Chaseyama, Simbabwe: Kindergarten

ANNA HERINGER

"Sub-Saharan Africa Architectural Guide"

Bibliothek des Bauens

Zahlreiche Reisen führten den Berliner Architekten und Verleger Philipp Meuser unter anderem nach Mali, Niger und Mauretanien. Dort führte er im Auftrag des Auswärtigen Amtes Sicherheitsinspektionen an deutschen Botschaften durch. Im Laufe dieser Reisen entdeckte Meuser den Reichtum und die Eigenständigkeit afrikanischer Architektur, die bis dato in der Fachliteratur kaum Erwähnung fand.

Nach sechs Jahren Recherche, vielen Reisen und immenser Redaktionsarbeit ist nun ein verlegerisches Großprojekt vollendet. In sieben Bänden und auf knapp 3.500 Seiten werden 49 Länder des subsaharischen Afrika, also alle Länder unterhalb der Sahara, behandelt: Für jedes Land erläutert ein einheimischer Länderkoordinator die vor Ort recherchierte Bau- und Kulturgeschichte. Je nach Größe der Städte werden im "Sub-Saharan Africa Architectural Guide" zehn bis 35 markante Gebäude beschrieben und abgebildet.

Subsaharische Architektur im Überblick

"Es gibt vereinzelt Publikationen, auch wissenschaftliche Arbeiten über einzelne Länder im subsaharischen Afrika, aber es gibt kein Überblickswerk", sagt Philipp Meuser, und ein solches wollte er machen. Ursprünglich war ein 300-seitiges Buch geplant, geworden sind es sieben Bände. "Das Buch spiegelt das wider, was man vor Ort findet."

Kapstadt, KUnstmuseum

Kapstadt, Südafrika: Wo vor 2001 noch Getreide gelagert wurde entstand bis 2017 das fraglos angesagteste Kunstmuseum Afrikas. Der Entwurf des britischen Architektur- und Design-Studios Thomas Heatherwick ist in der Tat spektakulär. Das historische Silo aus dem Jahr 1921 an Cape Towns V & A Waterfront wurde in seiner Kubatur erhalten, aber einem radikalen Umbau unterzogen, wodurch mit gut 6000 m Ausstellungsfläche das weltweit größte Museum für zeitgenössische Kunst Afrikas und seiner Diaspora entstand.

ISTOCK MURMAKOWA

Zunächst standen das Verbindende und das Trennende im Fokus, denn bis auf Liberia und Äthiopien waren alle in der Publikation vorgestellten Länder europäische Kolonien. Diese Staaten gelangten alle zwischen den späten 50er und den 80er Jahren zur Unabhängigkeit. Sie haben sprachliche Verwandtschaften, ethnische Verwandtschaften, und sie haben auch eine vergleichbare Form der Architektur. In Europa häufig wahrgenommen als die Lehm- oder Strohhütte, die Rund-Hütte in verschiedensten Variationen.

Tropical Modernism

Dazu kommt die Phase der kolonialen Architektur, in der die europäischen Kolonialmächte Verwaltungs-Bauten errichtet haben. Ab den 1960er Jahren entwickelte sich dann im Zuge der Unabhängigkeit der sogenannte "Tropical Modernism", der die lokalen Lebensverhältnisse architektonisch zum Ausdruck brachte.

Lehmhütte in Simbabwe

Dorf in Simbabwe: Über den Umgang mit indigener Architektur im südlichen Afrika berichtet der junge Architekt Anotidaishe Mavazhe: "Ich wurde von meiner Großmutter mit der Aufgabe betraut, ihre Hütte neu zu gestalten. Das Haus befindet sich an einem abgelegenen Ort weit weg von der Stadt in einem kleinen Dorf. Weil diese Lehmhütten kulturell so symbolisch sind, wurden sie bis heute nie zerstört. Ich schlug meiner Großmutter vor, das Dach zu ersetzen. Strohdächer haben traditionell viele Vorteile ..."

ANOTIDAISHE MAVAZHE

"Traditionell betrachtet ist die Architektur im subsaharischen Afrika eine Architektur, die als Schutz gegen Witterung, gegen Kälte und gegen wilde Tiere gebaut wurde," erzählt Philipp Meuser, "wie das bei uns vor vielen Jahren auch der Fall war. Diese Architektur hat sich bis heute an vielen Orten auch enthalten. Durch den Einzug der Zivilisation und der Moderne hat sie einen Zeitsprung erlebt, und wir finden in vielen modernen Projekten immer wieder Elemente, die dieser traditionellen Architektur entlehnt sind: zum Beispiel große, ausladende Dächer, die einen solchen Dachüberstand haben, dass sie gegen Starkregen schützen."

Eher flache Metropolen

Auffallend ist, dass die Städte, selbst Hauptstädte mit bis zu 12 Millionen Einwohnern, über keine nennenswerte Skyline verfügen. Die Urbanisierungsrate in Afrika ist immens hoch: In den nächsten 30 Jahren wird sich die urbane Bevölkerung nahezu verdoppeln. Das sind mehr als 400 Millionen Menschen, die in die Städte drängen werden. Trotzdem ist das Stadtbild von Metropolen wie Lagos, Bamako oder Luanda eher flach gehalten, ohne markante Hochhaus-Silhouetten. Diese Struktur ist, so Philipp Meuser, auch dem dörflichen Grundmuster subsaharischer Architektur geschuldet.

Einkaufszenztum in Addis Abeba

Addis Abeba, Äthiopien: 2017 stellte der Spanier Xavier Vialta sein international beachtetes Einkaufszentrum Lideta Mercato fertig, das wie ein großer Schweizer Käse mit Löchern durchzogen ist. Durch diese Öffnungen fällt Licht in das Innere des neungeschossigen Atriums. Der Eingang des Zentrums ist nicht weniger spektakulär: Der Besucher wird in das Gebäude gezogen – wie in den Schlund eines Walfischs.

JENNIFER TOBOLLA

Maßgeblich in der afrikanischen Architektur der letzten Jahrzehnte ist auch das Engagement Chinas. In vielen afrikanischen Staaten sind chinesische Bauprojekte realisiert worden oder in Planung. Neben zahlreichen Sportarenen entstanden unter der Federführung chinesischer Baufirmen ganze Städte, Eisenbahnverbindungen und Flughäfen. Diese nicht ganz uneigennützigen Infrastrukturhilfen werden mit Rohstofflieferungen und Schürfrechten abgegolten. Philipp Meuser sieht darin eine neue Form des Kolonialismus.

"Das bekannteste Beispiel für eine chinesische Großinvestition gerade im Wohnungsbau ist die Satellitenstadt Kilamba, 30 Kilometer südlich von Luanda in Angola."

Chinas Infrastrukturhilfen werden mit Rohstofflieferungen und Schürfrechten abgegolten

Kinder vor einem Lagerhaus in Bolmo, Mali

Bolmo, Mali: Wie sich 200 Regenrohre kreativ für die Belüftung eines Lagerhauses verwenden lassen, hat vor einigen Jahren Emilio Caravatti mit seinem Team gezeigt.

EMILIO CAVARATTI

Philipp Meuser verfolgt mit seinem Buchprojekt eine Art idealistische Aufbauhilfe für die subsaharische Architektur. Von einer einheitlichen Architekturszene kann nämlich bisher keine Rede sein. Oftmals sind es einzelne Akteure, die improvisieren und Wohn- oder Kommunal-Projekte unter finanziell wie administrativ schwierigen Verhältnissen realisieren.

"Unser Buchprojekt zielt ja ein bisschen darauf, dass sich Architekten untereinander besser vernetzen können." Die 650 Akteure, die beigetragen haben, - 350 Autoren, viele Berater, Architekten und Fotografen -, sollen so ihre Kenntnisse über andere Länder erweitern, Gemeinsamkeiten feststellen eine Diskussion über Architektur in Afrika soll angeregt werden. Etwa über Fragen der Boden-Spekulation und einer nachhaltigen Stadtentwicklung, die den gewaltigen Zuzug ländlicher Bevölkerung gerecht werden muss.

Mit Philipp Meusers großangelegtem Buchprojekt zur Architektur im subsaharischen Afrika ist ein Anfang gemacht, afrikanische Lebenswelten zu entdecken und etwas besser zu verstehen.

Service

Philipp Meuser and Adil Dalbai, "Sub-Saharan Africa - Architectural Guide", Dom publishers

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