Ausschnitt des Buchumschlags

S. FISCHER VERLAG

"Das bist du"

Ulrich Peltzers großes Erinnerungsprojekt

Als großer Zeitdiagnostiker der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gilt der Schriftsteller Ulrich Peltzer. Mit der globalisierten Wirtschaftswelt vor der Finanzkrise und einer Politaktivistin zu Beginn der Nullerjahre hat er sich in seinen Romanen bereits beschäftigt, in seinem neuen Buch schlägt er nun persönlichere Töne an. Ein Ich-Erzähler, der auffallende Parallelen zu Peltzer aufweist, versucht da Anfang der 80er-Jahre in Berlin sein Leben in den Griff zu bekommen, der Titel des Romans: "Das bist du".

Mitte Zwanzig ist der Ich-Erzähler, möchte eigentlich Schriftsteller werden, schlägt sich aber mit einem Psychologiestudium herum, hat mit Geldproblemen zu kämpfen, und verliebt sich Hals über Kopf. Das alles im Berlin rund um 1982.

Die Macht und die Nacht

"Das war einfach eine Epoche, in der sehr viele Umbrüche stattgefunden haben. Es gab neue Musik, es gab neue Theoriebildungen und insofern man den Ich-Erzähler mit mir identifiziert gab es auch biografische Umbrüche", sagt Ulrich Peltzer. Verliebte Spaziergänge durch die winterliche Stadt, nächtliche Streifzüge mit Freunden, und die Arbeit im Kino sind das eine, das Psychologiestudium mit seinen Diskussionsrunden und Theorien, die das Denken völlig umkrempeln, das andere.

"Erinnerung ist immer rhapsodisch - sie hat schwarzen Löcher und Knotenpunkte der Intensität." Ulrich Peltzer

Nach Büchern wie dem damals frisch auf Deutsch erschienenen "Der Wille zum Wissen" von Michel Foucault, sagt Ulrich Peltzer, ist man am nächsten Tag als ein anderer aufgestanden: "Es gibt nicht nur die Macht, sondern sehr viele kleine Mächte, also eine Mikrophysik der Macht. Das habe ich wirklich in einer Nacht rauschhaft gelesen."

Die Kürze ehrlicher Sätze

"Das bist du", sei ein Roman mit allen Freiheiten, die das Genre erlaubt, so Ulrich Peltzer weiter, gleichzeitig sei das Buch aber ein sehr aufrichtiges Erinnerungsprojekt: "Bewusst habe ich gar nichts angetastet. Ich bin da schon dem Protagonisten und mir gegenüber ehrlich."

Ehrlichkeit bedeutet immer auch Genauigkeit und Nähe. Deshalb folgt man dem Ich-Erzähler auch gebannt von der ersten Seite an. Dazu kommt die besondere Sprache, Sätze wie aus der Hüfte geschossen. Ulrich Peltzer: "Ich hatte den Eindruck, wenn ich lange Sätze schreibe, dann verliert sich die Erinnerung auf einer Eben der Reflexion, die ich hier nicht haben wollte."

Alte Aufzeichnungen schauen einen doch sehr fremd und von weit entfernt an

Situationen pur und prickelnd und manchmal auch schmerzhaft. Beschönigt wird da nichts. Glattgebügelte Erinnerungen gibt es da genauso wenig wie einen Eingriff in seine damaligen Notizbücher, die Ulrich Peltzer in seinem Roman immer wieder in kleinen Ausschnitten zitiert: "Da habe ich überhaupt nichts verändert, so unangenehm es manchmal auch war, alte Aufzeichnungen von sich lesen zu müssen: die schauen einen doch sehr fremd und von weit entfernt an."

Buchumschlag

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Die Schwarzen Löcher der Erinnerung

Spannend ist auch die Form, in der Ulrich Peltzer, seinen Ich-Erzähler berichten lässt. Da gibt es keinen durchgehenden Bewusstseinsstrom, sondern Absätze. Manche ziehen sich über mehrere Seiten hin, manche sind nur wenige Zeilen lang, immer wieder tauchen auch nur einzelne Sätze auf, meist Songzeilen oder Literaturzitate.

Ulrich Peltzer: "Wir erinnern uns nicht in einer linearen, kausallogischen Reihe, erst das, dann das, dann das, und das versuche ich abzubilden. Ich halte schon eine Chronologie ein, trotzdem versuchte ich das Rhapsodische der Erinnerung abzubilden, ihre Schwarzen Löcher und ihre Knotenpunkte der Intensität."

Begleitet von Glenn Gould

Gekonnt setzt Ulrich Peltzer die Sprünge, baut Spannung auf, bleibt dabei aber stets seinen Figuren treu, und hält die ganze Zeit über virtuos den Rhythmus. Ulrich Peltzer: "Wie oft ich beim Schreiben die Goldberg-Variationen von Gould gehört habe, ich weiß es nicht mehr, also immer wieder als leise Hintergrundmusik."

Das Jahr ist zwar noch jung, die Prognose sei aber dennoch erlaubt, dass Ulrich Peltzers Roman "Das bist du" auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis aufscheinen wird.

Service

Ulrich Peltzer, "Das bist du", Roman, S. Fischer

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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