LEO KANDL
Menschenbilder
Leo Kandls Gesellschaftsporträts
"Menschenbilder" über den Fotografen Leo Kandl.
11. April 2021, 12:00
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Menschenbilder | 14 03 2021
Seine Gesichtszüge sind markant, der Blick abgewandt. In den Augen liegt etwas würdevoll Trübes. Er hat eine halb geleerte Bierflasche in der Hand. Auf dem Boden steht eine Reisetasche. Wem sie gehört, lässt sich nicht eindeutig sagen. "Südbahnhof, 1977" betitelt der damals 33-jährige Urheber seine Schwarz-Weiß-Fotografie. Heute gehört sie zum Sammlungsbestand des Wiener mumok.
LEO KANDL
"Im wenig Beachteten liegt die Poesie"
Leo Kandl
Wenige Jahre zuvor hatte Leo Kandl, geboren 1944, sein Kunststudium an der Akademie der bildenden Künste abgeschlossen. Doch die Kunst ist dem Absolventen zu abstrakt. Zu stark wirken die Eindrücke der Nachkriegsjahre noch auf ihn. Die frühe Kindheit im Weinviertel, die karge Bäuerlichkeit, die auch das Leben in Wien-Floridsdorf prägt, wohin die Familie übersiedelt. Wie die dürftige Alltäglichkeit einfangen? Wie der Wirklichkeit künstlerisch nahekommen? Er wendet sich der Fotografie zu. In Straßen, auf Bahnhöfen, in Bars und Gaststätten hält er mit der Kamera fortan seinen Blick auf die Gesellschaft fest.
MICHAEL THOMAS
Leo Kandl
Ein Klassiker: "Weinhaus Wien 8"
"Im wenig Beachteten liegt Poesie", findet Kandl auch heute noch, mehr als 40 Jahre nach der Entstehung seiner Serie "Weinhaus Wien 8". Das Porträt einer Großstadtrandgesellschaft gehört zu den Klassikern der österreichischen Fotogeschichte. Mit großer Sensibilität für die Milieus, in denen er sich bewegt, fängt er die Melancholie des Augenblicks ein. Trankler und Nachtschwärmer, scheu wie exzentrisch, in Schankhäusern und Kaschemmen am Wiener Gürtel und in der Peripherie. Verlorene Seelen an Tischen und Tresen.
In Wien, New York, Moskau, Teheran entstehen Straßenporträts von Fremden. Wie dem eleganten Herrn aus der Kärntner Straße, der seine Verfolgung bis in die Unterführung der Opernpassage tolerierte. Ohne dass sich die Blicke von Verfolger und Verfolgtem, von Modell und Fotograf getroffen hätten. Ein amerikanischer Geschäftsmann vielleicht, der aus der Szenerie hinauszufallen scheint: Wer ist der Herr? Was hat ihn hierher verschlagen?
Straßenporträts von Fremden
In New York schaltet Kandl erstmals Zeitungsannoncen. Der Anrufbeantworter ist bald zum Bersten voll. Das erste Modell: ein Mann mit Spazierstock und weißen Handschuhen. Er kommt direkt aus einer Klinik. Es folgen Schauspielerinnen, Bodybuilder, Bankangestellte. Man trifft sich an U-Bahn-Stationen, Straßenecken, in Parks. Flüchtige Begegnungen im Gefüge der Großstadt, ein roter Faden, der sich durch das Werk des zurückhaltenden Beobachters zieht.
Zurück in Wien: Annonce in der "Kronen Zeitung". Antworten: keine … Nebenbei unterrichtet er Bildnerische Erziehung am Wiener Theresianum. Er wird nicht aus Leidenschaft für den Beruf ein guter Lehrer, sondern weil er darüber erzählt, was ihn selbst begeistert - die frühe amerikanische Fotografie zum Beispiel -, und seine Sprösslinge damit inspiriert. Er lässt sie die Nacktfotos von Helmut Newton analysieren. Sie sehen ihm seine Launen nach.
MUSEUM DER MODERNE SALZBURG/RAINER IGLAR
Haptik in der Dunkelkammer
"Hat Rembrandt auch Holzschnitte gemacht?" Maturant: "Na wenn, hat er sie weggeschmissen." Aufgrund der kargen Gegenständlichkeit der frühen Jahre habe ihn stets das Wesen der Dinge interessiert, meint Kandl, ihre Substanz, ihr physischer Körper. Das gilt für seine Motive - Floridsdorfer Wohnbauten, Märkte in Teheran, Archivalien, Texturen getragener Kleidungsstücke -, und es gilt für den Akt des Fotografierens selbst.
Otto Breicha Preis für Fotokunst 2015 an Leo Kandl, Rupertinum, mdm, Salzburg, 20151031, (c)wildbild https://t.co/0KE0KfOPVv
— Museum der Moderne (@MdMSalzburg) November 2, 2015
So ist Leo Kandl, der 2015 den Otto-Breicha-Preis für Fotokunst erhalten hat, der analogen Technik treu geblieben. Seine Bilder stammen aus der hauseigenen Dunkelkammer. Im meditativen Dunkel entstehen selbst aufwendige Vergrößerungen, manchmal roh geschnitten. Dort, wo das Blatt Wellen schlägt, ist man versucht, hinzugreifen, der Haptik wegen.
Zu sehen bei #ÖSTERREICHFotografie: #LeoKandl | In der Grube – Kniekuss | 1979–1980 | #Albertina, #Wien#Fotografie #Foto pic.twitter.com/42ojkutFQl
— ALBERTINA Museum (@AlbertinaMuseum) July 29, 2017