Placido Domingo

AP/RICCARDO DE LUCA

Stimmen hören

Placido Domingo wird 80

Der spanische Sänger, der in seiner gut 60-jährigen Karriere mit Lobeshymnen wie "König der Oper", "bester Tenor aller Zeiten" oder "lebende Legende" überhäuft wurde, feiert seinen 80. Geburtstag in Wien. Domingo wird in der Wiener Staatsoper den "Nabucco" in Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper singen - ohne Publikum, aber vor Kameras. ORF III strahlt die Aufzeichnung am Sonntagabend um 20.15 Uhr aus.

Es sei "ein Privileg, 80 Kerzen auf der Torte auszupusten", betonte Domingo in einem Interview für die deutsche Nachrichtenagentur dpa. Im März 2020 war der Sänger an Covid-19 erkrankt. Doch nicht nur das Virus machte 2020 für den Sänger, Dirigenten und Opernhausdirektor zum "Horrorjahr", wie die Zeitung "El Mundo" schrieb. Im Zuge der MeToo-Bewegung hatten Frauen dem "Maestro" aus Madrid im August 2019 teils Jahrzehnte zurückliegende sexuelle Belästigung vorgeworfen. Die meisten taten das anonym, Anzeigen wurden nicht erstattet. Die Vorwürfe hatten trotzdem erhebliche Folgen - und die Nachwehen zogen sich weit ins vorige Jahr hinein.

Eine von der Oper in Los Angeles beauftragte Untersuchung kam im März zu dem Ergebnis, dass bestimmte Vorwürfe des "unangemessenen Verhaltens" glaubwürdig seien. Auch eine Untersuchung des US-Verbands der Musikkünstler (AGMA) vom Februar 2020 kam zu dem Schluss, dass Domingo "unangemessene Aktivitäten" vom Flirt bis hin zu sexuellen Avancen ausgeübt habe. Nach den Vorwürfen war er im Oktober 2019 als Chef der Oper in Los Angeles zurückgetreten. Inzwischen sind die anklagenden Stimmen weitgehend verstummt. Domingo, der von sich selbst sagt, wenn er raste, roste er, tritt wieder auf. Es gab mehrere Auftritte in Italien, Monte-Carlo, Moskau und Sankt Petersburg und auch in Wien, wie eben jetzt wieder in der Staatsoper.

Eine Musikalische Biografie in acht Teilen

Für die Ö1 Sendung "Stimmen hören" hat Chris Tina Tengel acht Aufnahmen aus acht Jahrzehnten zusammengestellt.

Zur Einstimmung ein Musikstück außerhalb der Nummerierung: Placido Domingos Gesamtaufnahme des ...

Vielleicht ganz gut: Ich stelle mir vor, die Jüngeren und Jüngsten, die an der Materie interessiert sind, kennen ihn als älteren, jetzt alten Herrn, der es immer noch wissen will, der fürchtet, einzurosten, wenn er rastet, der vor einigen Monaten mit #MeToo-Angriffen sehr zu tun hatte, und seither nicht mehr überall gelitten ist. Die mit Domingo älter gewordenen Fans kennen natürlich die ganze Geschichte, aber trotzdem schadet es nicht, sie einmal gerafft nachzuerzählen. Aufnahme Nr. 1! 1941 bis 51 - natürlich ein Kniff, denn unseren José Placido Domingo Embil können wir da noch nicht zum Klingen bringen, dafür Mutter - und Vater. Placido Domingo Ferrer.

Das Theaterkind wuchs hinein

Placido Domingo Ferrer war schon ein bekannter spanischer Zarzuela-Sänger, als er 1940 in Madrid Pepita Embil, einen Star dieses Genres kennenlernte. Sie waren, nachdem Placido Junior auf die Welt gekommen war, noch viel mit Tourneetruppen in Spanien unterwegs, kamen 1946 erstmals nach Mexico, ließen sich bald ganz dort nieder. Eine eigene Domingo-Embil-Truppe entstand, bis in die 1960er Jahre sollte sie in Süd- und Nordamerika aktiv sein. Und Pepita Embil stieg auf zur Königin der Zarzuela.

Wir stellen uns Domingo Junior als Theaterkind vor, er wuchs hinein. 1957 stand er, natürlich auch in einer Zarzuela, als Bariton erstmals auf der Bühne, in der Stimmlage, die in seinen besten Zeiten auch der Vater gehabt hatte. Als Bariton sang er im Palacio de Bellas Artes, dem Opernhaus von Mexico City vor - als Tenor wurde er genommen. Rund um 1960: die ganzen Anfängerrollen, und parallel arbeitete Domingo als Korrepetitor, Ballett, Zarzuela, Oper, was halt hereinkam. Gerade noch aus dieser Phase: Aufnahme 2, Jahrzehnt 1951 bis 61: Domingo in "Andrea Chenier", in der Tenorino-Rolle des Incredibile, in Mexico City.

Ab 1966 zieht es gewaltig an

Noch im Jahr dieses Mitschnitts, 1961, wird Domingo diverse Tenor-Hauptrollendebüts zu verbuchen haben: in "La traviata", in "Lucia di Lammermoor", in "Otello", dort den Cassio. Partnerinnen, Partner: namhaft von Anbeginn, aber in Theatern fernab vom Schuss. Für zweieinhalb Jahre geht er zur jungen Israel National Opera in Tel Aviv; 280 Auftritte - und die Begegnung mit seiner ebenfalls zum Ensemble gehörigen künftigen Frau, Marta. 1965: Vorsingen an der New York City Opera, es wird also bereits prickelnd. Die Hauptrolle in der Premiere, mit der die City Opera ins Lincoln Center einzieht, ab dem Zeitpunkt Seit an Seit mit der Metropolitan Opera, der Uraufführung eines Werks von Alberto Ginastera, singt: Domingo. Auch 1966: eine konzertante "Anna Bolena" von Donizetti in New York City, Elena Souliotis, Marilyn Horn, Janet Baker - und als Percy wiederum er. Aufnahme 3a.

Ab da zieht es gewaltig an. Erstes Einspringen an der Met, 21 Saisoneröffnungen mit Domingo werden folgen. 1969: Italien ruft: die Mailänder Scala, mit "Ernani" von Verdi - Aufnahme 3b. Placido Domingo in der Titelrolle, an seiner Seite: Raina Kabaivanska und Nicolai Ghiaurov, Antonino Votto dirigiert: Rollendebüt - Scala-Debüt. Fotos von damals zeigen ein rechtes Riesenbaby, ziemlich dicklich.

Der junge Domingo war kein Stilist, sondern ein Leidenschaftssänger.

Die Rollenauswahl: kreuz und quer. Rameau neben viel Verismo. Der extrem hoch liegende Nadir in den "Perlenfischern" neben super-Dramatischem wie des Grieuxi in "Manon Lescaut" oder Alvaro in "Macht des Schicksals". Domingo beginnt früh zu sammeln, dass er nicht Sänger ist, sondern Allroundmusiker, erlaubt ihm das Tempo. Lohengrin und Manrico, Don Carlos und Radames, Rossini und Mozart, "Hoffmanns Erzählungen", "Faust" und "Carmen", es überschlägt sich fast. 1972 in München als Rodolfo in "La Boheme" von Puccini mit einem echten hohen C. Aufnahme 4 a wiederum.

70er - Domingo ist nun überall

Aufnahme 4 b: ein Beispiel aus den in vielen Fällen, nicht gleichmäßig, bereits wirklich großartigen Plattenaufnahmen der 1970er Jahre. "Adriana Lecouvreur" von Francesco Cilea - mit dem Maurizio hatte Domingo einspringend an der Met debütiert, seine Partnerschaft mit Renata Scotto und James Levine am Dirigentenpult: Wer Oper liebt, kennt es, oder muss es kennen.

Ab sofort klappt es mit dem Aufzählen nicht mehr. Placido Domingo ist nun überall, in allen Welthauptstätten der Oper. Eine Weile ist Hamburg sein Stützpunkt, erster Lohengrin, erster Otello dort, danach würden die Wiener Oper, die Mailänder Scala, Covent Garden, die Metropolitan wahrscheinlich ins Streiten kommen, welches mehr, welches weniger ein Domingo-Haus war. Sagen wir: alle zusammen, und Paris, München, Berlin ebenfalls. Domingo ist im Fernsehen Dauergast, er macht Opernfilme, er versucht es - was zunächst mehr als Witz genommen wurde - mit dem Dirigieren. Unter den ersten Dirigaten: just die "Fledermaus" in Wien. Die Bregenzer und Salzburger Festspiele hätte ich fast vergessen - und von letzteren kommt Aufnahme Nr. 5a. Aus einem "Zarzuela"-Konzert von 1985, mit dem ORF-Symphonieorchester, Dirigent: Garcia Navarro.

Die Stimme legt Metall zu

Die 1980er Jahre: Placido Domingo hat markant abgenommen, die Stimme legt an Metall zu. Der Manager seines international gesehen Hauptkonkurrenten Luciano Pavarotti entscheidet: Wir gehen mit Pavarotti in die großen Stadien, lassen Domingo die Opernbühnen. Die "Trojaner" von Berlioz kommen unter anderem zum Repertoire, Paolo in "Francesca da Rimini", Dick Johnson im "Mädchen aus dem goldenen Westen" - Domingo ist nun, wenn schon kein Heldentenor, doch ein heldischer. Immer stärker im Zentrum: der Otello von Giuseppe Verdi. Auch 1987 am Teatro alla Scala, mit Desdemona Mirella Freni und dem Dirigenten Carlos Kleiber. Aufnahme 5b.

Er geht auf die 40 zu, und singt vor Mikrofonen nach dem Lohengrin - von Richard Wagner die Partie, die erfahrene Wagner-Recken als die schwerste benennen: den Tannhäuser - u.a. mit Cheryl Studer als Elisabeth, dirigiert neuerlich 1987 von Giuseppe Sinopoli: Placido Domingo als Tannhäuser, das wurde keine Bühnenrolle von ihm. Im Gegensatz zum Parsifal. Mailand 1991, Riccardo Muti am Pult. Aufnahme 6 mit einem kleinen Versprecher. Aber welche inhaltliche Überzeugungskraft.

Die drei Tenöre: Placido Domingo, Jose Carreras und Luciano Pavarotti, 1996

Die drei Tenöre: Placido Domingo, Jose Carreras und Luciano Pavarotti, 1996

APA/BARBARA GINDL

Sigmund - eine wesentliche Partie zwischen 50 & 60

Mit 50 war Placido Domingo an einem schwierigen Punkt: was noch sich erobern? Interessanterweise fügt er in dieser Phase seinem Repertoire wieder etliche Partien in Zarzuelas und Opern-Randstücken auf Spanisch hinzu, den Hermann in "Pique Dame", den zweiten Otello Stiffelio, spät und unerwartet aber doch den Idomeneo, Siegmund in "Walküre" wird eine wesentliche Partie zwischen 50 und 60, und immer öfter heißt es in Interviews: "Werde ich noch lange singen?"

Dirigieren wird mehr, das Opern-Intendant-Sein in den USA kommt dazu, Domingo ruft den Nachwuchswettbewerb "Operalia" ins Leben, doch auf geheimnisvolle Weise bleibt er auch sängerisch, nach Aufgabe vieler Partien, die nach einem jüngeren Darsteller verlangen, präsent. Die anderen zwei der "Drei Tenöre" von davor, brechen langsam weg, Domingo überlebt.

Mitte 60 - "Der Staunende"

Domingo gibt Opern in Auftrag, will als Figur glaubwürdig bleiben. Auch deshalb rückt für eine Weile von Franco Alfano die Oper in französischer Sprache "Cyrano de Bergerac" in den Fokus. Der alternde Poet mit der Riesennase, der das Nachsehen hat. Domingo sagt: "Ganz am Schluss möchte ich den Simon Boccanegra von Verdi singen, das soll die Abrundung sein." Aber davor noch: Cyrano. Mitschnitt aus Valencia, mitwirkend: Sondra Radvanovsky, Arturo Chacon-Cruz, 2007.

Wir sollen uns Placido Domingo mit Mitte 60 als einen Staunenden vorstellen. Er hat nun wirklich für die Zeit nach dem Singen vorgesorgt wie kein anderer, aber die Stimme verlässt ihn nicht. Tatsächlich rücken die anberaumten Auftritte als Simon Boccanegra, also in einer Bariton-Partie näher, aber der Terminkalender ist auch danach noch voll. Und so geht es weiter danach und seither. Rigoletto, Francesco Foscari, Giorgio Germont, Athanael in "Thais", "Nabucco", Luna, Don Carlo in "Ernani", Marquis Posa, der alte Miller, gar Gianni Schicchi, und mehr. Sogar mit Georg Friedrich Händel hat er es versucht, Tamerlano, die baritonalen Möglichkeiten auslotend.

Placido Domingo

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Domingo wurde Bariton?

Es hat zwar nie jemand eine regelrechte Domingo-Biografie geschrieben, alle glaubten, gerade vielleicht ein paar Jährchen warten zu müssen und dann den ganzen Domingo beackern zu können, alle überrundete der Jubilar, aber Domingos eigene Website bringt eine Vielzahl an Daten und Fakten, und mit diesen die Erkenntnis: in so mancher Verdi-Oper hat Domingo im Baritonregister an Auftritten bereits Domingo im Tenorregister überholt.

Ein Geheimrezept für ganz enge Bande: Wenn er siegt, siegen sie mit ihm

Domingo wurde Bariton? Nein, Domingo blieb Domingo! Placido Domingo war nie ein Sänger, der nur so durchpflügte durch einen Opernabend. Oft brach - und bricht bei ihm der ringende Mensch durch. Oft mussten - und müssen seine Anhängerinnen, Anhänger um ihn und mit ihm zittern - Achtung: ein Geheimrezept für ganz enge Bande. Wenn er siegt, siegen sie mit ihm! Und überhaupt hat sich in nun acht vollendeten Jahrzehnten eine Lebenssumme ergeben, angesichts derer ein einzelner Abend kaum mehr zählt.

Es wird Ihnen aufgefallen sein: Ich habe mich in diesem "Stimmen hören" mit irgendwelchen phrasenhaften Belobigungen zurückgehalten - es liegt ohnehin auf der Hand. Wer will, kann sich Domingo als Beispiel nehmen: dafür, dranzubleiben, über alles hinweg, Krankheiten, Operationen. Ihm das alles zusammen im Sängerberuf nachzumachen, muss erst einmal einer kommen. - Aufnahme 8, nun wirklich ein einzige, 2017. Berlin, Staatsoper, der Macbeth von Giuseppe Verdi.

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