Dornen im Glas

EVELYN BREZINA

Hörbilder

Evelyn Brezinas Leben mit Glasknochen

"Love, to find beauty everywhere" lautet das Motto auf Evelyn Brezinas Instagram-Account. Ein Bekenntnis in Hinblick auf ihre Fotomotive und zugleich eine Aussage über ihre Lebenshaltung. Die 43-jährige Wienerin ist durch eine schwere Form der Glasknochenerkrankung auf den Rollstuhl angewiesen. Doch jede weitere körperliche Einschränkung scheint ein Impuls zu sein, diese auszugleichen: mit starkem Willen, Mut und Kreativität.

"It's going to be tough but it makes me even more grateful for this summer" postet Evelyn Brezina am 15. November auf ihrem Instagram-Account "vienna_wheelchair_view". Der zweite Lockdown mache sie noch dankbarer für den Sommer dieses Jahres, teilt sie ihren Followern mit. Daneben vier Fotos von ihr, strahlend, im Rollstuhl an schönen Plätzen in Wien: am Fuße der buntbemalten Stiege im Museumsquartier, im Grün des Palmenhauses, im Kronprinzengarten und im Foyer des Kunsthistorischen Museums. "Jeden guten Augenblick voll auszukosten - das hat mich meine Erkrankung von Kindheit an gelehrt. Ebenso die Geduld und den starken Willen, harte Zeiten zu überstehen".

Fotos von Fußböden

Evelyn Brezina

EVELYN BREZINA

Ihre Erkrankung heißt "Osteogenesis imperfecta", gemeinhin als "Glasknochen" bezeichnet: Ein genetisch bedingter Mangel an Kollagen macht die Knochen zerbrechlich wie Glas. Bei Evelyn Brezina brach diese Erkrankung erst im Alter von sechs Jahren aus - eine Spontanmutation, denn bis dahin hatte es keinerlei Anzeichen gegeben. Evelyn schüttelt heute noch ungläubig den Kopf, wenn sie ihre Kinderfotos anschaut: die rotgelockte Prinzessin im Rüschenkleid, das tanzende, schaukelnde, radfahrende Mädchen.

"Ich war das klassische Prinzesschen"

Heute ist sie kleiner als sie mit sechs Jahren war. An die 100 Brüche und zahlreiche Operationen haben ihre Gliedmaßen und die Wirbelsäule verkrümmt. Schon lange ist sie auf den Rollstuhl angewiesen und benötigt die Hilfe einer 24-Stunden-Pflegerin für alle Tätigkeiten des täglichen Lebens.

Lockdown- und Quarantänezeiten sind Teil des Lebens von Evelyn Brezina - bedingt durch Knochenbrüche, Operationen, Lungenentzüdungen. Schon als Volkschulkind musste sie die Sommerferien im Rehazentrum auf der Stolzalpe verbringen, weit weg von der Familie, eingegipst bis über den Bauch, gefügt von quälenden Gehübungen. Die damit verbundene Verzweiflung und Einsamkeit beschreibt sie anschaulich und berührend in ihrem autobiografischen Buch "Zerbrichmeinnicht und Löwenzahn". Aber, und das scheint typisch für Evelyn zu sein - sie beschreibt auch wie schön es war, im Bett hinaus auf den Balkon geschoben zu werden, in die stille, dickverschneite Landschaft zu blicken und bei den langsam vom Himmel sinkenden Schneeflocken einzuschlummern.

Die Autorin hat Evelyn gebeten, ein Corona-Tagebuch zu führen

Die alltäglichen Dinge wie Aufstehen, Anziehen, Essen - all das ist zeitlich aufwendig und anstrengend. Oft sind es die Schmerzen, die sie zwingen daheim, im Bett zu bleiben. "Aber wenn ich dann mal hinauskann", sagt Evelyn Brezina lachend, "dann bin ich nicht zu bremsen". Diese ungebremste Energie und Begeisterung konnte ich beim gemeinsamen Ausflug miterleben, den wir im Juli unternahmen. Begleitet von ihrer Pflegerin Dana fuhren wir mit der U-Bahn zur Kaiserlichen Wagenburg in Schönbrunn. Dort sollte Evelyn Fotos machen, da sie vom Kunsthistorischen Museum, zum dem auch die Wagenburg gehört, zu einem Takeover des KHM-Instagram-Accounts eingeladen wurde.

Es ist die spezielle Perspektive, die sich aus dem Rollstuhl aus auf Wien bietet, die Evelyn Brezinas Fotos besonders macht, aber ebenso ihr Blick für sonst übersehene Details von Sehenswürdigkeiten und ihre Aufmerksamkeit für das Schöne im Unscheinbaren.

Engelsfiguren über einem Schaufenster in der Wiener City

Als wir zwei Stunden und dutzenden Fotos später aus der Wagenburg kommen, empfängt uns Kaiserwetter. Fast. Dass dicke und dünne Wolken den ansonsten strahlend blauen Himmel durchziehen, macht ihn als Fotomotiv interessanter. „Eines der Bilder, für die ich besonders dankbar bin, eine Wolkenformation, wie sie so nie mehr zu sehen sein wird“, ist schon am nächsten Morgen auf Instagram zu lesen. Der Adrenalinausstoß beim Fotografieren hat die Schmerzen verdrängt, die das stundenlange Fahren im Rollstuhl verursacht. Am darauffolgenden Tag wird eine Pause eingelegt - in Vorfreude auf die nächste mögliche Reise durch Wien.

Wolken über Schönbrunn

EVELYN BREZINA