Der Eingang in den Nachtclub "Tresor" in Berlin.

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Dimensionen

Ausnahmeraum geschlossen

Clubkultur ist mehr als Abfeiern: Psychohygiene, Motor kultureller Entwicklungen - und inzwischen auch Standortfaktor. Derzeit sind all diese Funktionen ausgesetzt.

„Die Nachtwirtschaft erzielt in Wien eine Milliarde Euro Umsatz, sie hat 4.300 Unternehmen, 24.000 Beschäftigte und entwickelt sich darüber hinaus dynamisch“, erhob die Vienna Club Commission. Die übergeordnete Interessensvertretung sollte die Anliegen der Clubszene vertreten. Aktuell steht aber vor allem ein Problem im Vordergrund: Clubkultur lässt sich nicht an die Corona Bestimmungen anpassen.

Während Rockperformer zur Not auch vor sitzendem Publikum spielen können, ist im Club das Publikum die Show. Jede/r bewegt sich im Raum, von Bar zu Bar, am Dancefloor oder auch mal vor die Tür und wieder rein - Mobilität im Raum ist ebenso Teil des Konzepts wie das mitunter exzessive Tanzen, das Gespräch mit wildfremden Leuten an der Bar und nicht zuletzt das Beobachten dieses Treibens, das die Gedanken erst beflügelt - natürlich nachts.

„Meine besten Ideen, ab 2 Uhr 30 kamen die - du musst dich drauf einlassen in so einer Nacht, das ist sehr inspirierend. Die Nacht ist auch schön, alle sehen gut aus, du siehst nur Schatten.“ So sieht das Dimitri Hegemann, seit Mitte der 1980er Jahre ein zentraler Akteur der Berliner Szene. Damals brachte er Techno in die Stadt, später betrieb er den Tresor. Der legendäre Club der Wendezeit befand sich im Grenzgebiet des vormals geteilten Berlins, es war der Geldspeicher eines Kaufhauses gewesen. Mittlerweile ist der Tresor Geschichte.

Deviante Konzepte

„Wenn man sich ankuckt, unter welchen Bedingen der Club Tresor eröffnet wurde, das wäre heute feuerpolizeilich nicht denkbar“, erinnert sich Tim Renner, Musikmanager und Kulturpolitiker. „Ich war selbst dort und hab teilweise nicht rausgefunden, nicht wegen Drogen, sondern wegen Rauch, Nebel, engen Gängen -viele solche Situationen würden in einer gewachsenen, reichen Stadt nicht akzeptiert.“ Doch hier ist die Rede von Berlin um 1990.

Neben dem Tresor gab es zahllose kleine Clubs in den Leerständen im Osten, in denen sich alle Welt zu treffen schien. Die wiedervereinigte Stadt zog Menschen an, zugleich schien die spezielle Situation soziale Grenzen außer Kraft zu setzen. Bis heute haben die Berliner Clubs ein höheres Durchschnittsalter als in anderen Städten. Diese moderne Clubkultur, so hat man in Berlin herausgefunden, wirkt als Standortfaktor, weil sie junge Leute anzieht, die in innovativen und kreativen Branchen gebraucht werden. So ist die Clubkultur auch immer selbstbewusster geworden, viele Clubs betreiben auch Restaurants und haben hübsche Terrassen. Clubkultur ist etabliert.

Hinterzimmer Historie

Für Künstler im Exil, Homosexuelle und andere Randgruppen waren Clubs eher Verstecke und Zufluchtsorte. Traditionell zuhause in Kellern, verlassenen Lagern oder schummrigen Hinterzimmern. Cabarets waren meist im Souterrain untergebracht, berichtet die Kunsthistorikerin Katharina Lovecky. „Man kann das schon so interpretieren, dass man da, wenn man die Treppen hinabgeht, den Alltag hinter sich lässt und in eine andere Parallelwelt hinabsteigt.“

Lovecky sprach über die Ausstellung „Into the Night“ im Belvedere. Hier war beispielsweise das originale Cabaret Fledermaus nachgebaut (also nicht das heutige Lokal). Im Milieu der Varietés und Nachtcafés herrschte noch die klassische Aufführungssituation (Das vielfältige Rahmenprogramm fiel Großteils dem ersten Lockdown zum Opfer). Doch vor dem eingeschworenen Publikum waren Experimente möglich, die als kulturelle Impulse wirkten und neue Formen und Techniken ins Spiel brachten. In den angesagten Clubs heute sorgt das Publikum selbst für die Show. Von klassisch eleganten bis zu ausgeflippten Outfits ist alles erlaubt. Im Club kann jede/r auf der Tanzfläche den Alltag hinter sich lassen, aus sich herausgehen und vielleicht sogar über sich hinauswachsen.

Neue Gedanken aus der Nacht

Tanzende Menschen tragen wohl auch wesentlich zur inspirierenden Atmosphäre bei. „Ich habe super Gespräche geführt, super Ideen entwickelt mit Leuten…es ist ja auch so, wenn Du mit einem Prof oder so irgendwie auch im Job mit jemand sprichst, ist das alles so seriös und relativ ernst, aber triffts Du da ´n Banker in der Nacht, ist alles ´n bisschen lockerer. Man hat mal in andere Richtungen gedacht. Und daraus ist auch viel entstanden“, rekapituliert Dimitri Hegemann seine Erfahrungen.

Nicht zuletzt sind Clubs auch wichtige Orte der Psychohygiene. Eintauchen, Abtanzen, Verschwinden in der Dunkelheit - für manche Menschen ein wichtiger Ausgleich zum Funktionieren in der komplexen Leistungsgesellschaft. Andererseits steht die kulturelle Produktion dieses Milieus in Sachen Sound und Show in engem Austausch mit anderen Kreativbranchen.

Das alles gilt es zu bedenken, wenn die Unterstützung der Clubs diskutiert wird, und wenn Einzelakteure aus diesem Bereich um ihre Existenz bangen müssen. Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage, wo man tanzen soll, wenn es keine Clubs gibt.

Gestaltung: Paul Lohberger

Service

Tresor Berlin
Belvedere - Into The Night
Vienna Club Commission