Szenenausschnitt, "Das verratene Meer"

WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN

Hans Werner Henze

"Das verratene Meer" an der Staatsoper

Fast hat man sich schon daran gewöhnt: Live-Stream-Premieren, TV- und Radioübertragungen ohne Applaus, Jubel oder Buhrufe. Auch die nächste Staatsopernproduktion wird auf diese Weise aus der Taufe gehoben - und verspricht dennoch ein imposantes (Hör-)Erlebnis zu werden: "Das verratene Meer" von Hans Werner Henze. Ö1 sendet einen Mitschnitt am 15. Dezember um 19:30 Uhr.

Der 13-jährige Noboru taumelt zwischen den Welten. Hier die fast symbiotische Beziehung zu seiner verwitweten Mutter Fusako, Betreiberin einer noblen Boutique, die ihn nachts in seinem Zimmer einschließt. Dort die anarchistische Jugendbande, die kleine Katzen quält und gegen die Elterngeneration rebelliert.

Doch dann verlieben sich Mutter und Sohn in den stattlichen Frachtschiffoffizier Ryuji, der für die Mutter Fusako sogar sein Seefahrerleben aufgibt, während er Noborus unausgesprochenem Begehren und Aufbegehren mit wohlwollender Spießigkeit begegnet. Die alarmierte Gang springt dem gekränkten Ziehsohn zur Seite und rüstet sich für die finale Hinrichtung des Seemanns, der in ihren Augen nicht nur die See verriet.

Romanadaption, nochmals adaptiert

1990 hatte Henzes Literaturadaption (Yukio Mishima, "Der Seemann, der die See verriet") in Berlin Premiere. Sie stieß auf Kritik, was den Komponisten dazu veranlasste, noch einmal massive Eingriffe zu tätigen. 2005 entstand die Fassung, auf der die heutige Staatsopernpremiere basiert.

Mit nur sieben Figuren, ohne Chor, dafür mit opulentem Orchester setzte Hans Werner Henze die obsessiven, albtraumhaften Bilder der Romanvorlage um. Die zahlreichen Schauplatzwechsel verband er durch instrumentale Zwischenspiele, sogenannte "Verwandlungsmusiken".

Szenenausschnitt, "Das verratene Meer"

WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN

Was im Text fehlt, erzählt die Musik

Für Jossi Wieler, der gemeinsam mit Sergio Morabito Regie führt, ist die Fülle an Schauplätzen und Verwandlungsmusiken auch ein Grund für die seltene Aufführung des Werks: "Man wusste vielleicht auch nicht, wie man das konkret lösen soll mit diesen 14 Szenen, die fast alle an einem anderen Ort spielen, mit diesen Verwandlungsmusiken dazwischen. Es ist ein Kammerspiel, aber die Musik ist geradezu antizyklisch dagegen komponiert. Es erzählt so viel über die Innenräume dieser verlorenen Seelen."

Wieler und Morábito wissen diese Zwischenspiele gut für ihre Inszenierung zu nutzen, und ziehen stets mindestens eine weitere, pantomimische Handlungsebene abseits des Librettos ein, auf der sich die drei Protagonisten Vera-Lotte Boecker als Fusako, Josh Lovell als ihr Sohn Noburo und Bo Skovhus als Seemann bewegen und begegnen.

Assoziative Verwandlungsmaschine

Das Bühnenbild von Anna Viebrock ist ein grauer, von hohen Betonklötzen begrenzter Platz, der im fliegenden Wechsel Hafenpromenade und Schlafzimmer, Fusakos Modeboutique und Ryujis Schiff darstellt. "Fast filmisch" wirkten für ihn die Szenenwechsel der Vorlage, erzählt Sergio Morabito.

Das Team hätte sich allerdings für eine bühnentauglichere Raumlösung entschieden, die durchaus Grenzgänge zwischen Gedanken, Träumen und Realität zulässt. "Ein Musikdrama - diese Genrebezeichnung hat Henze gewählt - und gleichzeitig erfindet es die Kunstform Oper neu", sagt Morabito.

Musik in voller Farbenpracht

In diesem Grau-in-Grau lässt die Dirigentin Simone Young Henzes gesamte musikalische Farbpalette wirken. Sie erzähle viel davon, was im Text nicht vorkommt, so die Australierin, die den Komponisten zu Lebzeiten einmal persönlich traf, um über seine Musik zu sprechen. "Dieses Werk ist brillant instrumentiert und Henze schöpft wirklich alles aus", schwärmt sie.

Nur ein Aspekt, der die Stream-Premiere und Ö1-Übertragung trotz Einschränkungen zum spannenden Hörerlebnis machen wird.

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