Grabsegment, Zentralfriedhof, Spiegelung

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Moment

Leben unter Toten

Es ist selten still zwischen Gräbern. Friedhöfe sind nicht nur Erholungsraum, Arbeitsstätte, Gedenkstätte und Heimat einer faszinierenden Pflanzen- und Tierwelt, auch Open-Air-Konzerte, Lesungen und Führungen bei Nacht gehören mittlerweile, etwa auf dem Wiener Zentralfriedhof, zum Jahresprogramm.

Punkt 18 Uhr vor dem Wiener Zentralfriedhof, Tor 2, dem Haupteingang. Die letzten Grabbesucher eilen in der Dämmerung zu den Ausgängen, ein Portier kommt mit großem Schlüsselbund und sperrt die riesigen schmiedeeisernen Eingangsportale zu. Davor hat sich eine kleine Gruppe versammelt. Zeit für die nächtliche Führung mit Gabi Saeidi.

Laternen, Zentralfriedhof

APA/HERBERT NEUBAUER

Die Friedhofsführerin holt einen Schlüssel aus ihrem Rucksack und lässt das Grüppchen hinein auf das jetzt menschenleere Areal - mit beeindruckenden zweieinhalb Quadratkilometern europaweit die zweitgrößte Begräbnisstätte. Nach dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg. Aber hier, am Zentralfriedhof, liegen mit drei Millionen Toten weit mehr als anderswo in Europa.

Schwebende Gestalten und Grabräuber

Mit einer Taschenlampe führt Saeidi die nächtlichen Gäste zu den Ehrengräbern, nicht ohne unterwegs einige haarsträubende Geschichten zu erzählen. Etwa von jener Besucherin, die im Morgengrauen eine weiß gekleidete Gestalt durch die Gräberreihen schweben sah. Kein Geist, wie sich bald herausstellte, sondern Filmdreharbeiten. Oder jene eines dreisten Grabräubers, der sich vor einigen Jahren auf dem Zentralfriedhof einsperren ließ, um aus der letzten Ruhestätte von Johann Strauß dessen Gebiss zu entwenden. Um damit später im Internet zu prahlen.

Station: Ehrengräber

Das kleine Besucher-Grüppchen steht jetzt vor einem anderen Ehrengrab: dem von Ludwig van Beethoven. Der Ausnahmekomponist wurde von seiner ursprünglichen Grabstätte am Währinger Friedhof hierher umgebettet, wie auch einige andere prominente Tote. Makabres Detail am Rande: bei einer späteren Exhumierung wurde festgestellt, dass der Schädel in Beethovens Grab gar nicht der des Musikgenies ist. Der dürfte bereits bei der Umbettung auf den Zentralfriedhof entwendet worden sein.

Heute noch nehmen asiatische Besucher gerne eine Phiole Erde mit vom Grabmal Beethovens. Und hinterlassen dafür kleine Geschenke – Briefe und Blumensträuße etwa. Oder Mitbringsel wie der kleine Herzanhänger, der kurz aufblitzt, als Gabi Saeidi über das steinerne Grabmal leuchtet.

Moderne Grabbeigaben

Nicht selten, dass Saeidi bei ihren Führungen auf besondere Grabbeigaben stößt. Fans von Österreichs größtem Pop-Idol Falco kommen gerne mit Zigaretten oder Whisky-Flaschen. In der orthodoxen Abteilung des Friedhofs hinterlassen Angehörige auch gerne ganze Brettljausen als Wegzehrung für die Verstorbenen. Ein Festessen für die Tiere am Zentralfriedhof. Die dicht gereihten Grabsteine dienen Hasen, Hamstern oder Fasanen als Sichtschutz.

Die Führung durch den Zentralfriedhof ist schon beinah an seinem Endpunkt angelangt, da raschelt es tatsächlich hinter einem der Grabsteine. Ein Reh schaut mit großen Augen in die Lichtkegel der Taschenlampen. Nach einigen Schrecksekunden springt es davon, hinein in den Gräberwald.

Nachtführungen Wiener Zentralfriedhof
Wiener Zentralfriedhof
Stadt Wien - Zentralfriedhof

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