FLORIAN KMET
Kunstradio
Vom Flanieren
Das Hörspiel "Die Eroberung der Stadt" vom Kollektiv Weiter in "Radiokunst - Kunstradio".
4. April 2021, 23:00
Die Stadt, könnte man meinen, ist längst erobert. In steinalten Zeiten wurde beschlossen, dass dort Menschen mit Ambivalenz verführt, gequält, berührt, ruiniert und inspiriert würden. In dem Wissen, dass wir es gern einfach haben, indes Verstand besitzen, wurde die Stadt gebaut. Ob dereinst ein paar Leute begännen, etwas zu verstehen von dem heiligen Grusel?
Wien durch die Ohren des Flaneurs
In "Die Eroberung der Stadt" unternimmt das Kollektiv Weiter diesen Versuch. Man könnte die Zusammenarbeit einen Staffellauf nennen, Work in Progress, einen Austausch von Impulsen und Affekten über Monate hinweg. Die Autorin, der Schauspieler und der Musiker trafen sich, fanden ein Thema, fanden mehrere, die Autorin schrieb, man hatte Fragmente für erste Proben. Die Autorin hört, nimmt ihre Texte neu wahr, schreibt um und weiter, man lauscht den Aufnahmen gemeinsam, verbessert, probt, nimmt auf. In etlichen Runden. Dem Produzenten bleibt noch hinreichend Arbeit, doch was hier seinen letzten Haken in die Zielgerade schlägt, ist weit gereist.
Raumgreifende Anonymität
Man könnte auch sagen, Alexandra Pâzgu, Roman Blumenschein und Florian Kmet (Kollektiv Weiter) haben sich mit dem Flanieren auseinandergesetzt. Flanieren durch Städte. Dort schallen und rauchen sie einem entgegen, die Namen, die wir allem verleihen (es winkt Herr Staffellauf). Ausgerechnet sie suggerieren raumgreifende Anonymität: vielleicht einer der eher reizvollen Aspekte des Urbanen? Macht solche Ambiguität müde? Sind Flaneurin und Flaneur die Letzten ihrer Einhornfamilie?
Es kann verflucht einsam sein in der Stadt, nicht nur wenn man mit ihr vor Leere um die Wette gähnt, um eine weitere leere Flasche. Der drei Akteur/innen wessen Leere mag die größte sein? Es mehren sich Hinweise darauf, dass Homo sapiens sich gern mit dem Größten und dem Kleinsten misst und sich bald nur noch im Funkenflug aus Einsen und Nullen verlieren wird. Mit derartigem Feuereifer gegen Stadt und Flasche - das verspricht ein resches Haucherl Wien. Da könnte dieses Stück auch spielen.
Stimme des Erlebten
Gut, dass einem nicht nur Trübsal in den Sinn kommt. Wir teilen die Stadt mit alten Freunden vom Geschlecht der Fragen. So allein ist man nicht, fragt man sich beispielsweise: "Wie beeinflusst dich die Stadt? Wie das Gehen in der Stadt? Was machst du mit deiner Angst vor dem Fremden und dem Unbekannten? Was ist dein Zuhause, was gibt dir Orientierung? Welche Entscheidungen bestimmen deinen Weg? Warum gehen so viele allein?"
Die Autorin Pâzgu, der Schauspieler Blumenschein und der Musiker Kmet haben dem Flaneur Stimme gegeben, Sound, Sprache. Aus der Satzung ihrer Stadteroberung winkt das Postulat: "Die Figur wird von dem, was sie sieht und erlebt, beeinflusst. Sie wird die Stimme des Erlebten, durch sie wird die Stadt zum Klang. Der Flaneur ist erlebte und beschriebene Philosophie. Er ist das Sprachrohr der Stadt."
Austausch von Impulsen
Was sich hinter all dem Gewinke verbirgt? Wir winkten jedenfalls zurück, wie man das heute so macht, wir liken es regelrecht. Das Dopamin winkt sogleich aus den "sozialen" Medien, man sieht vor lauter Daumen, hach, die Hand nicht mehr. - Nur weg von dort! In ein verloreneres Gehen, ein anders Leeres, das den interessanteren Dialog eröffnet, sofern Flaneurin und Flaneur aufnahmebereit sind. So ging er über viele Treffen und Pausen und Sessions und Phasen des Schreibens, der literarisch-musikalisch-stimmliche … Staffellauf. Der Titel "Die Eroberung der Stadt" winkt, senkt die Hand, erzählt.