Ein Blick durch das Fenster eines Labors

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Salzburger Nachtstudio

Wissenschaft in den Medien - Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl

Die Schwerkraft oder dass sich die Erde um die Sonne dreht, steht in der Wissenschaft nicht zur Debatte, inzwischen auch nicht mehr die Wirksamkeit des Mund-Nasen-Schutz gegen Corona-Aerosole. Wohl aber rückt die Wissenschaftskommunikation selbst in den Vordergrund und mit ihr Medienkritik auf der einen Seite und Anklagen an die Experten durch die Öffentlichkeit, auf der anderen Seite.

Die Wissenschaftskommunikation ist seit der Corona-Pandemie das Paradebeispiel dafür, wie sich mediale Inszenierung, politische Entscheidungen und Erkenntnisse der Forschung gegenseitig beeinflussen und vor allem immer wieder zu Konflikten führen.

Der Wissenschaftsjournalismus, in den Medien sonst eher stiefmütterlich behandelt, blüht auf, Virologie und Epidemiologie werden zur Königsdisziplinen in der medialen Öffentlichkeit. Radiostationen, TV-Sender, soziale Medien und Podcasts widmen sich nun dem Virus und seinen Mutanten, der Corona-Krise in Echtzeit. Das ist Infotainment gegen die Angst. Da bleibt manchmal eine seriöse und differenzierte Aufklärung auf der Strecke.

Mediale Hysterisierung statt Vermittlung

Wir erleben eine mediale Erregung bis hin zur Hysterisierung, die mit der Medienlogik zusammenhängt: Zumindest in den Massenmedien sollen Headlines eingängig sein, und Bilder aller Art, ob nun Sprachbilder oder bewegte Bilder, müssen emotionalisieren.

Die Fakten werden je nach Sendeformat zusammengestaucht und verkürzt. So ist das, so war das. Das ist dem Publikum nicht bewusst. Es passiert ganz einfach. Dass sich daraus eine Schieflage der Realität rund um das virale Geschehen ergeben kann, ist den Journalisten, die ihr Medium gestalten, jedoch durchaus bewusst. Es geht für die Macher immer auch um Aufmerksamkeit, Eitelkeit und Einschaltquoten, auch wenn die Lage noch so ernst ist.

Florian Aigner

ORF

Wissenschaftsgeschichte in Echtzeit

Die Forscher selbst, wie der Quantenphysiker Florian Aigner, der sich als Wissenschaftserklärer versteht, weiß darum. Er sieht zunächst jedoch den positiven Effekt einer explodierenden Wissenschaftsvermittlung. „Wir erleben eigentlich zum ersten Mal Wissenschaftsgeschichte in Echtzeit, früher waren wir so Konsumenten, die das aus zeitlicher Distanz erlebt haben, und jetzt können wir dabei zuschauen, das ist eigentlich ja schön“

Doch was, wenn einzelne Forscher wie der Corona-Experte Christian Drosten zur Projektionsfläche von Wut und Angst wird, gerade weil seine mediale Präsenz so stark ist? Die einen machen ihm Morddrohungen, die anderen wünschen sich den Forscher als Erlöser aus der Krise ex cathedra, und zwar schnell. Dem versucht Drosten meist mit sturer Sachlichkeit zu entgehen.

Im Corona-update des NDR, gemeinsam mit der Wissenschaftsjournalistin Korinna Hennig, holt er dennoch manchmal entnervt zur Abwehr aus, bleibt aber ansonsten streng bei den wissenschaftlichen Kenntnissen, die nun mal einer Dynamik unterworfen sind, sich also verändern. Auch diese Veränderungen von Erkenntnissen ist für das Publikum manchmal schwer zu vermitteln, vor allem schwer verdaulich.

In einem Podcast aber, welcher inzwischen auch schon mal fast zwei Stunden am Stück dauern kann, nehmen sich Korinna Hennig und Christian Drosten die Zeit, die es braucht. Zeit, um Studien zu erklären oder auch um Missverständnisse auszuräumen - so wie im Sommer letzten Jahres, als es um eine Preprint-Studie zur Viruslast von Kindern ging und die dann von der Bild-Zeitung in falsches Licht gerückt wurde.

Ein Virus ist per se kein Politikum

Ein Virus ist per se weder ein Politikum - auch wenn es Diskussionen angesichts von Globalisierung und Klimakrise miteinschließt, noch ist es normalerweise überhaupt Gegenstand von öffentlichen Verhandlungen, wird aber unter dem Druck des pandemischen Geschehens dazu. Darauf verweisen vor allem Christian Drosten, aber auch die Wissenschaftsjournalisten Korinna Hennig selbst. In dem Maße, wie die Wissenschaft zunehmend über Massenmedien verhandelt wird, droht ihr möglicherweise ein Vertrauensverlust. Das ist jedenfalls zu befürchten.

Corona-Experte Christian Drosten meint: „Ein Wissenschaftler ist kein Politiker, der wurde nicht gewählt und der muss nicht zurücktreten. Dennoch wird immer weiter dieses Bild der entscheidungstreffenden Wissenschaftler in den Medien produziert. Wir sind hier langsam an einem Punkt wo die Wissenschaft in geordneter Weise den Rückzug antreten muss, wenn das nicht aufhört.“

„Klar, kein Politiker hat eine absolute Verantwortung für diese Pandemie, auch wenn man Dinge Monate später besser weiß oder vielleicht auch nicht - und trotzdem dann sagt, jetzt würden wir es eben nicht mehr so machen", ergänzt die Wissenschaftsjournalistin Korinna Henning.

Im Wissenschaftsjournalismus geht es nicht um Pro und Contra

Aber auch Polarisierungen, ein Pro und Contra, wie oft im politischen Journalismus mit Meinungs-Kontrahenten üblich, ist im Wissenschaftsjournalismus, gerade jetzt, in Zeiten der Pandemie, unangebracht - auch, um das Publikum nicht zu verwirren.

Der Wissenschaftsjournalist Günther Mayr des ORF-Fernsehens, inzwischen das Gesicht, die Stimme der Corona-Pandemie Österreichs, sagt: „Wir müssen da sehen, dass wir darauf achten, das zu präsentieren, was wissenschaftlich gesicherter Konsens ist und auch immer wieder darauf hinweisen, dass die Erkenntnisse wachsen. Genau deshalb kann nicht jeder zu Wort kommen, sondern nur die, die tatsächlich am Corona-Virus forschen und Expertise haben."

Wer sagt was wie - Sprache im Journalismus

Korinna Hennig vom NDR versucht Ordnung in die aufgeheizte Stimmung zu bringen, in dem sie immer wieder auch darauf verweist, wie ihr eigenes journalistisches Handwerk funktioniert. Darüber hinaus plädiert sie entschieden dafür, auf die Feinheiten der Sprache zu achten - im Interview selbst, aber auch in der Analyse von Studien, in die sie sich immer wieder mit ihrem Team einarbeitet. Ein Konjunktiv, gerade in der Debatte um die Viruslast von Kindern, die aus den Studien von Christian Drosten entstanden ist, muss genau gehört und aufmerksam reflektiert werden.

„In der Arbeit bedeutet das sogar, dass wir auf die Grammatik der Aussagen achten, wann steht da ein Konjunktiv in einer Studie oder in einer Aussage und wann muss er auch so bleiben. In der Preprint Studie von Christian Drosten stand ja damals „Kinder könnten so ansteckend sein wie Erwachsene“, Konjunktiv also, und das ist ein Unterschied zu 'können' und zu 'sind' ", sagt Korinna Hennig.

Kann ich das so formulieren?

Wenn Corona-Analytiker Günther Mayr Metaphern, aber auch bewegte Bilder für seine Statements sucht, braucht es nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch immer Rückversicherung bei den Experten der Virologie und Epidemiologie selbst. Gilt es sonst als redaktionelle Gepflogenheit, sich nicht ins Handwerk pfuschen zu lassen, ist hier gegenseitiges Verständnis und Korrektur gefragt, und zwar bevor ein journalistisch aufbereitetes Statement der Wissenschaft an die Öffentlichkeit geht.

„Das ist oft ein sehr langer Prozess, darüber nachzudenken, was ist ein Bild, das dem entspricht, was ich fachlich erzählen will, und sehr oft ist es dann so, dass ich mit den Expertinnen und Experten Rücksprache halte und frage: Kann man das so sagen? Zum Beispiel, dass die Impfung einem Sattelschlepper gleicht, auf dem man heraufpacken kann, was man möchte und dass man das dann in den Körper schickt“, sagt Günther Mayr.

Das journalistische Handwerk: Wo sind blinde Flecken?

Abgesehen davon, dass je nach Format Kürzungen der Fakten zu Verzerrungen führen können, wie das beispielsweise im Zuge der Nerz-Mutanten im letzten Jahr der Fall war, fordert Korinna Hennig dazu auf, eigene blinde Flecken bei der Aufarbeitung des Materials zu suchen, und auch dem Nachzuspüren, was in einer Studie oder von einem Experten eben nicht gesagt, also ausgelassen wurde.

„Ich denke, und das ist was, was ich an diesem Podcast gelernt habe, es ist wichtig, dass wir immer wieder versuchen das Unsichtbare zu thematisieren, also wenn ich eine Erkenntnis habe, selbst wenn sie total belastbar ist, welcher Teil kommt darin nicht vor, welche Frage ist offen. Also zum Beispiel an der Schulschließungsdebatte konnte man es sehen, da zeigt Christian Drosten doch selbst auf, was ein Studiendesign aussagt im Blick auf das Ergebnis, inwiefern ist ein Ergebnis vielleicht ganz gut, gilt aber nicht uneingeschränkt, wird zum Beispiel ein follow up der Studie gemacht“, meint Korinna Hennig.

„What" und „so what“

Wissenschaftsjournalist/innen, wie Korinna Hennig die selbst Germanistin ist, haben es da vielleicht leichter, auf diese Unterschiede zu achten und können gezielt nachfragen. Aber auch eine andere Wissenschaftlerin, Mai Thi Nguyen, Youtuberin und Wissenschaftsvermittlerin im Fernsehen, weist auf einen wichtigen Aspekt der Vermittlung hin.

Mai Thi Nguyen unterscheidet in „what“ und „So what“. Die Forscher, so sagt sie, interessieren sich für das „what", die Öffentlichkeit aber möchte wissen was die Erkenntnisse für ihr Leben, für ihren Alltag, bedeuten, also fragen sie nach dem „so what“.

Christian Drosten hat auf diese Unterscheidung, die aus den Medien kam, prompt positiv reagiert und dann selbst dieses „what“ und „So what“ im Coronaupdate-Podcast für die Darstellung seines eigenen Denkens verwendet. Und sogleich räumt er ein: „Damals Ende April 2020, die Schulen sind noch geschlossen, konnten wir nicht empfehlen, die Schulen wieder zu öffnen. So eine Empfehlung, dieses „so what“ ist hier Teil der wissenschaftlichen Arbeit, aber das ist nicht etwas, was dann eine Politikberatung darstellt.“

Unschärfe und Klarheit wissenschaftlicher Fakten

Doch Klarheit gibt es nicht. Das Virus und sein Verhalten folgt einer ganz eigenen Dynamik, die von mehreren Faktoren abhängt - auch vom kulturellen Unterschieden der verschiedenen Länder und Staaten im Umgang damit. Dass die Corona-Pandemie angesichts vieler wissenschaftlicher Graphiken über Inzidenzen und so genannten R-Werten oftmals auch überrational in Szene gesetzt wird, vernachlässigt vor allem die sozialen Aspekte der Pandemie. Das Virus ist eben nicht nur ein Virus, sondern streift in seiner medialen Ausbreitung automatisch andere Disziplinen wie Soziologie, Pädagogik, Psychologie oder auch die Wirtschaft.

Soziale Krise durch fehlende öffentliche Kommunikation

Corinna Milborn von Puls4 weist vor allem auf die soziale Komponente des viralen Geschehens hin: „Diese sehr naturwissenschaftliche und sehr virologische Diskussion, die wir dauernd führen, klammert aus, dass wir es mit einer großen sozialen Krise und einem soziologischen Phänomen zu tun haben. Im Endeffekt muss sich eine Gesellschaft zu etwas entscheiden, und die einzelnen Menschen müssen wissen welche Rolle sie darin spielen. Wenn ein Staat allein darauf abzielt zu sagen, wie wirkungsvoll ein Impfstoff ist, wie funktioniert MRNA, dann gibt es viel darüber, was es dem einzelnen bringt aber zu wenig darüber was es der Gesellschaft als Ganzes bringt. Das war auch ein Fehler bei den Massentests. Das haben viele Leute nur individuell bewertet, weil es ihnen auch so kommuniziert worden ist.“

Wissenschaftsjournalismus als Role Model für seriöse Berichterstattung

Auch Medien sind gegen das Corona-Virus alles andere als immun. Ob nun systemrelevant oder auch exponiert in Nachrichten und Infomagazinen; Journalisten müssen ihr Handwerk, die eigene Eitelkeit so wie die Faktenlage so sorgfältig wie möglich immer wieder neu reflektieren.

Die Wissenschaft mag gesicherte Erkenntnisse liefern wollen, gibt dabei aber immer wieder die Restunsicherheit ihrer Befunde mit einem „könnte“, „möglicherweise“, „vermutlich“ zu bedenken. Massenmedien machen in der Aufbereitung daraus meist Schlaglichter und eindeutige Botschaften. So entsteht der Eindruck performativ gefestigter Meinungen, das wirkt auf Wissenschaftler und ihr Selbstverständnis unseriös und gefährlich, vor allem wenn sie wie jetzt, zunehmend die Labore verlassen, um in die Öffentlichkeit zu treten.

Gestaltung: Katrin Mackowski

Service

Mehr Informationen zu Covid 19 und zur Wissenschaft auf Ö1 finden sie im Ö1-Corona -Dossier.