Flamingos balzen

AFP/YOSHIKAZU TSUNO

Radiokolleg

Damenwahl - Weibliche Kräfte der Evolution

Für viele Wissenschaftler/innen steht mit Sicherheit fest, dass die Umwelt wesentlich durch die Wahl der Weibchen geformt wurde und immer noch wird. Denn es sind meist die Weibchen, die die Männchen anschauen, begutachten und sodann einen Partner mit Bedacht erwählen. Ihre Entscheidung trägt daher maßgeblich dazu bei, wie sich die Art weiterentwickelt.

Eine Erfindung der 1980er Jahre erschütterte die Welt der Evolutionswissenschaft in ihren Grundfesten: der genetische Vaterschaftstest. Denn dieser fand nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren Anwendung. Dabei stellte sich heraus, dass bei 75 Prozent aller monogamen Singvogelarten die Weibchen - heimlich - fremd gingen. Viele der Männchen kümmerten sich daher um den Nachwuchs anderer Artgenossen. Eine damals unglaubliche Erkenntnis, da sie erstmals vor Augen führte, dass Weibchen aktiv in die Partnerwahl und somit als treibende Kraft in die Evolution eingreifen.

Darwin beschrieb bereits 1871 in seinem Werk „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ zwei maßgebliche evolutionäre Kräfte, die Männerkonkurrenz und die Damenwahl. Doch während der Kampf zwischen Männchen im Viktorianischen Zeitalter schnell akzeptiert wurde, wurde der aktiven weiblichen Wahl lange Zeit die Wirkung abgesprochen.

„Die Idee, dass Damen den männlichen Phänotyp nach ihren Wünschen formen gefiel niemandem.“

„Denn Darwins Idee der Damenwahl beschreibt einen evolutionären Prozess, der die Art und Weise wie Männchen aussehen und sich benehmen bestimmt hat“, erklärt die Evolutionsbiologin Patty Brennan vom Mount Holyoke College in den USA. „Die Idee, dass Damen den männlichen Phänotyp nach ihren Wünschen formen, so wie sie es wünschen, das war absolut nicht cool, das gefiel niemandem.“

Heute ist das anders. Für viele Wissenschaftler/innen steht mit Sicherheit fest, dass die Umwelt wesentlich durch die Wahl der Weibchen geformt wurde und immer noch wird. Denn es sind meist die Weibchen, die die Männchen anschauen, begutachten und sodann einen Partner mit Bedacht erwählen. Ihre Entscheidung trägt daher maßgeblich dazu bei, wie sich die Art weiterentwickelt.

"Damenwahl, die weibliche sexuelle Autonomie, als Antrieb für die Evolution der Schönheit!"

Keulenschwingenpipra

Die Bedeutung der Partnerwahl wird von Verhaltensforscher/innen und Evolutionsbiolog/innen neu aufgerollt. Dabei überrascht Richard Prum, ein US-amerikanischer Biologe der Universität Yale, mit seiner neuen/alten Theorie: Damenwahl, die weibliche sexuelle Autonomie, als Antrieb für die Evolution der Schönheit!

Während der allgemeine Konsens davon ausgeht, dass Weibchen stets nur nach Fitness suchen, glaubt er an eine freiere Wahlentscheidung der Damen. Sie wählen was ihnen gefällt, selbst wenn dadurch die ganze Art in Mitleidenschaft gezogen wird. Als Beispiel dafür nennt er einen außergewöhnlichen Vogel, den Keulenschwingenpipra. Ein kleiner Paradiesvogel, der durch das Zusammenschlagen seiner Flügel Gesang erzeugt, um die Weibchen zu verführen. Fit im ursprünglichen Sinne sei er aber nicht mehr, denn er habe einen hohen Preis für seine Lieder bezahlt, so der Forscher. Seine Flügelknochen sind massiv und die ganze Art somit überlebensunfähiger geworden. Eine Evolution zur Schönheit hin, aber weg vom Optimum.

“Weil Frauen ihre Sexualpartner auswählen und die „guten“ Männer wieder ausgewählt werden.”

Ob "female choice" nun auch den homo sapiens - im Speziellen den Mann - geformt hat, und wenn ja, in welcher Weise, stellt in der Wissenschaft ein hochprekäres Thema dar. Expert/innen auf dem Gebiet der Biologie, der Sozialwissenschaften und der Psychologie spekulieren schon seit langem, wie eine Frau auszusehen und sich zu verhalten hat, um zu gefallen. Doch haben sich Männer auch gewissen Schönheitsidealen unterworfen? Welche Ornamente tragen sie, um Frauen für sich zu gewinnen?

Richard Prum erzählt von zumindest einem großen, wenn auch recht unerforschten, männlichen Ornament, das der Mann zum Vergnügen der Frau weiterentwickelt habe: der menschliche Penis. Seit unserer gemeinsamen Abstammung mit Schimpansen und Gorillas sei das Glied um vieles größer und weiter geworden.

Möglicherweise das Resultat einer Millionenjahre andauernden, kontinuierlichen Partnerwahl. Auch der weibliche Orgasmus könne damit erklärt werden. “Weil Frauen ihre Sexualpartner auswählen und die „guten“ Männer wieder ausgewählt werden”, behauptet Richard Prum. “Sie haben sich mit jenen Männern gepaart, die am meisten Freude bereiteten. Somit konnten sie sich beide weiterentwickeln – Frau und Mann - zu einer größeren, höheren Fähigkeit zum sexuellen Vergnügen. Es ist eine Theorie, die Frauen zu den evolutionären Lenkern für ihr eigenes ausgefeiltes Lusterlebnis macht.”

"Eine Kraft die auf einem simplen Gedanken beruht: Der gefällt mir."

Damenwahl spielt auch heute nach wie vor eine große Rolle in unserer Gesellschaft, vor allem in unserer online Welt. So ist die international berühmteste Dating - Applikation Tinder stark vom Prinzip der Damenwahl geprägt. Allein in Österreich sind es bereits rund 1 Million Leute, die mit dem Handy nach Flirts, Bekanntschaften, unverbindlichen Sex oder nach Liebe suchen. Aber das Ungleichverhältnis der Teilnehmenden ist enorm. Etwa 75 Prozent der Suchenden sind Männer und nur 25 Prozent Frauen.

Ein Handy mit Tinder-App in Händen

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Das Resultat: Frauen sind wählerisch und suchen gezielt Männer aus. Während Männer sich ins Zeug legen müssen, um gewählt zu werden. Auch wenn die Verteilung in der realen Welt ausgeglichener ausfällt, werden wir dennoch nach wie vor durch Präferenzen des anderen Geschlechts geformt. Und da es auch beim Menschen meist die Frau ist, die den Partner aussucht, wirkt die evolutionäre Kraft der Damenwahl auch heute noch auf uns. Eine Kraft die auf einem simplen Gedanken beruht: Der gefällt mir.

Gestaltung: Kim Cupal