu ergreifen.
Und es häufen sich inzwischen Indizien, dass China zumindest auf regionaler Ebene versucht hat, den Ausbruch der neuen Krankheit zu vertuschen. Spätestens Mitte November 2019 soll es die ersten Erkrankungen in Wuhan gegeben haben. Doch erst Anfang Januar 2020 informierte Peking die WHO über das Auftreten eines neuen Virus. Und dies erst auf Anfragen des WHO-Büros in Peking hin.

Wuhan, Jänner 2020
AP/AREK RATAJ
Die WHO muss sich an mehreren Fronten behaupten
Warum dauerte es nach Chinas allzu später Meldung dann noch einmal mehrere Wochen, bis die WHO die Weltöffentlichkeit deutlich und klar warnte? Warum erfolgte die Ausrufung des internationalen Gesundheitsnotstands erst am 30. Januar?
Trump sieht natürlich auch hier den Einfluss Pekings am Werk: Weil die chinesische Führung den WHO-Generaldirektor, Tedros Adhanom Ghebreyesus, unter Druck gesetzt habe, sei die höchste Warnstufe der WHO erst Ende Januar ausgerufen worden. Auch in diesem Fall kann Trump freilich keine Beweise vorlegen.
Die WHO, so viel ist zumindest klar, muss sich zurzeit an mehreren Fronten behaupten: Sie muss den globalen Kampf gegen die Pandemie koordinieren, und sie muss sich gegen die gleichzeitig grassierende Infodemie behaupten, die rasende Verbreitung gefährlicher Falschmeldungen und Gerüchte im Netz.
Wir brauchen eine enge Zusammenarbeit aller Staaten
Als wäre das nicht genug, haben Populisten wie Donald Trump das Virus politisiert und die WHO an den Pranger gestellt. Während China die zunehmende Selbstisolierung der USA nutzen will, um die eigene geopolitische Macht auszubauen.
Doch gerade jetzt, während die Pandemie immer neuen Höhepunkten entgegeneilt und ein Impfstoff dringend gebraucht wird, brauchen wir eine enge Zusammenarbeit aller Staaten. Und eine solche Zusammenarbeit ist nur möglich im Rahmen einer starken und respektierten Weltgesundheitsorganisation. Das gilt auch für die Zukunft: Denn die nächste Seuche kommt bestimmt.
Gestaltung:Christian Buckard