AP/MARIAM ZUHAIB
Tao - aus den Religionen der Welt
Mein Herz ist mein Instrument - Sufismus, die islamische Mystik
Die Bezeichnung „Sufi“ für die Männer und Frauen, die den Weg der islamischen Mystik einschlagen, leitet sich vermutlich vom arabischen Wort „Suf“ für „Wolle“ ab, aus der das schlichte Gewand der Derwische hergestellt wurde. Denn „Derwisch“ bezeichnet einen Armen, und dieses Gewand sollte ihre einfache Lebensweise symbolisieren.
6. März 2021, 05:00
„Ob wir verborgen oder offenkund sind, ob wir Muslime, Juden oder Christen sind - bis unser Herz zur Form eines wahren Herzens wird, gehen wir stetig unseren Weg.“
Diese Zeilen stammen von einem der bedeutendsten islamischen Mystiker, Dschalaleddin Rumi. Geboren wurde er im frühen 13. Jahrhundert in Zentralasien - entweder im Norden Afghanistans oder nach neueren Forschungen im heutigen Tadschikistan. Auf der Flucht vor dem drohenden Ansturm der Mongolen und nach einer Pilgerfahrt nach Mekka ließ er sich mit seiner Familie in Anatolien nieder.
Kleinasien wurde im Seldschukenreich noch mit dem byzantinischen Namen Rum benannt - davon stammt sein Beiname „Rumi“. In der Stadt Konya wurde aus dem islamischen Rechtsgelehrten Dschalaleddin ein ekstatisch Verzückter, der seine Liebesmystik in einem „Diwan“ von 35.000 Verszeilen, und im „Mathnawi“, einer Gedichtsammlung von 26.000 Doppelversen, der Nachwelt hinterließ. Er verfasste sie in seiner Muttersprache Persisch; sie wurden in viele Sprachen der Welt übersetzt und gehören heute zur meistgelesenen ausländischen Lyrik - vor allem in den USA.
Rumi, der oft verehrungsvoll „Mevlana“ - unser Meister - genannt wird, starb 1273 in Konya; sein Grabmal ist eine der meistbesuchten Pilgerstätten in der Türkei. Aus seinen Anhängern entstand der Mevlevi-Orden der sogenannten „drehenden oder tanzenden Derwische“. International bekannt, sind sie auch ein Symbol für die Faszination der sufischen Mystik.
"Viele denken, Gott ist oben im Himmel, aber er blickt zu uns von innen."
Rosina-Fawzia Al-Rawi ist Kultur- und Sozialanthropologin und hat auch Arabistik studiert; sie leitet das Haus des Friedens in Wien, ein Zentrum für weibliche Spiritualität und Sufismus: „Sufismus ist eine Liebesziehung zu Gott. Und ist es im Grunde genommen eine Reise zur eigenen Seele. Oder wie manche Sufis sagen: ‚Viele denken, Gott ist oben im Himmel, aber er blickt zu uns von innen‘. Das heißt, der Sufismus geht davon aus, dass eine Vollkommenheit in uns pulsiert, die wir aufzudecken haben wie einen Schatz. Und dieses Aufdecken geht nicht fern von der Welt, sondern im täglichen Geschehen.“
Rosina-Fawzia al-Rawi hat sich über viele Jahre in die Geheimnisse islamischer Mystik einweihen lassen und ist nun selbst eine Sufi-Meisterin. Sie hat österreichische und irakische familiäre Wurzeln und sagt: „Alles um uns ist beseelt vom Göttlichen, und indem ich mein Herz öffne und Raum gebe für die Liebe, kann ich das Göttliche erkennen. Durch meine Liebe zum Göttlichen, zu der einen Quelle, sehe ich seine Spuren in der Schöpfung.“
"Wie das Firmament, drehst dich auch du."
AP/KM CHAUDARY
Der Zikr ist eine zentrale Praxis in der islamischen Mystik. Das arabische Wort „Zikr“ bezeichnet das Gottgedenken in den Versammlungen der Sufis; dabei werden der Gottesname „Allah“ oder verschiedene Bittgebete wiederholt, begleitet von rhythmischem Atmen, oft auch von Trommeln. Das arabische Wort „Allah“ - das auch arabische Christen für Gott verwenden - bezeichnet für Musliminnen und Muslime eine Gottheit, die den Menschen zwar jederzeit nahe ist, aber jenseits ihrer Vorstellungskraft liegt. Obwohl in der Sprache des Koran mit „Er“ bezeichnet, wird Gott kein Geschlecht zugeschrieben.
Nicht nur an besonderen Tagen - wie am Todestag von Rumi - erheben sich dann oft die Anwesenden und beginnen, sich im Tanz um die eigene Achse zu drehen. Der Brauch, die Geburts- und Todestage berühmter Sufis mit Musik, Trommeln und teils ekstatischen Tänzen zu begehen, ist bis heute vor allem auf dem indischen Subkontinent verbreitet. Doch als Dschelaleddin Rumi das Ritual des „Sema“, des Drehtanzes, zu seiner bevorzugten Form der Anbetung machte, schockierte er die damaligen Gelehrten und seine Schüler und Schülerinnen, sagt der Musiker und Musiktherapeut Denis Mete, der in Wien Orientalistik studiert hat.
Als Kenner der Sufi-Praxis hat er sich intensiv mit Rumi auseinandergesetzt: „Als einer der höchsten Gelehrten des Landes, im Seldschuken-Reich, war es nicht angesehen, ein Instrument zu spielen und schon gar nicht zu tanzen. Rumi hat aber diese Tradition aufrechterhalten und konnte sie auch mit wunderbaren Worten verdeutlichen: ‚Setze deinen Fuß auf die Quelle des Lebenswassers - dein Mond dreht sich immerzu. Wie das Firmament drehst dich auch du.‘ Im Drehtanz geschieht ein Phänomen. Der Mensch dreht sich um sich selbst und erlebt im Drehen eine Kraft, die ihn im Zentrum hält.“
„Damit erkannt wird, wer Gott aus reiner Liebe dient und nicht aus Furcht oder Hoffnung."
Sufis finden Aspekte der Mystik schon in den Anfängen des Islam, im Koran und in der Lebensgeschichte seines Verkünders, des Propheten Mohammed und seiner Familie. In der späteren Geschichte des Islam gab es immer wieder Männer und Frauen, die sich angesichts von Machtstreben und Konflikten im Kalifat, aber auch der Anhäufung von Reichtum in den Herrscherhäusern, aus dem weltlichen Treiben zurückzogen.
Eine der frühesten Vertreterinnen dieses Trends ist Rabia al-Adawiya, die im 8. Jahrhundert in der Stadt Basra lebte. Der Islamwissenschaftler Yunus Valerian Hentschel erklärt: „In dieser frühen Phase war der Sufismus sehr von Askese geprägt, einer Gottesfurcht vor allem, um sich zu disziplinieren, um keine Fehler zu begehen, um Strafe im Jenseits auch abzuwenden oder um Gutes zu tun in der Hoffnung auf das Paradies, und Rabia al-Adawiya hat hier einen gewissen Schnitt gesetzt und hat gesagt, es geht ganz zentral um die Gottesliebe, die jenseits von Furcht und Hoffnung ist. Eine der bekanntesten Anekdoten von ihr ist die, dass sie angeblich durch Basra gezogen ist, mit einer Fackel in der einen Hand und einem Eimer mit Wasser in der anderen, und gesagt hat: ‚Mit diesem Eimer voll Wasser möchte ich das Feuer der Hölle löschen und mit der Fackel Feuer an das Paradies legen, damit erkannt wird, wer Gott aus reiner Liebe dient und nicht aus Furcht oder Hoffnung.‘“
Solche philosophischen Ideen stießen bei orthodox-muslimischen Denkern und späteren Fundamentalisten auf Ablehnung; dennoch haben sie Sufis in alle Welt verbreitet.
„Die Kostbarkeit des Menschen zu erkennen, ist eines der wesentlichen Dinge auf dem Weg des Sufismus.“
AP/HASSAN AMMAR
Nicht selten vermischten sich diese Lehren mit lokalen geistigen Traditionen. So entstanden Sufi-Gemeinschaften, oft auch Orden genannt - im Arabischen als „Tariqa“ bezeichnet, was eigentlich „Weg“ heißt. Die Mitglieder leben nicht klösterlich, sondern haben meist Beruf und Familie; Asketen und Einsiedler sind die Ausnahme. Ihre Rituale unterscheiden sich oft vom Formalismus der Orthodoxie. Zwar gibt es auch strenggläubige Orden; die meisten Sufi-Gruppen pflegen jedoch eine liberale Praxis - in westlichen Ländern manchmal als spirituellen Lifestyle.
Es gehe um das Verbinden von äußerem Wissen und innerem Gleichgewicht, sagt die Ethnologin und Sufi-Meisterin Rosina-Fawzia al-Rawi und verweist auf den Schatz mystischen Wissens, den der Sufismus bewahrt hat. Sie bringt die vielen verschiedenen Zugänge auf einen praktischen Nenner: „Die Würde zu erkennen, die wir Menschen bekommen haben, den freien Willen, die Fähigkeit, Harmonie und Disharmonie auf diese Welt zu bringen - die Kostbarkeit des Menschen zu erkennen, ist eines der wesentlichen Dinge auf dem Weg des Sufismus.“
Gestaltung: Kerstin Tretina