Turnton Docklands Opening

ARS ELECTRONICA/FLORIAN VOGGENEDER

Hörbilder

Klimaperspektive - Entwurf einer fiktiven Hafenstadt im Jahr 2047

Die Künstlergruppe Time’s Up hat mit der fiktiven Hafenstadt Turnton eine soziopolitische Utopie in einer ökologischen Dystopie geschaffen. Bereits mehrfach wurde Turnton für Ausstellungen in Museen und Galerien verzimmert und als begehbare Erzählung aufgebaut.

Utopie in der Dystopie

Im Jahr 2047 dominieren die verheerenden Langzeitwirkungen der Umweltverschmutzung den Alltag. Im Meer breiten sich Todeszonen aus und allerorts wüten Wetterextreme. Dürren, Stürme, Überschwemmungen und der kontinuierliche Anstieg des Meeresspiegels setzen immer neue Migrationsbewegungen in Gang. Und trotzdem gibt es Grund zur Hoffnung. Zu spät aber doch hat die Menschheit ihr Schicksal in die Hand genommen.

https://vimeo.com/236538737

Turnton im LENTOS Kunstmuseum Linz im Rahmen des Ars Electronica Festival 2017.

Es werden keine fossilen Brennstoffe mehr verwendet. Kreislaufwirtschaft, Gemeinwohl oder der Umweltschutz sind nicht mehr lediglich die Herzensanliegen vereinzelter engagierter Initiativen, sondern Grundpfeiler des gesellschaftlichen Lebens. Der nationale Protektionismus ist überwunden, die Reisepässe wurden abgeschafft, kein Mensch ist mehr illegal, denn dass in einer Welt, in der immer mehr Landstriche vertrocknen oder im Meer versinken, Menschen ihre Heimat verlassen können müssen, um woanders neu anzufangen, ist 2047 eine Selbstverständlichkeit. Und so kündigen Plakate in Turntons Hafenviertel stolz das bevorstehende Festival zur Feier des 20-jährigen Jubiläums des „New Neighbour Integration Bureau“ an.

Medusa Bar

ARS ELECTRONICA/FLORIAN VOGGENEDER

Das schlagende Herz des Hafenviertels ist die Medusa Bar. Dort haben die Ausstellungsbesucherinnen und -besucher die Möglichkeit, Einheimische und Durchreisende kennenzulernen, ihre Gespräche in Form kurzer Hörspiele zu belauschen, um unterschiedliche Facetten des gesellschaftlichen Lebens in dieser möglichen Zukunft kennenzulernen. Die in der Medusa Bar aufliegende „Turnton Gazette“ liefert weitere Hintergrundinformationen.

Turnton Docklands

TIME’S UP/MASCHEKS

Das Meer als Spiegel unserer Gesellschaft

Das Meer hätte sich als Spiegel der Gesellschaft einfach angeboten, so Tina Auer von Time’s Up auf die Frage, warum Turnton eine Hafenstadt sein sollte.

Viele Themen, die für sie von großer Relevanz waren, würden sich hier verdichten: Umweltverschmutzung, Klimawandel, Transport, Arbeitsweisen, Konsumationsmuster, Wirtschaftssysteme, Reiseverhalten, Migration, sagt Tina Auer.

In einer ersten Recherchephase schwärmten die Künstlerinnen und Künstler in alle Richtungen aus, um mit Wissenschaftler/innen und Aktivist/innen zu sprechen. Der Künstler Marc 9 reiste u.a. nach Gran Canaria zum Oceanography and Global Change Institute der Universität in Las Palmas, wo ihn die Meeresbiolog/innen über den alarmierenden Zustand der marinen Ökosysteme informierten. Die Überdüngung, der schleichende Sauerstoffverlust, die Überfischung, die Versauerung, das Einschleppen invasiver Arten, die Plastik- und Lärmverschmutzung, - gleich eine ganze Reihe von Problemen bringt die Meereslebewesen zusehends unter Druck.

„Wie möchten wir, dass diese zukünftige Zeit aussieht und welcher Schritte bedarf es im Jetzt?“

Wabenförmiges Motelzimmer

TIME’S UP/LEA FABIENNE

Von der Zukunft aus ins Jetzt blicken

„Die Fakten auf dem Tisch liegen zu haben, indem man bemerkt, dass sich die Welt in der Form, wie wir sie uns schönreden, wahrscheinlich tatsächlich nicht mehr retten lassen wird können, war bitter“, erinnert sich Auer.

Wenn man die Fakten nicht mehr schön reden kann und bemerkt, dass man die Welt wahrscheinlich nicht mehr retten kann, das ist bitter. Aber mann kann sich die Frage stellen wie die zukünftige Zeit aussehen soll, um zu sehen welcher Schritte es im jetzt bedarf um diese Zukunft einzuleiten, sagt Tina Auer.

Sobald man sich aber in einem Netzwerk von Menschen bewegt, die trotzdem versuchen, das Positive an der Situation zu sehen und Wandel einzuleiten, würden sich neue Perspektiven eröffnen. Ihre leitende Frage hätte von nun an geheißen: „Wie möchten wir denn gerne, dass diese zukünftige Zeit aussieht, um dann wieder zurückzublicken in unser Jetzt; um zu sehen, welcher Maßnahmen, welcher Schritte und welcher Ideen bedarf es im Jetzt.“

Lust auf Zukunft

Und „Signale“ im Jetzt bildeten schließlich auch die Ausgangspunkte für das fiktive Leben in Turnton im Jahr 2047. Unter Signalen verstehen die Künstler/innen von Time’s Up „Transformationskapazitäten oder Potenziale“, die heute bereits existieren, wie etwa alternative Wirtschaftssysteme oder Energieformen. „Das können ganz kleine, feine Pflänzchen sein“, führt Tina Auer aus, „und die haben wir extrapoliert und in die Zukunft projiziert.“

Dem vorherrschenden Katastrophismus möchte Time’s Up die Lust auf Zukunft entgegensetzen. Es würde nicht nur einen Realitätssinn sondern auch einen Möglichkeitssinn brauchen, so Tina Auer.

Susanna Niedermayr besucht Turnton gemeinsam mit dem Meeresbiologen Gerhard Herndl von der Universität Wien, der Philosophin und Tierethikerin Judith Benz-Schwarzburg vom Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien und mit der Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien.

Service

Turnton kann man das nächste Mal in Linz besuchen, von 7. Mai bis 17. Oktober im Rahmen des Höhenrausch 2021 im OÖ Kulturquartier.

Gestaltung