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digital.leben

Bürger vor Online-Manipulation schützen

Ein aktueller EU-Bericht befasst sich mit dem Thema Technologie und Demokratie.

Desinformation, Hass-Reden, Radikalisierung, Wählermanipulation durch Micro-Targeting: Dass Social Media auch problematische Auswirkungen auf unsere Demokratien haben, das wissen die europäischen Gesetzgeber längst.

Doch in der Praxis sei die Sache mit der Regulierung nicht so einfach, betont der Computerwissenschaftler David Garcia. Denn die technologischen Entwicklungen seien der Politik immer ein paar Schritte voraus: "Im Bereich der Online-Medien sind wir so wie frühe Gesellschaften, die gerade erst Städte gegründet haben", sagt Garcia, "die wussten damals noch nicht, dass sie Feuerwehr, Polizei oder Bürgermeister brauchen werden." Der gebürtige Spanier ist Professor an der TU Graz und Forscher am Complexity Science Hub in Wien.

Unsere Aufmerksamkeit als Ware

Die EU hat derzeit mehrere Gesetzesvorhaben zu Regulierungen im Netz in Planung: der "European Democracy Action Plan" etwa soll europäische Bürger und Bürgerinnen vor politischer Manipulation schützen, der "Digital Service Act" will Rechte und Pflichten von Social Media Plattformen strenger regeln. Als Vorbereitung dazu hat die EU-Kommission einen Expertenbericht zu "Technologie und Demokratie" in Auftrag gegeben. Dieser analysiert einerseits demokratiepolitische Probleme, die von Social Media hervorgerufen bzw. verstärkt werden und möchte andererseits Hilfestellungen für Gesetzgeber bieten.

Der EU-Bericht beschäftigt sich unter anderem mit der sogenannten "Aufmerksamkeitsökonomie": Social Media Plattformen unternehmen alles Mögliche, damit wir so viel Zeit wie möglich online verbringen. Das gelingt ihnen zum Beispiel durch Inhalte, die uns emotional aufregen, darunter Fake News und Verschwörungstheorien. Immer wieder wurde der Vorwurf laut, dass dadurch Spaltung und Radikalisierung der Gesellschaft vorangetrieben werde.

Im Bereich Online Medien sind wir wie frühe Gesellschaften, die gerade Städte gegründet haben. Sie wussten noch nicht, dass sie Feuerwehr, Polizei oder Bürgermeister brauchen werden.

Unsere Aufmerksamkeit ist die Handelsware der Internetplattformen. Damit können sie Werbegelder lukrieren. Da gehe es nicht nur darum, uns Dinge zu verkaufen, betont David Garcia, sondern auch darum, unser Verhalten zu beeinflussen. Und das sei für Demokratien gefährlich. Gerade im Bereich des "Microtargeting" bei politischen Kampagnen. Mit Hilfe unzähliger Daten, die wir im Netz hinterlassen, erstellen Social Media Plattformen Persönlichkeitsprofile über uns. Politische Parteien können uns dadurch gezielt auf uns persönlich zugeschnittene Kampagnen schicken.

Mit der Datenschutz-Grundverordnung hat die EU bereits versucht, dem exzessiven Datensammeln einen Riegel vorschieben. Allerdings mit mäßigem Erfolg, kritisiert David Garcia. Die EU-Verordnung habe uns lediglich mehr Pop-Up-Fenster beschert. Nach wie vor geben viele Menschen ihre Daten her, obwohl sie das eigentlich nicht wollen – weil es eben zu mühsam ist, bei jedem Fenster 20 Hakerl zu machen. Kleine Änderungen am Design von Technologie könnten hier große Auswirkungen haben. Garcia plädiert dafür, dass die Standard-Einstellungen von Seiten bereits so gestaltet sein sollten, dass Daten geschützt sind.

Vorausschauend regulieren statt hinterher reparieren

"Mit unserem Bericht möchten wir Gesetzgeber motivieren, ihre Perspektive zu wechseln", so der Social Media Experte, "man muss im Vorhinein regulieren und Konzerne dazu verpflichten, sich schon bei der Entwicklung von Technologie an bestimmte Regeln zu halten, wie Fairness, Transparenz und Privatsphäre." Auftauchende Probleme erst hinterher zu regulieren, sei schwieriger. Als Beispiel nennt er die Algorithmen der großen Internetgiganten, die entscheiden, welcher Nutzer welche Meldung sehen kann. Derzeit wisse niemand, wie diese Algorithmen genau funktionieren. Denn schließlich seien sie auch nicht dafür designed worden, für die Außenwelt nachvollziehbar zu sein. Das nachträglich zu ändern, sei ziemlich kompliziert.

Die Experten empfehlen strengere Transparenzregeln für künftige Algorithmen. Außerdem sollten Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit bekommen, deren Anwendung per Mausklick abzulehnen. Weitere Empfehlungen: Firmen sollten regelmäßig Transparenz-Berichte veröffentlichen müssen, welche Inhalte weshalb unterdrückt wurden. Microtargeting für politische Werbung sollte grundsätzlich untersagt werden, so die Experten.

Allerdings können man Social Media nicht für alle Übel der Welt verantwortlich machen, betont David Garcia. Nicht die Algorithmen zerstören die Welt. Auch Boulevardmedien und politische Parteien selbst tragen ihren Teil zu einer zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft bei.

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Technology and Democracy: Understanding the influence of online technologies on political behavior and decision-making

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