Flat-Earth-Modell

AFP/FLORENCE GOISNARD

Matrix

Zwischen Aluhut, Zensur und Weltherrschaft

"Bitte schaut euch dieses YouTube-Video an, dieser Arzt spricht die Wahrheit und wird deswegen in den klassischen Medien zensiert…"

Es ist eine von vielen aufgeregten Nachrichten, die mich in WhatsApp-Chats mit Freunden oder Familie während des Lockdowns im Frühjahr erreicht haben. "Noch einmal ein Video zum Diskutieren, schaut es euch bitte zu Ende an!"

Zu Beginn der Pandemie habe ich sie mir alle noch angesehen: die zahlreichen dubiosen YouTube-Clips, in denen selbst ernannte Ärzte ihre Botschaften verkünden. Kettenbriefe, in denen angebliche Expertinnen zur Atem-Selbstkontrolle aufrufen, oder die Warnung, das Virus sei eine im Labor gezüchtete Biowaffe, um mit Zwangsimpfungen die Welt zu kontrollieren. Aber ich möchte den vielen bizarren Theorien rund um Pharmafirmen-Komplott, heimliche Untergrundherrschaft oder vom Himmel fallende Vögel hier nicht mehr Platz als notwendig einräumen.

Youtube-Screens

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Beschäftigt haben mich die abstrusen Theorien um das Coronavirus trotzdem. Und deshalb habe ich im Frühjahr auch recht aktiv versucht, in den WhatsApp-Gruppenchats immer wieder Links zu seriösen Medien und Wissenschaftler/innen zu teilen und meine Meinung diplomatisch, geduldig und mit Fakten zu argumentieren.

„Vielen Menschen fällt es schwer zu glauben, dass ein winziges Virus unser Leben so stark verändert. Deswegen sind die Mythen vom im Labor gezüchtet Virus so beliebt.“
Katharina Nocun, Fake Facts

Oder die liebe Familie zumindest zur eigenen Internetrecherche anzuregen. Denn, vielleicht überdenkt man den Rat eines Mediziners ja, wenn man mit Google herausfindet, dass Selbiger etwa behauptet, man könne HIV ja ganz einfach mit Knoblauch heilen - warum also nicht auch das Coronavirus?

"Flat-Earther": die Erde ist eine Scheibe

Man lächelt gern über Menschen, die sich als "Flat-Earther" bezeichnen und sich von YouTube-Predigern überzeugen lassen, die Erde sei eine Scheibe. Auch wenn laut Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov 84 Prozent der befragten US-Amerikaner/innen nicht an einer kugelrunden Erde zweifeln und lediglich zwei Prozent der Amerikaner/innen felsenfest von einer Scheibenform überzeugt sind, bleibt ein unentschlossen zweifelnder Rest, der sich bei der Erdform noch immer nicht ganz sicher ist. Belehrende Floskeln wie "Das weiß doch jedes Kind…" führen hier in eine Sackgasse, oder besser gesagt: an den Rand der Scheibe.

Verschwörungsmythen boomen in Krisenzeiten

Verschwörungstheorien betreffen aber längst nicht mehr, wie lang behauptet, nur noch den Rand der Gesellschaft. Das haben auch die deutsche Politikwissenschafterin Katharina Nocun und Sozialpsychologin Pia Lamberty in ihrem aktuellen Buch Fake Facts analysiert. Ihre Studie verdeutlicht, dass viele Menschen eine Veranlagung für den Glauben an Verschwörungsmythen haben und dass sich diese besonders in Krisenzeiten verstärkt.

„Dass wir heute darüber diskutieren, ob es so etwas wie Fakten gibt, finde ich verstörend!“ Katharina Nocun, Autorin „Fake Facts”

Eine gewisse Anfälligkeit für abstruse Erklärungen gibt es also nicht erst seit der Coronapandemie. Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus werden gern in bereits bestehende ältere Verschwörungserzählungen vor allem von Impfgegnern, Antisemiten und Rechtsextremisten eingebaut, so Katharina Nocun.

Weniger Fakten, mehr Empathie

Mit Fakten rennt man bei der Diskussion mit Verschwörungstheoretiker/innen aber gegen eine Wand - da sind sich Wissenschaftler/innen einig. Belächeln sollte man die Anhänger abstruser Theorien aber auch nicht, warnt Nocun. Das wäre zu einfach. Man sollte vielmehr empathisch und auf Augenhöhe das Gespräch suchen und versuchen, die Sorgen des Gegenübers nachzuvollziehen.

Roland Imhoff von der Gutenberg-Universität Mainz ermutigt in einem Gespräch mit dem Schweizer Rundfunk aber trotzdem zum Widerspruch. Würde man bestimmte Mythen in den sozialen Medien unwidersprochen stehen lassen, würde das die Wirklichkeit verzerren. Ich werde also wieder damit beginnen, in den WhatsApp-Gruppenchats meinen Senf zu dubiosen Videos und Aluhut-Schwurbeleien zu geben. Diesmal geduldiger, mit weniger Fakten und mehr Empathie. Vielleicht habe ich dann mehr Erfolg.

Gestaltung: Julia Gindl