Rotes Boot auf einem Gewässer, darüber ein Vogelschwarm

APA/AFP/Noemi Cassanelli

Christine Wunnicke

"Die Dame mit der bemalten Hand"

Die "Arabische Reise", Mitte des 18. Jahrhunderts, gilt zwar als erste wissenschaftliche Expedition in die Länder des Nahen und Mittleren Ostens, sie geriet aber zum tragischen Desaster, denn nur ein einziger der sechs Teilnehmer überlebte. Die deutsche Schriftstellerin Christine Wunnicke hat daraus den Roman "Die Dame mit der bemalten Hand" gemacht. 2020 stand er auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

1761 bricht die sechsköpfige Mannschaft zu ihrer "Arabischen Reise" auf. Drei Jahre später lebt nur noch einer der Sechs, der deutsche Kartograf und Mathematiker Carsten Niebuhr, und wir finden ihn auf einer kleinen Insel vor Bombay.

Der manische Mathematiker

Schwer gezeichnet ist er vom Sumpffieber, was ihn nicht davon abhält, die hinduistischen Höhlengrotten auf der Insel zu erkunden und zu vermessen. "Niebuhr ist ein sehr exakter Mensch, das liest man auch aus seinen Reisebeschreibungen heraus", sagt Christine Wunnicke.

Frau lehnt an einer Wand

Monika Höfler

"Das hat etwas Faszinierendes, aber auch etwas Frustrierendes: Man möchte immer wissen, wie es ihm geht und stattdessen erfährt man die Sonnenstände und die Längengrade. Wenn man über ihn schreibt, ist das wiederum schön, weil man sich dann viel dazu ausdenken kann."

West-östliche Robinsonade

In einer augenzwinkernden Robinsonade lässt Christine Wunnicke ihren fiebernden Helden auf einen persischen Astronomen treffen, der eigentlich am Hof von Jaipur tätig ist, sich derzeit aber auf seiner Pilgerfahrt nach Mekka befindet. In Sichtweite der Küste warten die beiden auf ein Boot zurück nach Bombay und vertreiben sich und dem Leser die Zeit mit astronomischer Fachsimpelei und der Aufklärung sprachlicher und interkultureller Missverständnisse.

"Es gibt zwar eine gewisse Bedrohungslage, die ist in meiner Geschichte aber eher lächerlich, denn man kann das Festland je sehen und es handelt sich nur um Stunden bis die beiden wieder abgeholt werden. Das hat also was Parodistisches mit dieser Insel", so Christine Wunnicke zu ihrer Robinsonade der besonderen Art.

Der Bibel auf der Spur

Anstoß zu der Arabischen Reise hatte der Göttinger Theologe Johann David Michaelis gegeben. Für seine neue Bibelübersetzung sollte sein Forscherteam die Natur und Lebensweise des Nahen Ostens erkunden.

"Was waren die exakten Bezeichnungen der Pflanzen, die in der Bibel erwähnt werden, welche Sternbilder werden genannt, was ist die genaue Bezeichnung der Alltagsgegenstände, die in der Bibel erwähnt werden? ", nennt Christine Wunnicke einige der Fragen, die der Expedition damals mit auf den Weg gegeben wurden. "Es handelt sich also wirklich, um eine für die damalige Zeit revolutionäre biblische Feldforschung."

Der menschenfeindliche Theologe

In einem Zeitsprung geht es zurück nach Göttingen, wo Michaelis zu den Koryphäen der Universität zählt. Trotz der mehr als gewöhnungsbedürftigen Umgangsformen dieses unglaublich bissigen Zynikers. Als der Mathematiker Niebuhr im Arabisch- und Hebräisch-Unterricht nur langsam Fortschritte macht, lässt Wunnicke ihren Michaelis sagen:

Besser dressiert man einen Gaul zum Pudel, als Herrn Niebuhr eine komplexe Sprache zu lehren.

"Alles, was über Michaelis berichtet wird, ist mindestens so schlimm, wie das, was ich geschrieben habe", so Christine Wunnicke. "Den habe ich überhaupt nicht überzeichnet. Das war ein hochgebildeter, freigeistiger und toller Wissenschaftler, gleichzeitig aber eine schauderhafte Type. In den Berichten über Michaelis‘ Vorlesungen kann man regelmäßig darüber lesen, wie er im Vollrausch herumposaunt."

Die Sprache eines Jahrhunderts

In ihren vorigen beiden Romanen hat sich Christine Wunnicke ins London beziehungsweise ins Japan des ausgehenden 19. Jahrhunderts begeben. Dass es mit dem aktuellen Roman noch einmal gut hundert Jahre zurückging in die Vergangenheit, bereitete der studierten Linguistin und Altgermanistin da vergleichsweise wenig Kopfzerbrechen.

"Das 18. Jahrhundert fällt mir in Sachen Tonfall relativ leicht, weil ich in einer Lebensphase Unmengen Originaltexte aus dem 18. Jahrhundert gelesen habe", so Christine Wunnicke. "Da brauch ich nur einen Schalter im Kopf umlegen und bin dort. 19. Jahrhundert fällt mir da viel schwerer."

Poesie und Ironie

In ihrem Roman "Die Dame mit der bemalten Hand" holt Christine Wunnicke Sternbilder vom Himmel, hinduistische Götter von ihren Höhlenwänden und Carsten Niebuhr nach sechsjähriger Odyssee nach Göttingen zurück. Tausende Seiten Originaltexte hat sie dafür studiert, ihre Geschichte erzählt sie aber auf schlanken 165 Seiten und das mit einer spielerischen Leichtigkeit, die zwischen Poesie und Ironie unglaubliche Haken schlägt.

Servcie

Christine Wunnicke, "Die Dame mit der bemalten Hand", Berenberg Verlag

Christine Wunnicke

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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