Ein Mann vor gezeichneten Flügeln

APA/AFP/WANG Zhao

Esprit und Wit(z)

Tiefsinn ist nicht komisch und andere deutsch-österreichische Impotenzen

"Vielleicht habe ich gestern wirklich erlebt", schreibt der marxistische Literaturwissenschafter Terry Eagleton, "wie eine Horde Dachse in Schottenröcken an meinen Zehen knabberte, aber das kann an den sonderbaren chemischen Substanzen gelegen haben, die mir unser Pfarrer verabreicht hat, und muss nicht heißen, dass die Dachse wirklich da waren."

Lord Nylon zitiert den gewitzten Mister Eagleton nicht wegen der Aussage, sondern wegen des Stils der Aussage. Terry Eagleton gilt als seriöser Denker, und dennoch spickt er seine Texte mit komischen Metaphern. Ob seine Witzelsucht oberflächlich ist, sich bloß Aufmerksamkeit erkitzeln will, oder aber als Gleitmittel zu tieferer Einsicht dient, soll hier weniger von Interesse sein als der Umstand, dass auch deutschsprachige Intellektuelle ihn bewundern, aber solche Sätze bei sich und ihren Kollegen nie dulden würden.

Quod licet Terry, non licet Fritz. Das liegt an der spezifisch deutsch-österreichischen Polarität von seriös-unseriös, die so ziemlich zum Blödesten gehört, was menschlichen Geist je beleidigen durfte. Harte Worte eines weichherzigen Menschen. Ich begrüße Sie zur heutigen Ausgabe von Lord Nylons Schlüsseldienst.

Ich rede hier nicht von deutscher Humorlosigkeit oder österreichischer Zurückgebliebenheit, das Problem ist vermutlich international. Doch tritt es in diesen mitteleuropäischen Gefilden besonders häufig auf. Und Lord Nylon will es scheinen, dass das etwas mit dem autoritären Charakter zu tun hat.

Wer eine Sache nicht eigenständig erfassen kann, ist auf die Verpackung angewiesen. In diesen Ländern also wird nur ernst genommen, was als ernst etikettiert ist. Was irgendwie zum Lachen reizen könnte aber, wird automatisch der leichten Muse zugeordnet. Wenn gerade keine Einflüsterer zur Hand sind, also all die Verrichter von intellektuellen Bullshit-Jobs in Uni, Feuilleton und Talkshow, geht man auf Nummer sicher und dem falschen Schein auf den Leim, indem man nur das Ernste ernst nimmt und das Witzige für mindestens so oberflächlich hält, wie man es selbst ist.

Das Scharfsinnige im Lustigen zu finden und das Banale hinter der Maske der Seriosität ist eben nicht Sache derer, deren Intellekt in der Gehschule gehen lernte und auch dort geblieben ist. Deshalb gewinnen witzige Texte nie den Bachmannpreis, ganz gleich, ob sie besser oder schlechter sind als der metaphernschwere Entfremdungsexistenzialismus, der jährlich aufs geistig verdorrte Klagenfurt runterregnet. Kein Wunder, ihre Ahnen schon hielten Dreck wie Hofmannsthals "Jedermann" für erhabene Kunst und den geistreichsten Dramatiker aller Zeiten, Johann Nestroy, für launige Unterhaltung, und die Tradition reißt nicht ab: Bei den seichtesten Operetten der Postdramatik sind sie auf "Wow wie experimentell" konditioniert, doch kaum wird’s lustig, dürfen sie sich erhaben darüber fühlen. Ebenso wie sie zwischen ernstem Tief- und Schwachsinn nicht unterscheiden können, werfen sie geistreichen Witz und seichte Witzchen in ein Töpfchen. Das ist deshalb so, weil sie sich bei ernsten Werken, die sie nur anhand des ehrfurchtgebietenden Suhrkampcovers als solche erkennen, am Wochenende gerne bei launiger Unterhaltung erholen. Weil sie darüber lachen können, halten sie alles, worüber man lachen kann, für lachhaft. Und so denken sie: Worüber sich Hihi machen lässt, das verstehe ja sogar ich, und schon allein deshalb kann es nicht weit her sein damit.

Wenn der Postmann zweimal klingeln muss ...

Ich habe ein Paket aus Slowenien bekommen.
Mein Roman ist da. Der ist nicht von schlechten Eltern. Ihr werdet ihn wahrscheinlich nicht mehr lesen. Aber eure Enkel werden euch noch davon erzählen. ;-)

Das geht schon aufs 18. Jahrhundert zurück. 1730 schrieb Voltaire mit dem Stück "Die Jungfrau" eine böse Parodie auf den patriotischen Kult um die Jeanne d’Arc. Goethe fand es spitze, doch sein Freund Schiller war empört und dichtete:

Das edle Bild der Menschheit zu verhöhnen,
Im tiefsten Staube wälzte dich der Spott,
Krieg führt der Witz auf ewig mit dem Schönen,
Er glaubt nicht an den Engel und den Gott,
Dem Herzen will er seine Schätze rauben,
Den Wahn bekriegt er und verletzt den Glauben.


Im englischen Wit und im französischen Esprit ist die Doppeldeutigkeit von Witzigkeit und Scharfsinn noch ganz selbstverständlich. Die Deutschen erklärten es für oberflächlich, weil es ihrem Streben nach dem Erhabenen stets das Bein stellte.
Nicht alle Deutschen.

Witz, postulierte Friedrich Schlegel, ist eine Explosion von gebundenem Geist. Jean Paul meinte, er sei ein verkleideter Priester, der jedes Paar copuliert. Und Lord Nylon fügt hinzu: Wahrer Geist genießt auch das fröhliche Plätschern seichter Gewässer. Während falscher Tiefsinn sogar darin ersäuft.

Wie vor jeder Vermischung fürchten sie sich vor der Kreuzung von Ernst und Witz. Denn sie ahnen, dass der Witz sie durchschaut. Und ihnen Spitzenwein ins Tetrapack und das Tetrapackgesöff in die Designerbouteille füllen könnte. Und dann sind sie aufgeschmissen, aber so was von, und nichts kann sie mehr retten, außer das Pochen auf die eigenen, an Uni, durch Zeitungsabo und Ö1-Hören erworbenen Plaketten mit dem Barcode, die sie sich auf ihren Flaschenkorpus kleben ließen.

Und nun wie bei jedem Lord Nylon der pathetische Schluss mit dem zwinkernden Auge. Der nüchterne analytische Ernst ist der bloß unterhaltsamen Witzigkeit um ihrer selbst willen auf jeden Fall überlegen. Und doch hat er sich ehrfürchtig in den Staub zu werfen, wenn er seinem Meister begegnet, der gelungenen Synthese von Witz, sprachlicher Fantasie und Gedankenschärfe.

Text: Richard Schuberth

Übersicht