Isabel Allende

AP/WILFREDO LEE

Der Sturz des Patriarchats

"Was wir Frauen wollen" von Isabel Allende

Das neue Werk der chilenischen Schriftstellerin Isabel Allende ist eine Mischung aus anekdotischer Autobiografie und feministischem Plädoyer.

Ihr und ihrem Mann gehe es gut, erzählt Isabel Allende, zugeschaltet aus ihrem Haus in Kalifornien. Sie hätten sich jedenfalls noch nicht gegenseitig umgebracht. Trotz Pandemie und Lockdown. Der sei für sie beide so etwas wie Zwangsflitterwochen gewesen. Nicht ohne Konflikte, aber eine letztlich schöne Gelegenheit, sich noch besser kennenzulernen.

Auch in ihrem neuen Buch "Was wir Frauen wollen" schreibt Isabel Allende über ihren dritten Ehemann, einen Leser ihrer Bücher, mit dem sie eine Brieffreundschaft begann, die wiederum in eine Liebesbeziehung mündete. "Was wir Frauen wollen" ist aber nicht nur eine anekdotische Autobiografie, nicht nur Unterhaltungsliteratur im Plauderton, sondern auch ein kämpferisches feministisches Plädoyer.

Gottgleiche Rolle des Großvaters

Schon im Kindergarten, im Chile der 40er Jahre, sei sie Feministin gewesen, behauptet die Autorin. Den Begriff "Feminismus" habe sie damals noch nicht gekannt, aber in ihrer Familie in Santiago de Chile gespürt, dass Frauen zu kurz kommen: "Das war eine sehr katholische, konservative, patriarchalische Familie, in der mein Großvater eine gottgleiche Rolle hatte. Meine Mutter wurde mit ihren drei kleinen Kindern von ihrem Ehemann verlassen und musste in das Haus ihres Vaters zurückkehren und war von ihm und ihrem Bruder finanziell abhängig. Ich war damals fünf oder sechs Jahre alt. Aber damals war mir schon klar, dass meine Mutter im Vergleich zu den Männern der Familie benachteiligt war. Das hat mich so wütend gemacht! Ich habe das als ungerecht empfunden. Dagegen habe ich rebelliert."

"Ich will das Patriarchat stürzen"
Isabel Allende

Ihre Mutter hatte Talent für die Malerei, kopierte allerdings nur die Bilder anderer Maler, aus Sorge, eine Frau mit künstlerischem Anspruch mache sich lächerlich. Isabel wollte nicht nur Ehefrau und Mutter sein und wurde 1967 Mitarbeiterin der feministischen Zeitschrift "Paula". Sie schrieb über damalige Tabuthemen wie Abtreibung und Gewalt gegen Frauen.

Vergewaltigung, Schläge, Zwangsarbeit

Der Feminismus habe schon viel erreicht, schreibt Allende, allerdings vor allem im Westen: "Im Rest der Welt werden aber noch immer Frauen verkauft und ausgebeutet, etwa durch Zwangsarbeit, sie sind Opfer von Zwangsehen und Gewalt in der Familie. In Kriegen und Krisen sind Frauen die ersten Opfer. So wie jetzt in der Pandemie: Die ersten, die ihre Arbeit verlieren, und die letzten, die wieder auf die Beine kommen, sind Frauen."

Manchmal wird Allende leider kitschig: Der Feminismus, schreibt sie, sei "ein bewegter Ozean, mächtig, tief und so unendlich vielschichtig wie das Leben selbst". Ansonsten ist "Was wir Frauen wollen" ein äußerst lesenswertes Buch. Auch weil die Autorin schockierende Fakten nennt, etwa, dass in den USA alle sechs Minuten eine Frau vergewaltigt wird.

"Über 90 Prozent der Gewalt in der Welt wird von Männern begangen. Wenn wir an ein Gewaltverbrachen denken, haben wir automatisch einen Mann als Täter vor Augen. Bei der Erstürmung des Kapitols waren auch Frauen dabei. Aber die absolute Mehrheit waren Männer. Und viele von ihnen bewaffnet und gewalttätig."

Hadern mit dem Älterwerden

Die 78-jährige Allende trifft fast immer den richtigen Ton, schreibt mal humorvoll, mal ernst über sich als Frau, über das Finden ihrer späten Liebe (sie ließ ihren Verehrer von ihrer Assistentin checken, um auszuschließen, dass er gemeingefährlich ist) und über das Hadern mit dem Älterwerden. Sie sei sehr eitel, verrät sie, deshalb versetze es ihr manchmal einen Stich, wenn sie in den Spiegel schaue. Auch sei da die Angst, so zu sterben wie ihre Mutter und ihr Stiefvater: gebrechlich, vollständig auf die Hilfe anderer angewiesen:

"Ein Freund, der etwas älter ist als ich, ein reizender Mensch, und ich, wir haben immer gesagt: Bevor unsere Körper uns nicht mehr gehorchen, bevor wir dement werden, begehen wir Selbstmord. Mein Freund war Pilot und hatte ein Flugzeug. Unser Plan war, mit seinem Flugzeug über dem Pazifik zu fliegen, bis uns der Treibstoff ausgeht und keine Rückkehr mehr möglich ist. Das wäre ein romantisches Ende geworden. Aber als er über achtzig war, haben sie ihm die Fluglizenz entzogen. Da musste er sein Flugzeug verkaufen. Unser Plan ging also nicht auf."

Buchcover

SUHRKAMP VERLAG

"Wer will schon ein Mädchen haben?!"

Es ist teils erschütternd, über die Schlüsselmomente im Leben Allendes zu lesen, die sie zur Feministin gemacht haben: wie sie einer Freundin bei einer damals illegalen Abtreibung half. Oder wie sie nach dem Tod ihrer Tochter Paula 1992 mit einer Freundin eine Reise nach Indien machte und dort von einer Einheimischen ein Neugeborenes in die Hand gedrückt bekam.

"Ich habe das Kind geküsst und wollte es der Frau zurückgeben. Aber sie wollte es nicht zurückhaben. Ich war wie paralysiert. Da rannte unser Fahrer zu mir, nahm mir das Kind aus dem Arm, übergab es der Frau und drängte mich zum Auto. 'Warum wollte mir diese Frau ihr Kind geben?', habe ich gefragt. Da hat der Fahrer geantwortet: 'Das war ein Mädchen. Wer will schon ein Mädchen haben?!'"

Dieses Schlüsselerlebnis ließ Isabel Allende eine feministische Stiftung gründen und letztlich auch dieses neue Buch schreiben. Was sie mit all dem bezweckt? "Ich will das Patriarchat stürzen."

Gestaltung: Tobias Wenzel

Service

Isabel Allende, "Was wir Frauen wollen", aus dem Spanischen von Svenja Becker, Suhrkamp. Originaltitel: "Mujeres del alma mia"

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