Jeff Tweedy

AP/AMY HARRIS

Musik

Der umtriebige Jeff Tweedy

Es ist wohl eines der ungewöhnlicheren Formate, die die Corona-Pandemie hervorgebracht hat: "The Tweedy Show" heißt eine gut halbstündige Reality-Show, die mittlerweile schon über einhundert Mal über Instagram auf Sendung ging.

Darin zu sehen: der amerikanische Musiker Jeff Tweedy, Frontmann der Band Wilco und auch solo höchst umtriebig, und seine Familie. Ohne Pomp und lebensnah. Nach Tweedys erstem Buch "Let's Go (So We Can Get Back)", einem "New York Times"-Bestseller, legt er nun ein zweites Buch nach: "How To Write One Song". Fast parallel dazu erscheint morgen auch ein neues Solo-Album: "Love ist he King". Gleichzeitig Corona-Produkt und Familienangelegenheit, denn Tweedys Söhne Spencer und Sammy sind am Schlagzeug und als Background-Sänger zu hören.

Kutlurjournal | 22 10 2020

David Baldinger

Damit hätten wohl die wenigsten gerechnet. Jeff Tweedy - Inbegriff des integren und authentischen Indie-Musikers - als Star einer Reality-Show auf Instagram. "Ich kann einfach ich selbst sein. Ganz ohne Scheinwerferlicht und weg von diesem ganzen Entertainment-Business. Für mich ist diese Show lebensnah und macht mir einfach Spaß", sagt der 53-jährige Musiker.

Tweedys Gitarre als Blitzableiter

Das neue Album "Love is the King" wurde im eigenen Studio namens The Loft in Chicago aufgenommen. Einen Song pro Tag, das nahmen sich Jeff, Spencer und Sammy Tweedy vor - und so kam es dann auch. Die meisten davon entstanden während der Sessions. "Eigentlich klangen die neuen Songs zu Beginn sehr nach klassischem Country - erst später hat sich das geändert", reflektiert Tweedy.

Mit später meint er die Zeit des Lockdowns und der Pandemie. Erst dadurch bekamen die Songs schärfere Konturen. In Tweedys Text finden sich kaum Kommentare zum Zeitgeschehen. All die gegenwärtige Spannung entlädt sich über seine Musik und immer wieder über die flirrenden Saiten von Tweeds Gitarre. "Ich war noch nie so nah an meinem Ideal des Gitarrensounds wie auf diesem Album. Die ganze Last der Pandemie liegt darin, es ist roher und explosiver als zuvor", sagt Tweedy.

"Die Amerikaner werden Trump abwählen"

Mit Ex-Präsident Barack Obama verbindet Tweedy so etwas wie eine Freundschaft. Dass er Donald Trump skeptisch gegenübersteht ist also wenig überraschend. Trump werde die Wahl verlieren und der Trumpismus in die Schranken gewiesen, glaubt der selbst deklarierte Optimist. "Ich bin zuversichtlich, dass die amerikanische Bevölkerung genug hat und dass sie ihn und sein System abwählen."

Optimismus ist auch ein gutes Stichwort, wenn es um Tweedys zweites aktuelles Projekt geht: "How To Write One Song". Keine Anleitung zum Songwriting sollte es werden, sondern literarischer Rückenwind für den ersten Schritt Richtung befreiender Kreativität. "Ich möchte die Menschen dazu motivieren, sich kreativ zu betätigen, so in der Art von Hilfe zur Selbsthilfe."

Songwriting ist keine Raketenwissenschaft

Ihn habe es schon immer gestört, wenn Songwriter und Songwriterinnen ein großes Mysterium um ihren kreativen Prozess machen. "Damit wollen sie doch nur ihren speziellen Platz auf Erden absichern. Dann wird das Songwriting zum Geheimnis verklärt. Dabei ist es eigentlich recht trivial."

Tweedys Philosophie ortet in der Kreativität die Kraft sein Ich zu erkennen und es sich damit gut einzurichten. Jeder Schaffensprozess helfe dabei. "Kreativität lehrt einen, sich selbst zu erkennen und dann kann man wählen, ob man man selbst sein oder doch den Vorstellungen anderer möchte."

Jeff Tweedy bleibt ein Meister seines Faches. Die elf neuen Songs von "Love is the King" ergeben trotz der Umstände ihrer Entstehung ein stimmiges und stimmungsvolles Ganzes, ein einfühlsames Zeiten-Gemälde. Die Tweedy Show hält übrigens derzeit bei stolzen 107 Folgen und bleibt stur so sympathisch uneitel und ungefiltert wie Jeff Tweedys Musik.

Gestaltung