Eine Kindergärtnerin bei einer Gruppenübung mit Kindern

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Mit Kindern über Gott reden

„Religion“ in ihrer traditionellen Form ist längst nicht mehr für alle Eltern ein selbstverständlicher Teil der Erziehung: Kirchen und kirchliche Einrichtungen bemühen sich daher besonders intensiv, mit Kindern und Jugendlichen zum Thema Gott ins Gespräch zu kommen.

Im „Bibelzentrum“ der Österreichischen Bibelgesellschaft in Wien wartet sogar eine echte Tierhaut auf die jungen Besucherinnen und Besucher - um ihr Interesse am „Buch der Bücher“ anzuregen.

Die Geheimnisse der Leder- und Pergamentherstellung faszinieren nicht nur die Kinder, weiß der evangelische Theologe Stefan Haider: Denn dafür muss die Tierhaut in sorgfältig gesammeltem Urin eingelegt werden.

"Du, gibt es Gott wirklich?"

Über das Material, auf das die Texte ursprünglich geschrieben waren, kommt Stefan Haider dann auf die Inhalte. „Eine der häufigsten Fragen richtet sich an mich persönlich - ob ich denn so gläubig bin. Denn: Wenn man im Bibelzentrum arbeitet, dann muss doch auch etwas dahinter sein.“ Und ihm fällt dabei schon längere Zeit auf: „Je älter sie werden, desto schüchterner werden sie, solche Fragen zu stellen.“

Seine Kollegin Susanna Michalek, Pädagogin und Altkatholikin, macht bei den Jüngeren (im Volksschulalter) eine ähnliche Beobachtung: Bei ihr dürfen die Kinder selbst auf Pergament schreiben - oder sie bereiten biblische Speisen zu: „In diesem persönlichen Tun kommen dann Fragen an mich persönlich - eher nebenbei, wie: ‚Susanna, was glaubst Du? Gibt es Gott wirklich? Und wenn ich dann Ja darauf sage, gibt es so einen Moment des Erstaunens.“

Das lebendige Gegenüber

Das Bibelzentrum hinter dem Museumsquartier in Wien gibt es seit 15 Jahren. Weit über 1.000 Schulklassen, 65.000 junge Menschen aller Altersstufen insgesamt haben es bereits besucht. Seit 11. März 2020 herrscht freilich Ruhe: Das Corona-Virus hat zwar die Entwicklung digitaler Angebote beschleunigt, aber die persönliche Begegnung kann durch nichts ersetzt werden, sagt Jutta Henner, Leiterin der Österreichischen Bibelgesellschaft.

„Ich denke, für die Schülerinnen und Schüler ist es ganz wichtig, dass sich eine Person hier Zeit für sie nimmt, für sie da ist, Fragen beantwortet, erzählt“, betont evangelische Theologin Jutta Henner. „Ich glaube, den jungen Leuten wäre eine noch so aufwendige, multimediale Ausstattung, die wir nicht haben und die wir uns nicht leisten könnten, gar nicht so wichtig wie das lebendige Gegenüber.“

„Wie kann Gott eigentlich Krieg zulassen?“

Eines der zahlreichen Exponate fasziniert die Kinder besonders - und steht daher meistens am Ende einer Führung: Eine Bibel, die im Zweiten Weltkrieg einem Menschen tatsächlich das Leben gerettet hat - weil sie eine Kugel abgefangen hat. Die erste Frage der Kinder lautet dann meistens: „Steckt die Kugel noch drin?“ Doch Susanna Michalek wurde dann auch schon in aller Stille gefragt: „Wie kann Gott eigentlich Krieg zulassen?“

Ein Raum für die Seele

„Fragen an Gott“: So heißt auch eine Station beim Projekt „Soulspace“. Die römisch-katholische Erzdiözese Wien bietet es allen Schulen zur Durchführung an. Es soll aber weder wie Schule noch wie Kirche ausschauen, sondern tatsächlich (wie der englische Titel andeutet) ein „Raum für die Seele“ sein: „Soulspace“ will Kinder und Jugendliche zur Auseinandersetzung mit sich selbst, den Mitmenschen, der Welt und „vielleicht auch Gott“ einladen.

„Ich kann da durchgehen ohne auch nur einen einzigen Gedanken an Religion oder Gott zu verschwenden. Bei der Station ‚Wofür bist du Gott dankbar?‘ kann ich mich auch beim ‚Leben‘ bedanken“, betont Michael Scharf, katholischer Priester und Schulseelsorger (unter anderem am "Sacre Coeur" in Pressbaum). Er hat „Soulspace“ vor einigen Jahren aus England nach Österreich geholt.

Für „Soulspace“ wird ein Raum in der Schule besonders einladend dekoriert. Je nach Größe des Raumes werden zehn bis 18 Stationen angeboten. Fixpunkt ist ein Zelt, wo man sich einfach ausruhen kann. Bei der Station „Hat mich jemand beleidigt?“ (beispielsweise) können die Kinder eine Brausetablette ins Wasser werfen - und dann dabei zuschauen, wie sich ihre Verletzung gleichsam wieder auflöst.

Disziplinierung und Indoktrinierung

„Religiöse Erziehung“ diente und dient oft auch der Disziplinierung und Indoktrinierung: Der angeblich „liebe Gott“ ist dabei dann nur noch als Hilfsmittel willkommen. Bei „Soulspace“ stehen hingegen die Bedürfnisse junger Menschen in Mittelpunkt, betont Michael Scharf: „Sie formulieren ihre Bedürfnisse schon. Wir Erwachsene hören oft nicht zu - und ganz oft fahren wir einfach drüber.“

„Dann rebellieren sie. Aber ich finde: zu Recht“, betont Michael Scharf. „‘Soulspace‘ sagt hingegen: Ich achte auf deine Bedürfnisse. Und nach zahllosen Einsätzen an unterschiedlichen Schulen traue ich mich zu sagen: Sie lieben es. Sie wollen es wiederhaben, weil sie spüren: Hier geht es um mich und meine Seele. Wobei: ‚Seele‘ ist da vielleicht ein zu frommer Begriff - es geht um mein Innerstes, es geht um mich. Und das tut ihnen gut.“

"Lebe es vor, schenke Zeit, lasse Fragen zu, erzähle.“

Auch die Leiterin der Österreichischen Bibelgesellschaft, Jutta Henner, weiß aus ihrer Tätigkeit im Bibelzentrum: „Es gibt oft irgendwo die religiöse Großmutter, die nicht einverstanden ist, dass ihre Enkelkinder zu Hause so wenig von Religion hören.“ Die scheinbare Lösung ist dann ein unerwünschtes Geschenk in Gestalt eines frommen Buches oder irgendeiner Zeitschrift - „aber das führt nur zu Konflikten“.

Als Theologin empfiehlt Jutta Henner lieber die zwanglose Begegnung auf Augenhöhe: „Lebe es vor, schenke Zeit, lasse Fragen zu, erzähle.“ Denn: „Kinder sind sehr sensibel, wenn ihnen etwas aufgedrückt wird. Dann werden sie widerspenstig.“

Service

Österreichische Bibelgesellschaft
Erzdiözese Wien -Soulspace

Gestaltung

  • Markus Veinfurter