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Literatur

John Dos Passos, "USA-Trilogie"

1937 erschien das Opus magnum des amerikanischen Romanciers und Journalisten: Zwölf Biografien, die John Dos Passos in ein ambitioniertes Geflecht aus inneren Monologen und Wochenschau-Collagen einbindet, geben Einblick in eine zur Weltmacht aufstrebende Einwanderer-Nation. Nun liegt das Werk in einer Neuübersetzung vor.

Wenn es einen Roman gibt, der den Charakter der USA wiederspiegelt, dann ist es die USA-Trilogie von John Dos Passos. Seine Roman-Trilogie ist ein narrativer Koloss - eine etwas andere Geschichte vom "American Dream", der in der Lesart des Autors ein Alptraum ist. Illusionslos, abgemagert auf das Skelett jener wohlfeilen Erkenntnis "Friss oder Stirb", reißt uns Leser der Erzählstrom in das amerikanische Zeitalter hinein und erzählt von der atemlosen Jagd nach Liebe, Geld und Macht.

Grundkurs in die Logik des US-Kapitalismus

Ganz nebenbei ist dieses Opus Magnum auch ein Grundkurs in die Logik des US-Kapitalismus, mit seinem Mantra grenzenlosen Wachstums. Auch abseits der großen US-Metropolen bringt Dos Passos sein Kamera-Auge in Position. Im beschaulichen Bundestaat Delaware verfolgt er das Leben eines jungen Werbefachmannes, der von einem besseren Leben träumt - koste es, was es wolle.

Es war ein schlimmes Jahr für Johnny Ward Moorehouse. Er war zwanzig. Er rauchte nicht, er trank nicht, er hielt sich sauber für die wunderbare Frau, die er eines Tages heiraten würde, eine Frau in rosarotem Batist, mit goldenen Locken und einem Sonnenschirm. Er saß in einem muffigen kleinen Büro, listete Mehrparteienhäuser, möblierte Zimmer, Mietwohnungen und erschlossene Baugrundstücke auf und dachte dabei an den Burenkrieg, das tätige Leben und die Suche nach Gold.

Buchcover John Dos Passos, USA-Trilogie

John Dos Passos' "USA-Trilogie" ist in einer Neuübersetzung von Dirk van Gunsteren und Nikolaus Stingl bei Rowohlt erschienen

John Dos Passos' "USA-Trilogie" ist in einer Neuübersetzung von Dirk van Gunsteren und Nikolaus Stingl bei Rowohlt erschienen

Experiment mit der offenen Form

Dos Passos folgt in seiner "USA-Trilogie" nicht einem Schicksal, sondern versammelt seine Protagonisten zu einem biografischen Kosmos. Ähnlich wie in seinem Roman "Manhattan Transfer" experimentiert der Autor mit einer offenen Form. Seine Charaktere kullern wie Murmeln durch die Zeitläufte, dem Schicksal und der Willkür der übergroßen Geschichte überlassen. Aus dem provinziellen Dornröschenschlaf erwachen die Vereinigten Staaten zu einer Weltmacht, und wittern im noch europäischen Ersten Weltkrieg ein Bombengeschäft.

Nun, Gentlemen, ich bin soeben aus Europa zurückgekehrt, meine Frau und ich haben Großbritannien am Tag der Kriegserklärung verlassen - es war knapp. Eines kann ich Ihnen mit ziemlicher Sicherheit sagen: Egal, wer gewinnt - Europa wird wirtschaftlich erledigt sein. Dieser Krieg ist Amerikas große Chance. Die Tatsache, dass Amerika neutral ist.

Ein Sittenbild von 1890 bis 1930

Neben den biografischen auf zwei Jahrzehnte ausgedehnten Erzählsträngen, die den zwölf Charakteren gewidmet sind, blendet Dos Passos kompakte Kurzbiografien ein, die zum Beispiel dem Erfinder Thomas Edison und dem Schauspieler Rudolfo Valentino gewidmet sind. Dazu zoomt er sich mit einem subjektiven Kameraauge in seinen inneren Gedankenstrom. Es sind assoziative Gedankensplitter, die das konventionelle Erzählkonstrukt modernistisch aufbrechen. Schlussendlich setzt Dos Passos launig pointiert, nummerierte Wochenschau-Schlagzeilen ein, und blickt wie von einer Bergspitze auf den historischen Erzählstrom mit spöttischem Blick.

Die Leute in Georgia sind ganz verrückt
Nach nem neuen Tanz, der sie sehr entzückt
Er heißt Wackel mit dem Ding.

Als Sanitäter in Frankreich

Dos Passos erlebte die Schrecken des Ersten Weltkriegs mit eigenen Augen - er war in Frankreich als Sanitäter stationiert. Dort sah er, wie der Abnutzungskrieg und die Spanische Grippe Amerikas junge Helden dezimierten. Amerikas Griff zur Weltmacht forderte einen hohen Tribut.

In der Teerpappen-Leichenhalle in Charlons-sur-Marne suchten sie im Chlorkalk- und Leichengestank die Kiefernholzkiste heraus, die alles enthielt, was übrig war von Eene meene ming mang ping pang da waren noch viele andere Kiefernholzkisten gestapelt, die enthielten, was man zusammengekratzt hatte von Richard Roe und einer oder mehreren unbekannten Personen. Nur einer darf mit.

Das Land ist gespalten, und Macht ist käuflich

Grundpessimistisch und voller Sarkasmus blickt Dos Passos auf die Machtgefüge in Justiz, Wirtschaft und Gesellschaft, und macht keinen Hehl aus seiner sozialistischen Perspektive. Am Beispiel der berühmten Anarchisten Sacco und Vanzetti, die 1927 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden, macht er klar: Dieses Land ist gespalten, und Macht ist käuflich.

Unsere Nation Amerika ist besiegt worden von Fremden die unsere Sprache auf den Kopf gestellt und die klaren Worte unserer Väter genommen und in etwas widerlich Schleimiges verwandelt haben. Ihre bezahlten Männer sitzen auf der Richterbank sie sitzen zurückgelehnt und mit den Füßen auf dem Tisch unter der Kuppel des Parlamentsgebäudes, sie haben keine Ahnung von dem woran wir glauben, sie haben die Dollars die Gewehre die Armee die Kraft-werke, sie haben den elektrischen Stuhl gebaut und bezahlen den Henker der den Schalter umlegt - also gut wir sind zwei Nationen.

Eine zeitlose Totalschau

Auch wenn irgendwann der Wille erlahmt, jedes Aufblitzen sensationeller Überschriften aufzunehmen und man im Pendeln zwischen den Biografien ins Stocken gerät, ist man Dos Passos dankbar für diese unbändige politisch geladene Totalschau amerikanischer Denk- und Lebensart, die in der Neuübersetzung so klingt, als wäre sie zeitlos und von der Straße aufgelesen. Nach Lektüre dieser wuchtigen Inspektion amerikanischer Verhältnisse, versteht man vielleicht auch ein bisschen mehr, warum die USA heute eine so zerrissene Nation sind - sie waren es wohl seit Anbeginn.

Service

John Dos Passos, "USA-Trilogie", aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren und Nikolaus Stingl, 1644 Seiten Rowohlt Verlag, Hamburg 2020

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