Leere Sitzreihe mit Putztrupp

APA/AFP/ALBERTO PIZZOLI

Diskussion

Kulturbranche im Ausnahmezustand

Bereits im März haben im "Ö1 Kulturjournal" Vertreter der heimischen Kulturszene über Herausforderungen, Probleme und Bedürfnisse in der aktuellen Krise diskutiert. Gestern wurde die Diskussion in derselben Zusammensetzung wiederholt: Mit Judith Hoffmann haben Sara Ostertag von der IG Freie Theater, der Intendant des Klangforum Wien Peter Paul Kainrath und Hannes Tschürtz vom Label Ink Music gesprochen. Quasi eine Zwischenbilanz nach mittlerweile knapp acht Monaten Ausnahmezustand.

Kulturjournal | 15 10 2020 | Diskussion

Judith Hoffmann

"Wir haben einen Tritt in den zeitgenössischen Hintern bekommen", sagt Peter Paul Kainrath vom Klangforum. Die Krise habe zu kreativen Lösungen gezwungen. Konzerte werden bei gleichbleibender Gage wiederholt, um dasselbe Publikum wie ursprünglich geplant zu erreichen. Um Abstandsregeln auf der Bühne einzuhalten, wurden Konzerte ver-räumlicht. "Wir sind die Flucht nach vorne angetreten, niemand, nicht mal der Komponist Georg Friedrich Haas hätte sich wohl vorstellen können, dass das so funktioniert", so Kainrath.

Ebenso sei im Theaterbereich vieles adaptiert worden, so Sara Ostertag. Für einzelne Produktionen werden verschiedene Konzepte ausgearbeitet. Eine Flexibilität, die für eine sonst schon am wirtschaftlichen Limit arbeitende Szene nötig war, um weiterzuarbeiten - die aber nicht abgegolten wird. "Das Ding in der freien Szene ist, dass diese Art der Arbeit in keinem Verhältnis mehr zum Budget steht."

Publikum im Burgtheater

APA/WOLFGANG HUBER-LANG

"Wie lange halten wir das noch durch?"

"Die Frage ist", sagt Kainrath, "wie lange halten wir das durch - ökonomisch wie psychologisch?" Es sei ein wenig wie "‘Und täglich grüßt das Murmeltier‘ - wir verschieben, verschieben, verschieben", so Labelbetreiber Hannes Tschürtz. Zur logistischen Herausforderung der Terminfindung komme die Kapazitätsfrage. Konzerte, die im Frühjahr ausverkauft waren, ausgelegt auf 500 Besucher, müssen jetzt auf 150 reduziert werden.

"Veranstaltungen können zum Teil stattfinden, die meisten davon aber eher aus symbolischen Gründen stattfinden und nicht aus ökonomischen", sagt Tschürtz. Und das tatsächliche Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen werde hier erst in den nächsten Jahren messbar sein. "Weil durch die Zyklen Einnahmenverluste erst dann sichtbar werden, beispielsweise durch die Verwertungsgesellschaften."

Maßnahmen greifen nicht immer

Die Anforderungen und Bedürfnisse innerhalb der Kulturszene sind so unterschiedlich, wie diese vielfältig ist. Und so greifen auch politische Maßnahmenpakete in einigen Bereichen gut, in anderen hingegen bleiben sie wirkungslos. Ein Instrument, wie der zuletzt präsentierte Schutzschirm des Bundes für die Veranstalterbranche - eine quasi Ausfallshaftung - sei etwa in der freien Szene aufgrund der Förderstruktur oft unbrauchbar.

Da erkenne man eines der Probleme, meint Sara Ostertag, dass "freie Gruppen in Österreich bis auf wenige Ausnahmen in Projektförderungen und kurzfristigen Förderungen stecken, und sich nicht absichern können." Und so Ostertag, die Kulturpolitik müsse sich die Frage stellen, "ob nicht jetzt der Zeitpunkt wäre, diese Förderinstrumente langfristig zu verändern. Und so die Leute aus diesen tageweise Beschäftigungen, die auch die Kurzarbeit verhindert, herauszubekommen."

Grundeinkommen für Künstler

Oder, um den Rahmen noch weiter zu fassen: die Einführung eines Grundeinkommens für Künstler. "Wenn man wirklich ein klares Ja sagt zur Kultur als solche in ihrer Rolle innerhalb einer zeitgemäßen Gesellschaft", so Kainrath, "dann würden sich viele Diskussionen erübrigen und es würde Zeit für das Eigentlich schaffen."

Das Eigentliche - die Kunst. Und hier waren sich bei der gestrigen Diskussion alle einig: Das Kulturerlebnis sei derzeit so intensiv und außergewöhnlich wie selten zuvor. Kainrath: "Das wird sich der Kulturbetrieb nicht lange leisten können. Ein Konzertbesuch momentan ist etwas Besonderes."