Der Getreideboden, wo die ersten Versammlungen stattgefunden haben.

KIRCHE JESU CHRISTI DER HEILIGEN DER LETUTEN TAGE/SIGNE LASSI

Tao

Der Mormone am Hausruck

Vor 200 Jahren hatte Joseph Smith, ein Bauernbub im US-Staat New York, die erste einer ganzen Reihe von Visionen, die letztlich zur Gründung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage führen sollten. Um 1900 hatte sie bereits im fernen Österreich Wurzeln geschlagen – in Rottenbach bei Haag am Hausruck.

Vom Getreideboden aus ist die Zufahrtsstraße gut zu überblicken, falls der katholische Pfarrer mit dem Dorfgendarmen anrücken sollte. Ob der Fluchtweg durch die Falltür jemals benutzt wurde, ist nicht überliefert: Die ersten Versammlungen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Österreich wurden um 1900 im Michlmayr-Hof in der Gemeinde Rottenbach bei Haag im Hausruck abgehalten.

„Sein Evangelium gepredigt und Bücherl ausgeteilt.“

Religionsfreiheit galt damals in Österreich nur für gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften: Allen anderen war nur die „häusliche“ Religionsausübung gestattet. Der Bauer Johann Huber tat also an sich nichts Verbotenes. Trotzdem wurden die Versammlungen immer wieder gestört. Auch in der Zeitung wurde vor Huber gewarnt: Er soll sogar im Wirtshaus „sein Evangelium gepredigt und Bücherl ausgeteilt“ haben.

Der Hof ist bis heute im Familienbesitz: Den Getreideboden samt Falltür gibt es noch. Im Sommer haben sich hier junge Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage versammelt, um mehr über Johann Huber zu erfahren. Er war auf jeden Fall wohlhabend und entsprechend selbstbewusst. Die neue Kirche hat er über einen Jugendfreund kennengelernt, der nach einigen Jahren in den USA in die Heimat zurückgekehrt war.

Vom Pfarrer „abgekanzelt“

Eine entscheidende Rolle scheint der katholische Pfarrer von Rottenbach gespielt zu haben. Er soll Johann Huber wegen seiner politischen, liberalen Gesinnung in einer Predigt regelrecht „abgekanzelt“ haben. Außerdem wollte Johann Huber nicht, dass seine Kinder im Religionsunterricht zur Beichte gehen müssen. Andere sind damals aus ähnlichen Motiven evangelisch oder altkatholisch geworden - Johann Huber wurde „Mormone“.

Diese Bezeichnung lehnt die Kirche mittlerweile offiziell ab: Sie war ursprünglich ein Spottname aus der Zeit der Verfolgung – bevor die Kirche 1847 im heutigen Bundesstaat Utah (damals noch nicht Teil der USA) eine Heimat fand.

„Wortkrieg und Tumult der Meinungen.“

Ihre Anfänge reichen in die Zeit der großen „Erweckungsbewegungen“ am Beginn des 19. Jahrhunderts zurück. Auf der Suche nach der „wahren“ Kirche schlossen sich viele Familien vorerst lieber gar keiner der zahllosen Gemeinschaften an.

So hält es auch die Familie von Joseph Smith. Im „Wortkrieg und Tumult der Meinungen“, wie er es später formuliert, hat er (gerade 15 Jahre alt) 1820 seine erste Vision: Gott-Vater weist dabei auf Jesus – mit dem Auftrag: „Ihn höre“. Drei Jahre später soll ihn dann ein Engel zum Fundort des Buches Mormon geführt haben: Es berichtet von einem Stamm des Volkes Israel, den es nach Amerika verschlägt – und in dessen Tempel später auch Jesus gelehrt haben soll.

The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints

1830 vernimmt Joseph Smith dann in einer Vision den Auftrag, die „wahre“ Kirche wieder zu errichten – unter dem Namen The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints: 16 Millionen Mitglieder hat sie mittlerweile in aller Welt.

Seit 1955 ist sie auch in Österreich gesetzlich anerkannt, mit knapp 5.000 Mitgliedern. Und wie sich beim sommerlichen Treffen im Michlmayr-Hof gezeigt hat: Erstaunlich viele von ihnen sind in der einen oder anderen Form mit Johann Huber verwandt.

Gestaltung

  • Markus Veinfurter