Haruki Murakami

AP/TOSHITO KUBO

Literatur

Die Chroniken des Aufziehvogels

Den Literaturnobelpreis hat der als Dauerfavorit gehandelte Haruki Murakami dieses Jahr mal wieder nicht bekommen, dafür erscheint jetzt eines der Schlüsselwerke des Japaners in Neuübersetzung und erstmals in seiner ganzen Länge im Deutschen.

Der Ich-Erzähler ist dreißig, heißt Toru Okada und steht, wie häufig bei Haruki Murakami, recht unentschlossen in seinem Leben. Seinen Job in einer Anwaltskanzlei hat er an den Nagel gehängt, und seine Zeit verbringt er jetzt meist daheim, mit Kochen und Musikhören.

Torus Reise durch die Genres

Doch dann verschwindet plötzlich seine Frau, was Toru auf eine weite Suche führt. „Es ist zugleich ein historischer Roman, ein Abenteuerroman, ein Eheroman. Es laufen da sehr viele Handlungs- und Themenstränge zusammen“, so die Übersetzerin Ursula Gräfe, die bald zwanzig Bücher Murakamis ins Deutsche übertragen hat.

Drastische Einschnitte

„Mister Aufziehvogel“ war bereits 1998 auf Deutsch erschienen, damals allerdings aus anderer Hand und basierend auf einer englischen Fassung, die stark gekürzt war. „Murakami hat selbst dazu gemeint, dass er sich damals als junger Schriftsteller, der gerade anfängt, in den U.S.A. zu veröffentlichen, nicht berufen fühlte, dagegen etwas einzuwenden“, so Gräfe.

Dabei waren die Eingriffe enorm: Hatte das Buch damals keine achthundert Seiten, so ist die Übersetzung aus dem japanischen Original jetzt nämlich mehr als tausend Seiten stark.

Ein neuer Sound

Auch die Grundstimmung des Romans ist eine andere, weil der Umweg über das amerikanische Englisch in der früheren Version für einen flapsigeren Tonfall gesorgt hatte. „In der gekürzten Ausgabe stand da etwa (über Torus Suche nach seiner Frau), ‚ich versuchte sie wiederzufinden um jeden Preis‘, und das, finde ich, widerspricht dem Werk“, so Ursula Gräfe.

Ein Murakami-Katalog

Haruki Murakami hat „Die Chroniken des Aufziehvogels“ im japanischen Original 1994 und 1995 in drei Bänden veröffentlicht. Damals war er etwa Mitte 40, schuf mit diesem ausufernden Roman aber beinahe so etwas wie einen Katalog seiner liebsten Themen und Figuren, auf die er in späterer Folge immer wieder zurückgreifen sollte. So findet sich die Figur des Toni Takitani, der er später einen eigenen, auch verfilmten Roman widmen sollte, bereits hier.

Buchumschlag

DUMONT VERLAG

Der Free Jazz des Schreibens

Wie ein Musiker beim Improvisieren spielt der leidenschaftliche Jazzliebhaber Murakami das ganze Buch hindurch leichthändig mit seinen Erzählsträngen. „Diese Vielfalt hat einen starken Charme, und auch dieses Überschäumende, das es in späteren Werken Murakamis viel weniger gibt“, so Ursula Gräfe.

Magie und Kriegsverbrechen

Der Ich-Erzähler bekommt es auf der Suche nach seiner Frau nicht nur mit magischen Parallelwelten zu tun, sondern auch mit der japanischen Geschichte und den Kriegsverbrechen der Japaner in China. Kein einfaches Thema in Japan, wo in dieser Hinsicht noch immer auf die Kulturtechnik des Vergessens gesetzt wird.

Hat Murakami da damals an der japanischen Identität gekratzt? „Ja, besonders, wenn man bedenkt, dass er das Buch schon Anfang der 1990er-Jahre geschrieben hat“, stimmt Ursula Gräfe zu. „Damals war das nämlich ein Thema, das in Japan eigentlich nicht opportun war.“

Das geölte Federwerk des Erzählens

Der namengebende Aufziehvogel ist übrigens keiner, der aufgezogen wird, sondern einer, der durch seinen Ruf die Welt aufzieht. Im Lauf des Romans bekommt die Hauptfigur diese Bezeichnung als Spitznamen verpasst und so wie Murakami das Federwerk seiner Geschichten in „Die Chroniken des Aufziehvogels“ am Laufen hält, hat man das Gefühl als wäre auch ihm selbst dieser Beiname gar nicht unangenehm gewesen.

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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