Zerbrochener Plastikschwan

APA/DPA/FRANK RUMPENHORST

Diagonal

Die Gnadenlosigkeit des Versagens

Der Tag hat 24 Stunden. 24 Stunden, die mannigfaltig Gelegenheit zum Versagen bieten. Umso mehr, da unsere Gesellschaft auf Effizienz, Erfolg und die Logik des Konsummarktes getrimmt ist.

Allgemein wird angenommen, es sei am gesündesten, den Tag in einer Acht-Stunden-Struktur zu absolvieren. Acht Stunden Schlaf, acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit. Doch die eine arbeitet zu viel und wird zum Workaholic, der nächste hat kein nennenswertes Hobby, und wer zu lang schläft, kann sowieso einpacken.

Es war absurd, als Psycholog/innen am Beginn des coronabedingten Lockdowns im März dieses Jahres medial vermittelten, man solle sich unbedingt weiterhin einen Wecker stellen, dabei aber die Antwort schuldig blieben, weshalb man nicht einfach ausschlafen solle, um dann das Tagwerk zu beginnen. Also mit anderen Worten: nach der inneren Uhr zu leben, was ja sonst auch nicht verpönt ist.

Wecker

APA/GEORG HOCHMUTH

Durch Optimierungs- und Leistungsdruck ist das Versagen systemimmanent

Wir stehen vor der unlösbaren Aufgabe, auf uns selbst zu achten und gesund und fit zu sein, um so den Markt durch unsere Arbeit und unseren Konsum bedienen zu können. Mag sein, dass die Leistungsgesellschaft – dieses abgedroschene Wort – ein Auslaufmodell ist. Durch ihren permanenten Optimierungs- und Leistungsdruck ist das Versagen systemimmanent.

Denkt man über das Versagen nach, geht einem bald der Schmäh aus. Man flüchtet in sanftere Gefilde, konkret ins Scheitern, das gern mit dem Versagen auf einen Haufen geworfen wird, dabei aber hoch im Kurs steht. Ebenso abgedroschen wie das Lamento über die Leistungsgesellschaft ist die Predigt vom Scheitern als Chance.

Als würde jeder Bauchfleck den Menschen wachsen lassen!

Denn bei den sogenannten Fuck-up-Nights, einem öffentlichen Ablasshandel vergeigter Unternehmungen (ein Start-up mit zwei Millionen an die Wand gefahren und vom Karrierestreben geläutert? Präsentiere dich bei der Fuck-up-Night, das Publikum wird jubeln), treten ausschließlich Menschen auf, die das eigene Scheitern in einen Erfolg münzen konnten.

Nie würde dort eine Mutter auftreten, um über die quälende Angst zu sprechen, den eigenen Kindern keine gute Mutter zu sein. Um zuzugeben, dass der Triathlon, den Elternschaft heute bedeutet, nicht gelingt. Nämlich optimale Bildung ab dem Embryostadium (dem Schwangerschaftsbauch Mozart vorspielen), Erkennen und Fördern der (Hoch-)Begabungen und nicht näher definierte Quality Time (in der man danach trachten soll, gar nichts zu müssen und einfach nur da zu sein). Und welches Kind kann über das eigene Unvermögen sprechen, den Erwartungen der Eltern gerecht zu werden?

Versagen ist nichts, was man im Leben unbedingt braucht

Das Versagen ist elementar und kompromisslos, es ist existenziell und bedrohlich. Ein Mensch, der in die Berge steigt, mag an einer Wand scheitern. Er sucht sich eine andere. Doch wenn ein/e Bergsteiger/in in der Wand versagt, ist die Lage dramatisch, kann fatal enden, Angst stellt sich in jedem Fall ein.

Versagen ist nichts, was man im Leben unbedingt braucht, denn es bedeutet Stillstand, nicht vor und nicht zurück zu wissen. Genauso nutzlos ist die Versagensangst. Sie hindert den Menschen daran, keinen Wecker zu stellen, ein eigenes Leben zu führen und die eigenen Träume zu verwirklichen. Was gäbe es alles, wenn es uns egal wäre, ob das Ergebnis eins zu eins dem Traum entspricht? Was hindert uns daran, eine Gesellschaft zu sein, die weniger erwartet und mehr ermöglicht?

Text: Anna Katharina Laggner