Ille Gebeshuber

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Vom Kleinen im Großen lernen

Ille Gebeshuber "Im Gespräch"

"Alles wird anders werden. Vor allem, weil wir alle lernen müssen, anders zu denken!" sagt die Biomimetikerin, Physikerin und Nanotechnologin Ille Gebeshuber im Gespräch mit Andreas Obrecht.

Was die meisten Menschen nicht einmal wahrnehmen, findet Ille Gebeshuber "unglaublich spannend und schön": 1.000 Nanometer messende Algen, Rezeptorzellen im Innenohr oder Schmierstoffmoleküle zwischen den Lungenbläschen. Die Professorin für Angewandte Physik an der Technischen Universität Wien beschreibt winzigste Organismen und Vorgänge so leidenschaftlich und bildhaft, dass ihre Zuhörer/innen oft weder ein Mikroskop noch Fachwissen benötigen, um mit ihr in die faszinierende Welt der Nanotechnologie einzutauchen.

Schon als Kind war Ille Gebeshuber von der Natur fasziniert. 1969 als Tochter einer Hausfrau und eines Lagerarbeiters der voestalpine in Bruck an der Mur geboren, wuchs die Physikerin im steirischen Kindberg auf. Aufgrund einer angeborenen Hüftluxation durfte sie bis zu ihrem fünften Geburtstag nicht gehen. Also erschloss sie sich die Welt durch geduldige und genaue Beobachtung. "In dieser Zeit habe ich gelernt, auf kleinste und belebte Gebiete hinzuschauen", erinnert sie sich.

Bruck/Mur - Wien - Kuala Lumpur

Nach der Matura im Jahr 1987 ging Gebeshuber für das Studium der Technischen Physik nach Wien. "In Kindberg hat man aufgeschaut zum Pfarrer, zu den Lehrern und zu den Ingenieuren von der voestalpine", erzählt sie. "Deswegen hatte ich es auf den Titel der Diplomingenieurin abgesehen. Außerdem war die Ausfallquote an der Technischen Universität damals 73 Prozent - und ich war immer schon sehr ehrgeizig." Ihren eigentlichen Vornamen, Ilse, tauschte sie in den 1990er Jahren gegen das geschlechtsneutrale Ille, um ihren Publikationen den vermeintlichen Makel einer Autorinnenschaft zu nehmen.

1998 schloss Ille Gebeshuber ihr Doktoratsstudium ab. Nachdem sie sich 2008 im Fach Experimentalphysik habilitiert hatte, ging sie für sieben Jahre nach Kuala Lumpur, wo sie am Institute of Microengineering and Nanoelectronics an der Nationalen Universität Malaysia eine Professur innehatte. 2016 kehrte sie nach Wien zurück und wurde Professorin am Institut für Angewandte Physik der Technischen Universität Wien.

Von Zikaden abgeschaut

Die Lehre findet dieses Semester überwiegend aus dem Homeoffice statt. "Es ist ein Spagat, aber es ist machbar", kommentiert Gebeshuber ihre Arbeit im Kontext der Coronapandemie. "Ich denke, wir werden das als Menschheit überstehen, wenn wir vernünftig genug sind." Dass so manches Forschungsprojekt aufgeschoben werden muss, tut ihrem Enthusiasmus keinen Abbruch.

Aktuell arbeitet sie daran, die Struktur von Zikadenflügeln mittels Abdruckverfahren auf andere Oberflächen zu übertragen. Denn Bakterien und Viren werden auf den Flügeln der Insekten mechanisch zerstört - eine Eigenschaft, die auch auf medizinischen Instrumenten, in Klimaanlagen oder an Türklinken nützlich sein könnte. Bionik nennt man derartige Versuche, die Finessen der Natur in der Technik zur Anwendung zu bringen. Durch die Nachahmung der Art und Weise, wie Schlangen sich fortbewegen, könnten etwa die bei Endoskopien eingesetzten Geräte optimiert werden. Dies erforscht Gebeshuber gerade mit einer ihrer Studierenden.

"Kamele riechen so gut!"

Die Physikerin, die 2017 zur Österreicherin des Jahres im Bereich Forschung gekürt wurde, schwärmt übrigens auch für das Kamelreiten: "Eigentlich wollte ich ja wissen, wie diese Tiere riechen. Und ich sage Ihnen: Kamele riechen so gut!" Am 28. Jänner unterhält sich Andreas Obrecht mit Ille Gebeshuber über ihre Herzensprojekte, faszinierende Organismen und darüber, was wir vom Kleinen im Großen lernen können.

Text: Viktoria Waldhäusl