Fritz Wisten

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Überleben im Berlin der Nazizeit

"Das Haus am Waldsängerpfad"

Der österreichisch-jüdische Schauspieler und Theaterregisseur Fritz Wisten hat die Nazizeit in Berlin auf abenteuerliche Weise überlebt. Das Buch "Das Haus am Waldsängerpfad" zeichnet diese Geschichte anhand der Erinnerungen seiner beiden Töchter nach und zeigt, wie damals am Berliner Stadtrand Nazi-Schergen und Verfolgte nicht selten Tür an Tür wohnten.

Als Publikumsliebling wurde der gebürtige Wiener Fritz Wisten in Stuttgart gefeiert, doch mit der Machtübernahme der Nazis 1933 verlor der fünf Jahre vorher noch zum Staatsschauspieler ernannte Wisten von einem Tag auf den anderen seine Anstellung. Daraufhin zog er mit der Familie nach Berlin, wo er vorerst noch als Intendant, Regisseur und Schauspieler beim Jüdischen Kulturbund arbeiten konnte.

"Eine Zeitlang war man einer sogenannten ‚privilegierten Mischehe‘, das heißt mit einer christlichen Ehefrau und christlich getauften Kindern verhältnismäßig geschützt", sagt Thomas Blubacher. Für sein Buch "Das Haus am Waldsängerpfad" hat er über Monate hinweg zahlreiche Interviews mit Wistens Töchtern geführt, die sich, obgleich damals beide bereits um die Neunzig, minutiös an die damaligen Ereignisse erinnern konnten.

Unmittelbare Nachbarschaft

"Ganz traumatisch war auch die Geschichte, als die Mutter und dann auch der Vater verhaftet worden ist. Und Canaris der Familie hilft, der dafür sorgt, dass Wisten nicht deportiert wird und die Mutter relativ glimpflich davonkommt." Der angesprochene Wilhelm Canaris war eine ambivalente Figur. Einerseits war er als Leiter des militärischen Geheimdienstes der Wehrmacht ein ranghoher Nazi, andererseits zeigte er ostentativ seine Sympathie für die Familie Wisten. Thomas Blubacher:"Der Einsatz für die Wistens war bei Canaris sicher christlich motiviert. Seine Tochter ging in den Konfirmandenunterricht mit einer Tochter von Wisten. Die Frau von Canaris, die in der Gemeinde sehr engagiert war, hat gesagt: Wenn ihr bedroht werdet, helfen wir euch."

Blubacher beschränkt sich in seiner Beschreibung ganz bewusst auf die unmittelbare Nachbarschaft der Wistens, wo erstaunlicherweise auch hochrangige Nazi-Schergen wie Walter Gross, der Begründer und Leiter des rassenpolitischen Amtes, und Reinhard Heydrich, einer der Hauptorganisatoren des Holocaust und Leiter der Wannsee-Konferenz ihre Häuser hatten.

Buchumschlag

BERENBERG VERLAG

Verbotenerweise ins Theater

Trotz dieses gefährlichen Umfelds und obwohl Wisten selbst nicht vor Verfolgung sicher war, gewährte er einem jüdischen Schauspieler Unterschlupf. Alfred Balthoff, nach dem Krieg Burgschauspieler und die deutsche Synchronstimme vom Peppone-Gegenspieler Don Camillo, pflegte damals eine enge Freundschaft mit Wistens älterer Tochter und war als Jude und Homosexueller doppelt gefährdet.

Thomas Blubacher: "Er hatte trotzdem eine Liebschaft gepflegt mit einem deutschen Wehrmachtssoldaten. Aber viel wahnsinniger sind so Geschichten, wie Susanne gemeinsam mit Balthoff eine Premiere am Staatstheater in Berlin besucht hat," wobei Balthoff meinte: Niemand denkt, dass jemand so wahnsinnig ist und sich verbotenerweise ins Theater schleicht.

Dichtes Netz aus Freundschaft & Ignoranz

Im aufschlussreichen Epilog beschreibt Thomas Blubacher, wie es nach dem Krieg zur alles andere als friktionsfreien Neuordnung der Berliner Theaterlandschaft kam. So geriet Fritz Wisten mit Bertolt Brecht in Konflikt, weil Wisten 1946 die Direktion des Theaters am Schiffbauerdamm übernommen hatte.

Thomas Blubachers "Das Haus am Waldsängerpfad" verbindet berühmte Namen wie Heinz Rühmann, Theo Lingen oder Gustav Gründgens mit weniger bekannten wie der "palästinensischen Nachtigall" Hede Türk-Börnstein oder Susanne Wistens Klavierlehrerin Grete Sultan, die nach ihrer Flucht in die USA eng mit John Cage zusammenarbeiten sollte. Ein dichtes Netz entsteht da, das viel erzählt über lebensrettende Freundschaften und todbringende Ignoranz.

Service

Thomas Blubacher, "Das Haus am Waldsängerpfad", Berenberg Verlag

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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