Männer und Frauen tanzen in den 1920er in Berlin.

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Radiokolleg

Die goldenen 1920er Jahre

Die Ausgangslage zu Beginn der 1920er Jahre ist alles andere als golden. Das Jahrzehnt wird mehr von innenpolitischen Auseinandersetzungen und wirtschaftlicher Not geprägt als von Zusammenhalt und Aufbruchstimmung - auch wenn es Lichtblicke etwa im Bereich der Frauenemanzipation gab.

So änderten sich Verhalten und Aussehen von Frauen ganz grundlegend: Auf einmal trugen sie kurze Haare, waren stark geschminkt, rauchten in der Öffentlichkeit Zigaretten und tranken Alkohol; sie schälten sich aus Miedern und Korsetten, trugen luftige, kurze Kleider und gingen allein tanzen.

Gesellschaftlicher Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg

Hintergrund dafür war: Männer fehlten als Arbeitskräfte und Versorger, viele Frauen mussten sich selbst um ihren Unterhalt kümmern, das Selbstbewusstsein wuchs; zum neuen Frauenbild gehörten nun junge Ledige, die ihr Geld zum Beispiel als Sekretärinnen, Journalistinnen oder Autorinnen verdienten. Erst kurz zuvor war den Frauen in den jungen Demokratien Mitteleuropas auch das aktive und passive Wahlrecht zugestanden worden.

Tanz auf dem Vulkan

Am 30. Oktober 1918 wird der Sozialdemokrat Karl Renner der erste Bundeskanzler der Ersten Republik Österreich. Doch die Bevölkerung ist durch die Mühen des Ersten Weltkriegs ausgehungert, und für die Mehrheit der Bevölkerung stellt der Begriff Demokratie ein Fremdwort dar. Zum Problem der Versorgungslage kommt eine Pandemie namens Spanische Grippe.

Dieses an sich düstere Bild hindert jedoch die Bevölkerung nicht daran, nach den Entbehrungen des Weltkriegs ihre Lust am Leben regelrecht zur Schau zu stellen. Zahlreiche Beispiele der 1920er Jahre zeigen, dass genau in solch instabilen Situationen die Sehnsucht nach einem Ausbruch aus dem Alltag am größten ist. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan, von dem die Menschen wissen, dass er heftig ausfallen muss, weil die Katastrophe nah ist.

Cafés, Theater und Varietés entstehen, das Nachtleben in den Metropolen ist freizügig-exzessiv. Auf allen Gebieten - in Politik, Gesellschaft, Kultur und Freizeit - wird ein Neuanfang versucht. Neben Berlin, Paris, London und New York kann auch Wien als Versuchslabor beschrieben werden, in dem in vielen Kunst- und Lebensbereichen experimentiert wird.

Die "Roaring Twenties"

"Heute habe ich etwas entdeckt, das die Überlegenheit der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre versichern wird", schrieb etwa Arnold Schönberg im Jahr 1921 an seinen Schüler Josef Rufer. Gemeint war die Zwölftontechnik, auch Dodekaphonie genannt, die "das Komponieren mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen" meinte.

Die harschen, abweisenden Klanggestalten, die diese Technik hervorbrachte, markierten den Höhepunkt der klanglichen Modernität in den 1920er Jahren. Doch Schönberg und seine Schüler waren eben nur eine Facette der Musik der "Roaring Twenties". Mehr unmittelbare Wirkung entfaltete beispielsweise die Oper Jonny spielt auf von Ernst Krenek, die einen schwarzen Jazzmusiker im Trubel der neuen massenkulturellen Entwicklungen wie Film, Radio und Schlager auftreten lässt.

Zwischen einer kompromisslosen Moderne und dem Neoklassizismus entwickelten die 1920er Jahre ein eigenes Klangprofil zwischen Neuer Sachlichkeit, Tonalitätsnostalgie und nervöser Hypergespanntheit. Das kulturelle Substrat des Exzesses waren unter anderem die Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase, welche die Nackttänzerin Anita Berber im Wiener Konzerthaus aufführte und die den Spirit der 1920er zwischen Ausschweifung und Klischee vielleicht am nachhaltigsten verkörperten.

Gestaltung: Robert Weichinger, Sabrina Adlbrecht und Thomas Mießgang