Anthony Powell

JONATHAN PLAYER REX

Literatur

Zielgerichtete Untersuchung an Wirrköpfen

Mit Anthony Powells zwölfbändigem "Tanz zur Musik der Zeit" liegt seit 2018 einer der bedeutendsten englischen Romane nach 1945 auf Deutsch vor. Nun ist auch der furiose Debütroman des englischen Autors aus dem Jahre 1931 zu entdecken: "Die Ziellosen" (Originaltitel: "Afternoon Men").

So ziellos die Romanfiguren sind, so zielgerichtet strukturiert ist der komplexe Plot des im London Ende der 1920er Jahre spielenden Romans. Der erste Teil, "Montage", zeigt den Museumsangestellten Atwater, den mäßig begabten Maler Pringle und 30 andere Figuren in ihrem von absurden Konventionen und Höflichkeit bestimmten, oft grotesken Sozial- und Balzverhalten. Wie ein Planet der Sonne kommt Atwater im zweiten Teil, "Perihelion", seinem träge angestrebten Ziel Susan während parallel geschilderter Boxkämpfe am nächsten und ist von ihr in der Hitze des Londoner Sommers so geblendet, dass er sich kaum an ihr Aussehen und ihre Stimme erinnern wird. Wie der Titel des dritten Teils, "Palindrom", signalisiert, bewegt sich alles rückläufig: Pringle und Atwater enden, wo und wie sie begonnen haben, in einer Bar, gelangweilt, von Frauen verlassen. Das Ziel der "Afternoon Men"? Die nächste "fröhliche Party".

Gesehen wird das Geschehen aus Atwaters Perspektive, der die nüchterne - diverse Register zielsicher einsetzende - Stimme eines anonymen Erzählers beigestellt ist. Eine mäandernde Tirade des wirrköpfigen Redakteurs eines spiritistischen Magazins erweist sich als Absage an vormoderne, moralisierende Literatur, deren Klischees, Sentimentalität und Pathos der "Lost Generation" nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr gerecht würde. Zugleich ließen sich aus der virtuos komischen Stilparodie die Themen des Romans - Ziellosigkeit, Promiskuität, Liebe, Freundschaft, Vergänglichkeit - filtern. Die seitenlange Auslassung endet Powell mit einer typischen Antiklimax: "Fotheringham trank sein Glas in einem Zug aus. Er sagte: ‘Ich vermute, ich muss ziemlich depressiv geklungen haben. Sehen Sie, ich hatte ein sehr schwer verdauliches Mittagessen.‘"

Geschult an Hemingway und Tschechow

Kunstvoll kunstlose, meist mit "und" montierte Stakkato-Sätze sind isolierte Erzähleinheiten von ins Leere laufenden Ereignisse und Dialogen, die an Hemingway geschult sind, ohne dessen Machosentimentalität zu übernehmen. Emotion? Zwischen den kühlen Zeilen. Immerhin dämmert Atwater, warum er Susan verfehlt hat. Lehrmeister dieses fulminanten Debüts eines 26-Jährigen waren neben Hemingway und Tschechow die im deutschen Sprachraum kaum bekannten Ronald Firbank, William Gerhardie und Wyndham Lewis. Der Effekt der Banalitäten und Klischees ist amüsant, komisch, nicht satirisch. Menschliches Verhalten untersuchen, nicht urteilen, sondern lachen, das ist Robert Burtons Rezept in "Anatomy of Melancholy" (1621). Im dem Roman vorangestellten Burton-Zitat finden sich die titelgebenden "Afternoon Men" und "a company of giddy-heads", eine Gruppe von Wirrköpfen, Ziellosen - wienerisch: "lauter Schwindliche".

Literatur, die "das Leben zeigt, wie es sein könnte", bedachte Powell mit dem Verdikt "romantisch": literature engagée und Satire wüssten "immer besser, wie’s geht". Moralisieren sei in Film, Journalismus, Feuilleton und der bildenden Kunst so "allgegenwärtig und vielgestaltig", dass ein anderer Zugang fast undenkbar geworden sei. Romantisches legte er bei Dickens, Joyce, Waugh, Graham Greene, Camus und den "meisten amerikanischen Autoren" bloß: Selbstmitleid, Sentimentalität, Geniekult und das Dogma, Gesellschaft, Milieu und Tradition vernichteten den guten, freien und schöpferischen Menschen.

Ingo Drzecnik, der alles andere als wirrköpfig agierende Gründer des vielfach prämierten Elfenbein Verlags, hat die vier weiteren Vorkriegsromane Powells im Visier.

Service

Anthony Powell, "Die Ziellosen", Roman, Übersetzung aus dem Englischen von Heinz Feldmann, 240 Seiten, 2020 Elfenbein
Originaltitel: "Afternoon Men"

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