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Ausstellung
Jonathan Meese: Führung und Verführung
Er gilt als der Deutschen liebster Provokateur und hat 2017 mit seiner Inszenierung des "Mondparsifal" das Wiener Festwochenpublikum begeistert. Jetzt ist Jonathan Meese wieder in Wien. In der Galerie Krinzinger zeigt er eine neue Werkserie. Sie jagt die ewigen Kindfrau Lolita und Dr. Mabuse, einen Bösewicht der Stummfilm-Ära, in gewohnt krakeligen Bildern und Skulpturen aufeinander.
12. April 2021, 02:00
Seine Malerei ist expressiv und wirkt mitunter wie der spontane Kreativausbruch eines Kleinkindes. Farbkleckse und Krakeleien treffen auf kryptische Slogans und nationale Symbole. Sie gehören ohnehin zum leitmotivischen Standardvokabular dieser Kunst, die ein ludisches Fest der Kindlichkeit und Naivität feiert. Meisterschaft war gestern. Kunst ist Chef!
Kostüme verbieten geht gar nicht!
Kulturjournal | 12 03 2021. "Ich bin gerne Winnetou und Old Shatterhand! Kostüme verbieten geht gar nicht!" - Jonathan Meese zur Cancel Culture.
"Auch der Blick nach hinten zeigt: Was hat überlebt? Kunst! Vom alten Ägypten: Nur Kunst geblieben! Vom alten Rom: Nur Kunst geblieben! Vom alten Griechenland: Nur Kunst geblieben! Vom alten Deutschland: Nur Kunst geblieben! Vom alten Österreich: Nur Kunst geblieben! Das ist übriggeblieben. Also dann muss ja irgendwas geil sein!" Wer Jonathan Meese begegnet, begegnet zuallererst einer Kunstfigur, die jedes Gespräch zur Performance werden lässt.
K.U.N.S.T. ist Chef
Seit den späten 1990er Jahren hat Meese an dieser Performance, die Kunst und Leben durchdringt, gefeilt. Sie kreist bevorzugt um das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. So als wollte der Künstler dem Dämonischen den Stachel ziehen, indem er es entweiht, verzerrt, persifliert. Wenn Pathos auf Klamauk trifft, ist Jonathan Meese in seinem Element. "Wir dürfen uns nicht mehr zu Mitläufern machen und wir brauchen auch keine Gurus mehr, Politiker brauchen wir auch nicht mehr und auch generell Politik nicht und auch keine Religion, sondern wir müssen einen Neustart wagen und Lolitas sind ja Kinder und stehen somit auch für den Neustart!"

Positionen der Kunst
im Ö1 Archiv
In der Wiener Galerie Krinzinger beschäftigt sich Jonathan Meese nun mit einer Figur der Literaturgeschichte, die in Zeiten einer heftig geführten "Cancel Culture"-Debatte erneut in den Fokus gerückt ist. Denn viele Verleger sind sich einig: Vladimir Nabokovs Roman "Lolita" über einen Literaturwissenschaftler mittleren Alters, der ein sexuelles Verhältnis mit seiner minderjährigen Ziehtochter eingeht, hätte im Zeitalter der Political Correctness große Schwierigkeiten verlegt zu werden. Dass auch der Weg zur Erstveröffentlichung des Textes in den 1950er Jahren ein steiniger gewesen ist, zeigt freilich ein Blick auf die Publikationsgeschichte.
Doch ist Lolita als Projektion eines Pädophilen heute noch tragbar? Oder muss der Kanon der Kulturgeschichte - wie verschiedentlich gefordert - von diskriminierenden Elementen gesäubert werden? Als Meister der sanften Provokation hält Jonathan Meese von Trigger Warnungen erwartungsgemäß wenig: "Wir müssen auch Sachen aushalten können! Die Vergangenheit säubern zu wollen?! Das ist doch einfach lächerlich! Die Mitläufer von heute wären auch die Mitläufer von damals gewesen."
"Die Vergangenheit säubern zu wollen - das ist doch lächerlich!" Jonathan Meese
Die verführerische Kindfrau Lolita ist auch die Heldin von Jonathan Meeses Theater-Spektakel "Kampf-Lolita", das im Februar 2020 im Schauspiel Dortmund zu sehen gewesen ist. Ein einziges Mal. Alle weiteren geplanten Aufführungen mussten covidbedingt abgesagt werden. "Eine Aufführung zwischen Zitat und Zumutung", so bezeichnete das Kunstmagazin "Monopol" dieses Schauspiel, das Trash und Hochkultur aufeinanderprallen lässt.
Im März hätte Jonathan Meeses "Kampf-Lolita" eigentlich im Volkstheater Wien Premiere feiern sollen. Nun soll sie im April stattfinden. Ein genauer Termin steht derzeit allerdings noch nicht fest. Als Einstimmung auf die große theatrale Intervention kann sich das Wiener Publikum zunächst die Ausstellung in der Galerie Krinzinger anschauen, die ein Kräftemessen zwischen Literatur, Film und Malerei inszeniert und das Verhältnis von Führung und Verführung ausleuchtet.
Service
Die Ausstellung "Die Dr. Mabusenlolita (zwischen Abstraktion und Wahn)" ist bis zum 15. Mai 2021 in der Galerie Krinzinger in Wien zu sehen.