Gemalte DAme in einem roten Sessel, Ausschnitt des Buchcovers

ROWOHLT VERLAG

Leporello

Untersuchungen zum Stil

Wie schreibt man anschauliches, lebendiges, vielleicht sogar brillantes Deutsch? Was ist guter Stil? Und wie entstehen große Texte? Diesen Fragen geht der deutsche Literaturkritiker Michael Maar in seinem neuen Buch "Die Schlange im Wolfspelz" nach.

Leporello | 30 10 2020

Günter Kaindlstorfer

Ein halbes Jahrhundert lang habe er lesen müssen, abertausende Texte von Luther bis Streeruwitz, um dieses Buch schreiben zu können, bekennt Michael Maar. Auf 650 kurzweiligen Seiten, die er mit einem zweiteiligen Literaturquiz aufgelockert hat, untersucht Maar, warum er Rahel Varnhagen für unter- und Hölderlin für überschätzt hält, aus welchen Gründen Thomas Mann und Franz Kafka für ihn die unübertroffenen Meisterstilisten der deutschen Sprache sind und was ihn an österreichischen Erzählern wie Heimito von Doderer, Leo Perutz und vor allem Joseph Roth begeistert.

Ohne die österreichische Literatur brächen in der Geschichte der deutschen Prosa ganze Landmassen weg

"Es ist ja nicht zu bestreiten, dass Österreich - bei einem ungefähr Zehntel der Bevölkerung Deutschlands - statistisch gesehen ein Riesen-Ausreißer ist, was die Produktion bedeutender Prosa betrifft", sagt Michael Maar. "Ohne die österreichische Literatur brächen in der Geschichte der deutschen Prosa ganze Landmassen weg. Die Gründe dafür? Schwer zu sagen, man müsste sie untersuchen. Das k.-und-k.-Reich mit seinen diversen Sprachrändern und das Wiener Kaffeehaus dürften eine Rolle dabei spielen. Und auch die Schriftkultur im Jüdischen. Denn ohne den jüdischen Anteil wäre Österreich statistisch ganz unauffällig. Bachmann, Bernhard, Jelinek, Handke alleine hätten es nicht gerissen."

Stil, das macht Maar in seinem anregenden und immer amüsant zu lesenden Buch deutlich, Stil hat immer etwas mit Individualität und Persönlichkeit zu tun - und selbstverständlich mit Originalität. Eine Originalität, die Maar in der Wissenschaftsprosa unserer Tage schmerzlich vermisst: Was Soziologen, Philosophinnen und Cultural-Studies-Heroen in Forschungseinrichtungen und Uni-Instituten Tag für Tag zu Papier bringen, nennt Maar "das Graubrot der deutschen Sprache". Das habe auch mit der Gedankenblässe zu tun, die da vielen Fällen waltet, mutmaßt der Literaturkritiker. Seine Forderung: "Verzichte auf Plastikdeutsch. Meide die Klischees, denk sie neu."

"Den Stil verbessern - das heißt den Gedanken verbessern", Friedrich Nietzsche

Michael Maar bietet auch konkrete Stiltipps und anschauliche Handlungsanleitungen in seinem Werk. Stil mag Ausdruck individueller Stilfähigkeit sein, meint er, dennoch kann man sich beim Schreiben an einige Orientierungspunkte halten: "Es gibt schon ein paar Regeln. Die werden in meinem Buch auch alle erklärt. Um zwei, drei Beispiele zu geben: Beiwörter - also Adjektive, bitte nur, wenn sie uns wirklich etwas erzählen, oder in kleiner Spannung zum Hauptwort stehen. Sonst lieber weglassen. Bei Verben und übrigens auch bei Substantiven: im Zweifelsfall das schwächere, transparentere. Fremdwörter nur, wenn sie rhythmisch oder klanglich besser passen oder wirklich eine andere Nuance haben. Also, bei Fremdwörtern, da bin ich xenophob."

"Paradigma" und "Narrativ" - das sind Wörter, die Friedrich Schiller nie in den Mund genommen hätte. Michael Maar hält trotzdem nicht allzu viel vom Verfasser des "Wilhelm Tell" und anderer Historiendramen. Schiller ist Maar zu eindimensional gravitätisch. Andere Olympier der deutschen Klassik beurteilt der in Stuttgart geborene Stilkritiker milder: "Die deutsche Klassik, die ich in meinem Buch nur streifen kann, hat natürlich viele Heroen hervorgebracht. 'Goethe ist Gott', schreibe ich, schon aus Gründen der Alliteration, aber: ein fehlbarer Gott und in einer Welt der Vielgötterei. Der trockene, ironische, manchmal frivole Wieland, der stoische, witzige Lessing - das sind alles Giganten."

Jean Paul - überragender Stilist, aber kaum lesbar

Buchcover

ROWOHLT VERLAG

"Ganz zu schweigen von Jean Paul, der als Stilist alle überragt, leider aber oft kaum lesbar ist. Jean Paul litt unter einer Art Midas-Fluch: Alles, was er anfasste, wurde zum Gold der Metapher. Was herrlich ist, was man aber auf Dauer schwer aushält."

Michael Maar konzentriert sich keineswegs auf das 18. und 19. Jahrhundert in seinem Buch. Er analysiert auch Werke von Unica Zürn, W. G. Sebald, Eckhard Henscheid und Robert Gernhardt - und er widmet sich einer Reihe von Autorinnen, die er über die Maßen schätzt: Rachel Varnhagen, Marie von Ebner-Eschenbach und Christine Lavant zum Beispiel, aber auch modernere Schriftstellerinnen wie Brigitte Kronauer, Marie-Luise Scherer, Herta Müller und die junge österreichische Lyrikerin Ann Cotten.

Bernhardsche Monotonie-Maschinerie

Zu Thomas Bernhard wiederum hat Maar ein ambivalentes Verhältnis: "Die Prosa von Thomas Bernhard, dieser Mahlstrom von drei, vier immer wiederkehrenden Motiven - viele finden diese Prosa musikalisch, und viele finden sie auch sehr komisch. Viele schätzen die Bernhardsche Monotonie-Maschinerie."

Dass Michael Maar in seinem Buch immer wieder auch treffende Pointen setzt, macht "Die Schlange im Wolfspelz" zu einer über weite Strecken vergnüglichen Lektüre. Über den Weimarer Dichter und Philosophen Johann Gottfried Herder etwa schreibt er: "Herder galt vielen als Gott. Vor allem seiner Frau."

Service

Michael Maar, "Die Schlange im Wolfspelz", Rowohlt

Gestaltung

Übersicht